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Auf der Überholspur

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Auf der Überholspur
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Mit Anlagen wie dem Superbeschleuniger LHC hat Europa die USA bereits überflügelt. Foto: Ahonc, Wikipedia.de (Creative Commons Attribution 2.0)
Die USA waren für Physiker eine Art Paradies: Es gab dort die besten Wissenschaftler, die besten Labore und die besten Bedingungen. Doch in den vergangenen Jahren haben die Amerikaner die Finanzierung von Großprojekten und auch die der Grundlagenforschung gekürzt. Die Folge: Europa holt nicht nur auf, sondern hat die USA zum Teil bereits überflügelt, etwa bei prestigeträchtigen Anlagen wie dem Superbeschleuniger LHC und dem experimentellen Fusionsreaktor ITER.

Die Welt ist im Wandel – zumindest die Welt der Physik. Jahrzehntelang waren praktisch alle wichtigen Entdeckungen, alle renommierten Forscher und alle spektakulären Experimente in den USA zu finden, ein Aufenthalt dort war quasi eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Forscherkarriere. Heute ist es Europa, auf das die physikalische Welt schaut: Angefangen vom Large Hadron Collider LHC bei Genf, der zwar aktuell abgeschaltet, aber grundlegend betriebsbereit ist, über den bereits im Bau befindlichen Thermonuklearen Experimentalreaktor ITER in Frankreich bis zum geplanten Darmstädter Antiprotonen- und Schwerionenbeschleuniger FAIR sind alle aktuellen und künftigen Megaprojekte in Europa angesiedelt.

Die teuren Anlagen spiegeln eine grundlegende Trendwende wider – ähnlich wie die Pyramiden die Macht der Pharaonen demonstrierten: Die USA haben ihre absolute Vormachtstellung verloren. “Dass Europa aufgeholt hat, gilt im Wesentlichen für die Grundlagenforschung”, erklärt der Physik-Nobelpreisträger Theodor Hänsch im Interview mit dem Magazin “bild der wissenschaft”. Verantwortlich dafür machen er und seine Kollegen vor allem eine Veränderung der Finanzierungspraxis. Früher habe man mit dem Argument “Europa hat ein großes Projekt, also brauchen wir etwas größeres” praktisch jeden Geldgeber überzeugen können, erinnert sich Eberhard Umbach, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

Ein typisches Beispiel dafür war der Teilchenbeschleuniger SSC, der in Texas stehen sollte: Er war mit einem Umfang von 87 Kilometern geplant, einer im Vergleich zu den 27 Kilometern des LHC gigantischen Größe. Doch 1993 wurde das Projekt gestoppt – und von diesem Image-Schaden, glauben viele Experten, hat sich die Physik in den USA bis heute nicht erholt. Das Problem: In Amerika erwartet man von Forschungsprojekten schnelle, möglichst spektakuläre Ergebnisse. “Die Amerikaner wollen stets gleich die Teflonpfanne oder eine militärische Anwendung. Deshalb haben sie das Feld der vermeintlich brotlosen Teilchenphysik den Europäern überlassen”, fasst es Rudolf Böck vom Max-Planck-Institut für Physik in München zusammen.

Doch die Großprojekte sind nicht das einzige, was man in den USA im Moment vergeblich sucht – die Situation der Grundlagenforschung hat sich insgesamt verschlechtert. Belegt wird das unter anderem durch die Anzahl der Fachveröffentlichungen: Nach 1993 und dem Stopp des SSC-Baus stagnierte deren Zahl mehrere Jahre. In Europa stieg sie im gleichen Zeitraum hingegen stetig.

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Die Auswirkungen des Effektes hat auch Klaus von Klitzing, ebenfalls Physiknobelpreisträger, bereits wahrgenommen: In den vergangenen Jahren sei es der Max-Planck-Gesellschaft immer wieder gelungen, Spitzenforscher nach Deutschland zu holen – früher undenkbar. Er hält ebenso wie seine Kollegen die Unterschiede in der Finanzierung für die Ursache: In den USA ist sie kurzlebig und am schnellen Erfolg orientiert. Modethemen, aktuell vor allem die Lebenswissenschaften, die Raumfahrt und die Nanotechnologie, werden mit Geld überschüttet und dann genauso schnell wieder auf Sparflamme gesetzt, wenn der Hype vorbei ist.

So etwas, ist von Klitzing überzeugt, produziert zuviel Mittelmaß. Denn der Anreiz, auf ein Modethema aufzuspringen, obwohl man nichts davon versteht, ist groß. Bis man es jedoch geschafft hat, sich einzuarbeiten, ist die Euphorie meist wieder vorbei und das nächste Thema kommt zu Zug. Im Fall der Physik kommt noch ein anderes Problem hinzu, gibt interessanterweise ein US-Amerikaner – der Physiknobelpreisträger William Phillips – zu bedenken: Physikalische Grundlagenforschung liefert die Basis für nahezu alle Messmethoden, die dann in den aktuellen Modethemen eingesetzt werden, zum Beispiel in der Biomedizin. Fehlt jedoch der Nachschub an neuen, besseren Methoden, wird sich auch die Biomedizin auf Dauer nicht weiterentwickeln können.

In Europa und vor allem in Deutschlang stimme dagegen die Forschungsförderung, sind sich die Experten einig. Eberhard Umbach hält sie sogar für die “beste der Welt”, denn sie setze auf Kontinuität, ohne neue Ideen zu ignorieren. Eine Stärke: die Vielfalt an unterschiedlichen Forschungseinrichtungen, von den Fachhochschulen über die Universitäten bis zu den Max-Planck-Instituten und den Fraunhofer- sowie Helmholtz-Zentren. Den Spitzenplatz in Sachen Grundlagenforschung belegen für Theodor Hänsch dabei die Max-Planck-Institute. “Es gibt dort eine langfristige Planungssicherheit. Dadurch können auch risikoreiche Projekte angegangen werden, bei denen nicht abzusehen ist, ob sie überhaupt zu etwas führen. So etwas kenne ich aus den USA nicht”, erzählt der Physiker im “bild-der-wissenschaft”-Interview.

Tatsächlich sind es nicht selten gerade die Gebiete der Grundlagenforschung, die im Endeffekt zu den meisten Anwendungen und Technologien führen, von denen man es niemals erwartet hätte. “Ich weiß auch nicht, wozu die Teilchenphysik mal gut sein wird”, gibt William Phillips zu. “Aber bei der Quantenmechanik war das doch ganz genauso. Unsere Wirtschaft heute wäre ohne Quantenmechanik nicht möglich. Und so wird es auch mit der Teilchenphysik kommen.”

Bernd Müller: “Die Trendwende”, bild der wissenschaft 11/2008, ab S. 48 ddp/wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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