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Debatte über elektronische Identität

Technik|Digitales

Debatte über elektronische Identität
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Nicht größer als ein Reiskorn sind moderne Funkchips - doch deren technischen Möglichkeiten sind enorm. Foto: VeriChip
Funkchips, die in den Körper eingepflanzt werden, sind nicht Science-Fiction, sondern längst real. Sie werden zur Identifikation von Arbeitnehmern und Kindern genutzt, ebenso wie für den bargeldlosen Zahlungsverkehr. Doch in der Nutzung eines solchen menschlichen Barcodes liegt eine große ethische Sprengkraft, warnen Wissenschaftler.

Willkommen in der Zukunft: Türschlösser an den Pforten sind einem Scanner gewichen, ein Funkchip im Arm der Menschen sendet das digitale „Sesam-öffne-dich“. Der Barcode ersetzt Schlüssel, Kredit- und Versichertenkarten. Mit ihm, dem Chip, wird bargeldlos gezahlt. Sogar Skifahrer werden gefunden, die von einer Lawine verschüttet wurden. Nur seinen Arm sollte man dabei nicht verlieren.

„So viel Science-Fiction ist das nicht“, sagt Michael Nagenborg, Philosoph an der Universität Tübingen. Er ist zugleich Organisator einer Konferenz, die sich mit den ethischen Folgen von Überwachungsimplantaten auseinandersetzt. Philosophen und Sozialwissenschaftler aus verschiedenen Ländern treffen sich zu diesem Thema vom 3. bis 5. September in Bielefeld.

Überwachungsimplantate sind für manche Menschen bereits Realität. Seit 2001 vertreibt eine Tochter der amerikanischen Unternehmens Applied Digital Solutions (ADS) in Delray Beach, Florida, winzige Funkchips in Glaskapseln, die nicht viel größer sind als ein Reiskorn. Mit einer gewöhnlichen Arztspritze werden sie in den Oberarm injiziert. Die amerikanische Food and Drug Administration hat diesen „VeriChip“ 2002 als unbedenklich eingestuft. Bis heute wurden Tausende Implantate eingepflanzt.

Die elektronische Identität ist auf den ersten Blick nicht mehr als eine 16-stellige Nummer. Sie wird genau einmal vergeben und ermöglicht Zugang zu einem passwortgeschützten Bereich, in dem die elektronische Identität vervollständigt werden kann. Adresse, Kontodaten, Medikamente, Blutgruppe oder Krankheiten können dort hinterlegt werden – wie es dem Nutzer beliebt. Eine winzige Antenne am Chip funkt diese Daten in den Äther. An einem Lesegerät, etwa einem PC mit Internetanschluss oder einem Handy können sie empfangen werden, falls dieses sich innerhalb der Reichweite von zehn Metern befindet.

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Der VeriChip sei hauptsächlich für medizinische Anwendungen gedacht, betont ADS. Damit beispielsweise der Notarzt sofort mit einem Scanner die Medikamentenunverträglichkeiten seines Patienten erkennt, auch wenn dieser bewusstlos ist. Doch der VeriChip dient offenbar auch anderen Zwecken: Im Baja Beach Club in Barcelona und in der Bar Soba in Glasgow erhalten Gäste VIP-Zugang, wenn sie sich von einem Disco-Arzt den Chip verpassen lassen. Sobald der Gechipte an einem Lesegerät vorbeigeht, weiß der Baja Beach Club, wen er vor sich hat und wie es auf seinem Konto aussieht, so Conrad Chase, Chef des spanischen Clubs.

Die Gäste fühlen sich durch das Implantat offenbar nicht überwacht und scheinen sogar begeistert, wundert sich Karsten Weber, Philosoph und Privatdozent an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sein Erklärungsversuch: „Es ist eine Art Statussymbol. Die Leute finden das cool.“ Auch die Bequemlichkeit spielt eine Rolle. Im Bikini oder Badehose im Beach Club ist ein Portemonnaie am Leib nur lästig. Die Kontonummer im Arm ist unauffällig und kann nicht verlorengehen oder gestohlen werden.

Vom Vorteil des menschlichen Barcodes sind auch der mexikanische Generalstaatsanwalt und seine Mitarbeiter überzeugt. Sie sind seit 2004 gechipt, damit sie bei einem Attentat problemlos identifiziert werden können. Aus Angst vor Entführungen ließen auch wohlhabende Eltern in Südamerika, ihre Kinder mit RFID-Chips ausstatten, berichtet Weber. „Der Keim für die Technologie ist gelegt. Sie wird sich wohl in nächster Zeit ausbreiten“, erklärt Kirstie Ball, Soziologin von der Open University Business School in Milton Keynes. Sie ist über die Entwicklung nicht sonderlich glücklich ist, denn sie geht davon aus, dass die zunehmende Kontrolle zu einem wachsenden Misstrauen zwischen den Menschen führt und soziale Bande zerstören kann.

Entscheidend sei, ob das Implantat freiwillig getragen wird, betont Nagenborg. „Das ist eine Frage der Machtrelation“, erörtert der Philosoph und fügt hinzu: „Ich bin bei einer weitflächigen Anwendung im Bereich des Arbeitsplatzes sehr misstrauisch, ob man von einem hohen Grad der Freiwilligkeit ausgehen kann.“ Arbeitnehmer akzeptieren vermutlich den Barcode im Körper aus schierer Angst um ihren Arbeitsplatz.

„Es gibt eigentlich nur zwei Bereiche, wo es mir sinnvoll erscheint, über die Implantate nachzudenken“, lässt Nagenborg durchblicken. Bei Krankheiten wie Demenz könne es in seinen Augen hilfreich sein, wenn ein Chip Informationen etwa über Blutgruppe, Arzneimittelunverträglichkeiten, Wohnort und Krankenversicherung bereithält. Der Arzt könne dann im Notfall den Patienten mit einem Lesegerät scannen und hätte sofort alle notwendigen, lebensrettenden Informationen. „Im Unterschied zu einer Versicherungskarte kann man das Implantat nicht verlieren“, argumentiert Nagenborg, „aber vielleicht reicht es dafür, den RFID-Chip in die Kleidung einzusetzen.“

Weil der Chip im Körper unsichtbar ist, würden die Träger auch nicht stigmatisiert. Das spreche dafür, die Implantate auch bei Straftätern als elektronische Fußfessel anzuwenden, um ihren Aufenthaltsort zu überwachen, so der Philosoph. Dazu müssten die VeriChips jedoch mit Peilsendern verknüpft werden, was bislang nicht in implantierbarer Form möglich ist. Elektronische Fußfesseln gibt es dagegen längst. Sie bestehen aus einem Gerät mit eingebautem Sender, das um das Fußgelenk geschnallt wird.

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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