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Krebs aus dem All

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Krebs aus dem All
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Die Sonne ist zur Zeit nahe dem Minimum ihrer Aktivität. Während ihres Aktivitätsmaximums können auf ihrer Vorder- und Rückseite zusammen mehr als 200 Sonnenflecken gleichzeitig sichtbar sein. Bild: Soho/Esa/Nasa
Menschen, die zwischen 1840 und 1860 beziehungsweise zwischen 1920 und 1930 geboren wurden, waren einem höheren Risiko ausgesetzt, an Krebs zu sterben als der Durchschnitt der Bevölkerung. Diesen Zusammenhang konnte David Juckett von der Michigan State University in East Lansing weltweit nachweisen, so dass lokale Ursachen als Erklärung ausgeschlossen werden können. Juckett macht für diese erhöhte Krebssterblichkeit Schwankungen der galaktischen kosmischen Strahlung verantwortlich. Statistisch passen die Krebs- und die Strahlungsschwankungen jedoch nur dann zusammen, wenn man annimmt, dass nicht die Krebskranken selbst durch die Strahlung geschädigt wurden, sondern das Erbgut eines Elternteils, während dieser im Mutterleib der Großmutter heranwuchs. Die Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass Keimzellen während einer bestimmten kritischen Entwicklungsphase bereits durch geringste Strahlungsmengen geschädigt werden können.

Kosmische Strahlung erreicht die Erde sowohl von der Sonne als auch von Quellen außerhalb unseres Sonnensystems. Zur Unterscheidung nennt man letztere „galaktische kosmische Strahlung“. Sie entsteht unter anderem bei Supernova-Explosionen. „Der Begriff ‚Strahlung’ ist etwas irreführend“, erklärt Juckett. „Denn tatsächlich handelt es sich um Teilchen.“ Etwa 90 Prozent dieser Teilchen sind Protonen, also Kerne von Wasserstoffatomen. Der Rest besteht hauptsächlich aus Heliumkernen.

Die hochenergetische galaktische kosmische Strahlung kann das menschliche Erbgut schädigen und dadurch Krebs und andere Gesundheitsschäden hervorrufen. Der größte Teil dieser Strahlung wird zwar von der Erdatmosphäre abgeschirmt, doch auf Höhe des Meeresspiegels sind Menschen im Durchschnitt noch einer kosmischen Strahlung von 0,3 Millisievert pro Jahr ausgesetzt. Zum Vergleich: Im statistischen Durchschnitt wird ein Bundesbürger pro Jahr mit einer Strahlung von 4 Millisievert belastet. Dieser Wert entfällt je zur Hälfte auf natürliche und künstliche Strahlungsquellen. Die künstliche Strahlung stammt wiederum zu etwa 95 Prozent aus medizinischen Untersuchungen und Behandlungen. Ein großer Teil der natürlichen Strahlung entfällt auf das radioaktive Edelgas Radon, das fast überall auf der Erde in geringer Konzentration aus dem Erdinnern aufsteigt.

Ein Schwellenwert, unterhalb dessen keinerlei Gesundheitsschädigungen mehr auftreten, ist nicht bekannt. Der Gesetzgeber erlaubt bei „zielgerichteter Nutzung“ radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung beim Durchschnittsbürger eine zusätzliche Strahlenbelastung von 1 Milli sievert pro Jahr. Für Personen, die beruflich einem Strahlungsrisiko ausgesetzt sind, ist der gesetzlich erlaubte Grenzwert auf 20 Millisievert pro Jahr festgesetzt worden. Davon ausgenommen sind berufstätige Schwangere. Für das ungeborene Kind beträgt die gesetzlich erlaubte berufsbedingte Strahlenbelastung für den Zeitraum der Schwangerschaft 1 Millisievert.

David Juckett untersuchte nun die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Geburtsjahr eines Menschen und seiner Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu sterben, gibt. Ihm standen für seine Untersuchung statistische Daten aus Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland und den USA zur Verfügung. Insgesamt überspannten die Daten den Zeitraum von 1825 bis 1965. Juckett fand tatsächlich solch einen Zusammenhang: Die Krebssterblichkeit war bei den Menschen, die entweder zwischen 1840 und 1860 oder zwischen 1920 und 1930 geboren waren, um etwa 5 Prozent höher als die durchschnittliche Krebssterblichkeit.

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Als mögliche Erklärung für diese periodische Zunahme schloss Juckett unter anderem Infektionskrankheiten und Rauchen aus. Weder deren zeitlicher Verlauf während des betrachteten Zeitraums noch die Tatsache, dass der Verlauf der Krebssterblichkeit weltweit der gleiche ist, unterstützten diese Möglichkeit. Fündig wurde Juckett dagegen, als er den über mehrere Jahre gemittelten zeitlichen Schwankungsverlauf der kosmischen Strahlung betrachtete. Hier gab es wie bei den Krebsdaten ebenfalls zwei Maxima, die etwa 75 Jahre auseinanderliegen – aber diese Maxima waren nicht deckungsgleich mit denen der Krebssterblichkeitskurve, sondern gegenüber diesen um 28 Jahre versetzt. Der Höhepunkt der kosmischen Strahlung lag jeweils 28 Jahre vor dem Höhepunkt der Krebssterblichkeit – genauer: vor dem Geburtsjahr der Menschen, die später vermehrt an Krebs starben.

Interessant ist jedoch, dass diese Zeitspanne von 28 Jahren noch in anderem Zusammenhang auftaucht. Das Alter von Müttern lag bei der Geburt ihrer Kinder während des von Juckett untersuchten Zeitraums in etwa zwischen 15 und 50 Jahren – mit einem Mittelwert von 28 Jahren. Als letzten Puzzlestein für eine mögliche Erklärung seines Resultats benötigte Juckett noch ein Ergebnis der Entwicklungsbiologie. „Es gibt signifikante Anhaltspunkte dafür, dass Urkeimzellen im sich entwickelnden Fötus wesentlich strahlungsanfälliger sind als dessen Körperzellen“, sagt Juckett. Diese besondere Anfälligkeit für Strahlung endet etwa in der sechsten Schwangerschaftswoche, wenn die Keimzellen zu den späteren Keimdrüsen (Hoden oder Eierstock) gewandert sind.

Wenn man also davon ausgeht, dass der Strahlungsschaden während dieser Zeitspanne in den Keimzellen auftritt, dann würde dies den Körper des sich entwickelnden Embryos nicht mehr betreffen. Die schädliche Mutation wäre lediglich in seinen Keimzellen vorhanden und würde erst in der nächsten Generation, also bei seinen Kindern, ihre Wirkung entfalten. Darüber hinaus hätte die übernächste Generation gute Chancen, ohne Schaden davonzukommen. „Eine neue Mutation wird nicht notwendigerweise auf die folgende Generation übertragen“, erläutert Juckett. „Bei der Bildung der Keimzellen für die nächste Generation sorgt ein ‚eingebautes Programm’ dafür, dass alle neuen Mutationen, die nicht vorteilhaft für den Organismus erscheinen, wieder entfernt werden.“

Sollte Jucketts Erklärung für die statistische Häufung von Krebs bei bestimmten Geburtsjahrgängen richtig sein, dann wäre dies äußerst beunruhigend. Juckett erklärt: „Um bei einem gesunden Menschen Krebs zu erzeugen, sind mehrere ‚Strahlungstreffer’ notwendig. Die sind sehr selten und es dauert lange, bis die notwendigen Treffer zusammengekommen sind. Deshalb ist Krebs eine Krankheit, die in der Regel ältere Menschen betrifft. Aufgrund meines Ergebnisses scheint es jedoch denkbar, dass Keimzellen während der kritischen Migrationsphase bereits von viel kleineren Strahlungsdosen geschädigt werden. Ein Mensch, der infolgedessen mit Mutationen geboren wird, kann bereits in jungen Jahren Krebs bekommen.“

Eine grobe, von wissenschaft.de mit Jucketts Ergebnissen durchgeführte Überschlagsrechnung ergibt einen Faktor von 1.000 bis 10.000, um den die kosmische Strahlung eigentlich stärker sein müsste, um die statistisch festgestellten Schädigungen nach gängigem Wissen hervorrufen zu können. Juckett sagt dazu: „Die Formeln, mit denen man im allgemeinen das von Strahlung verursachte Krebsrisiko abschätzt, hat man von sehr hohen Dosen aus extrapoliert.“ Gemeint ist damit, dass beim Aufstellen der Formeln nur Daten von Menschen berücksichtigt wurden, die durch sehr hohe Strahlungsdosen geschädigt worden sind – wie beispielsweise die Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.

Die so erhaltene Gesetzmäßigkeit wird dann auch für niedrige Strahlungsdosen als richtig angenommen. Juckett fährt fort: „Es gibt heftige Kontroversen über die Zuverlässigkeit dieser Extrapolation. Es gibt sogar Wissenschaftler, die im Gegenteil Hinweise darauf gefunden haben, dass sehr niedrige Strahlungsdosen gesundheitsfördernd sind. Aber mal abgesehen von diesen Einwänden repräsentiert Ihre Überschlagsrechnung die mögliche Diskrepanz zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Strahlungsdosis.“

Es ist Juckett wichtig, darauf hinzuweisen, dass er nur die Existenz eines statistischen Zusammenhangs zwischen kosmischer Strahlung und Krebssterblichkeit nachgewiesen hat. Ob seine Erklärung dafür richtig ist, kann nur durch Experimente geklärt werden. „Solange keine experimentellen Beweise vorliegen, sollte man sich davor hüten, politische Handlungsempfehlungen zu geben“, sagt Juckett.

Auch die Frage von wissenschaft.de, ob denn die Schwangeren selbst in den ersten Schwangerschaftswochen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen könnten, beantwortet Juckett mit einer deutlichen Warnung: „Selbst wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, kann ich nicht sagen, welche Komponente der kosmischen Strahlung den Schaden verursacht. Der Versuch, die primäre, eigentliche kosmische Strahlung abzuschirmen, könnte sogar dazu führen, dass innerhalb des Materials, aus dem die Abschirmung besteht, eine sekundäre Strahlung erzeugt wird, die noch gefährlicher ist. Erst wenn wir genau wissen, wie der Strahlungsschaden verursacht wird, können wir nach geeigneten Schutzmaßnahmen suchen.“ Aber selbst dann sieht Juckett noch ein weiteres Problem: „Viele Frauen wissen in den ersten kritischen Wochen noch gar nicht, dass sie schwanger sind.“

Einem weiteren möglichen Fehlschluss muss vorgebeugt werden: Juckett hat die Daten der kosmischen Strahlung über viele Jahre gemittelt. Hätte er dies nicht getan, wäre die dominanteste Schwankung der kosmischen Strahlung der Elfjahreszyklus der Sonne gewesen. Denn mit diesem elfjährigen Zyklus schwankt die Aktivität des Sonnenwindes. Diese Teilchenstrahlung der Sonne schützt wiederum die Erde vor der energiereicheren galaktischen kosmischen Strahlung. Man muss deshalb davon ausgehen, dass die Strahlungsschädigung der Keimzellen von Embryos tatsächlich zunächst einmal in einem elfjährigen Zyklus schwankt.

Unter der Voraussetzung, dass Jucketts Erklärung richtig ist, kann der elfjährige Zyklus in den Statistiken zur Krebssterblichkeit aber unmöglich auftauchen – aus einem einfach einzusehenden Grund: Die erhöhte Krebssterblichkeit trifft die späteren Kinder der Embryos, deren Keimzellen geschädigt werden. Zwar ist bekannt, dass diese Kinder im Durchschnitt 28 Jahre nach der Schädigung geboren werden, aber eben nur im Durchschnitt. Tatsächlich schwankt das Alter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder zwischen 15 und 50 Jahren. Dies ist eine Zeitspanne von 35 Jahren. Über diese Zeitspanne werden also die Geburtsjahre der späteren Krebskranken „verschmiert“. Dies bedeutet, dass der elfjährige Zyklus mit rein statistischen Methoden überhaupt nicht entdeckt werden kann. Dazu wäre es notwendig, von jedem Krebskranken nicht nur sein Geburtsjahr, sondern zusätzlich das Alter seiner Mutter bei seiner Geburt zu kennen. Diese Information stand Juckett aber nicht zur Verfügung.

Die Stärke (und auch die Länge) des elfjährigen Sonnenzyklus ist aber nicht konstant, sondern unterliegt selbst weiteren Schwankungen, unter anderem dem 70- bis 100-jährigen Gleißberg-Zyklus. Juckett vermutet, dass dieser die 75 Jahre auseinanderliegenden Maxima der kosmischen Strahlung verursacht hat.

Bei allem Unbehagen, dass Jucketts Ergebnis zunächst einmal hinterlässt, darf man eines nicht vergessen: Mit der kosmischen Strahlung und ihren möglicherweise negativen Folgen leben die Menschen, seitdem sie existieren. Jucketts Vermutung weist einen Weg, durch weitere Forschung die genauen Wirkmechanismen, die zu einer Schädigung führen, besser zu verstehen. Wenn dies gelingt, bietet dies nicht nur die Chance, Embryos in den ersten kritischen Schwangerschaftswochen effizient vor der kosmischen Strahlung zu schützen, sondern auch die Chance auf mehr Sicherheit im Umgang mit künstlicher Strahlung, beispielsweise bei medizinischen Behandlungen oder in der Umgebung von Kernkraftwerken. Denn in einer vom Bundesamt für Strahlenschutz im Dezember 2007 vorgelegten Studie waren in der Umgebung von Kernkraftwerken vermehrt Krebserkrankungen bei Kindern festgestellt worden, für deren Erklärung eine Strahlendosis nach derzeitigem Wissensstand ebenfalls um den Faktor 1.000 hätte stärker sein müssen.

David Juckett: ”Correlation of a 140-year global time signature in cancer mortality birth cohorts with galactic cosmic ray variation“, International Journal of Astrobiology 6 (4) 307-319 (2007) Axel Tillemans
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