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Problem-Müll Funkchip

Technik|Digitales

Problem-Müll Funkchip
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RFID-Chip auf der Rückseite eines Barcodes. Bild: Kriplozoik, wikipedia.org
RFID-Chips könnten zu Problemen bei der Wiederverwertung von Glas, Papier und Kunststoff führen, fanden Dortmunder Forscher heraus. Sobald jede zehnte Verpackung mit einem Transponder ausgestattet ist, wird es kritisch, sagen die Wissenschaftler. Eine entsprechende Marktdurchdringung könnte schon ab 2010 erreicht werden. Die RFID-Nutzer nehmen die Nachricht jedoch offenbar gelassen. Beispielsweise sollen bald Weinflaschen mit dem Funk-Chip versehen werden.

Es ist still bei Tisch. Nur die Weinflasche funkt ans Mobiltelefon, wie viele Auszeichnungen der Rebensaft gewonnen hat und bei welcher Temperatur er getrunken werden soll. Auch der Anzug eines Gastes am Tisch meldet sich: „30 Grad Celsius Schonwaschgang einstellen, nicht Schleudern“, übermittelt er in den Äther. Der Adressat der Nachricht wäre die intelligente Waschmaschine zu Hause. Sie wählt das Programm entsprechend, wenn der Anzug in der Trommel liegt.

Solche Spielereien werden künftig dank einer Technik namens Radio Frequency Identification (RFID) möglich: Winzige Funk-Etiketten auf der Ware halten Informationen bereit, die auf kein Papier-Etikett passen. Firmen verfolgen heute schon anhand solcher Transponder, wo sich ihre Ware befindet. Umstritten sind allerdings jene Funk-Etiketten, die dem Verbraucher mit auf den Weg gegeben werden. Anhand der Funk-Spur könnte der Käufer nämlich auf Schritt und Tritt verfolgt werden. So könnte man herausfinden, welche Artikel er bevorzugt, wie er wohnt und lebt.

Neben diesem Schreckensszenario vom gläsernen Kunden sorgt nun jedoch auch eine andere Nachricht für Unruhe: Wenn die RFID-Chips in großer Zahl in der Mülltonne landen, werden sie alsbald das deutsche Entsorgungssystem lahmlegen. Papier ließe sich nicht mehr problemlos recyceln, Plastik und Glas ebensowenig. Mit dieser Aussage überraschten Forscher aus dem Team von Rolf Jansen von der Technischen Universität Dortmund RFID-Hersteller und -Nutzer.

„Es gibt gleich mehrere Knackpunkte beim Recycling“, betont Martin Gliesche, Wirtschaftsingenieur aus Jansens Team. Der Transponder sei stets so fest mit dem Glas, dem Kunststoff oder dem Papier der Verpackung verbunden, dass er sich nicht ohne weiteres ablösen lasse. Deshalb landet die Verpackung samt Chips in der gelben oder blauen Tonne oder im Glascontainer.

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In den Sortieranlagen bereiten die Chips dann Probleme: Die Antenne im RFID-Transponder besteht aus Kupfer, Silber oder Aluminium. Da die Metalle mit einem sehr großen Gewicht vertreten sind, schrumpft der Kunststoffanteil in den Verpackungen drastisch. Kupfer und Co würden die Kunststoffballen beim Recycling hochgradig verschmutzen: „Dadurch sinkt der Wert des Rezyklats. Das ist ein starker wirtschaftlicher Verlust, und der Kunststoff lässt sich teils nur noch zu minderwertigen Produkten verarbeiten“, führt Gliesche aus. Statt Kunststofffolien für neue Lebensmittel kann der RFID-belastete Abfall womöglich nur noch zur Parkbank verarbeitet werden.

Bei der Altpapiererzeugung könnten die Transponder sogar die Anlagen zum Stillstand bringen. Denn das Papier wird aufgelöst und die Fasern durch feine Düsen gedrückt. Der Chip und ebenso die Klebstoffe, mit denen dieser befestigt ist, würden die Düsen verstopfen.

Ähnlich düster sieht es beim Altglasrecycling aus: Das Material wird gewöhnlich zu Splittern zerschlagen und geschmolzen. Geringste Mengen Metall aus den RFID-Chips könnten das Glas verfärben. Der Grenzwert für Kupfer würde jedoch bereits überschritten, wenn nur 2,5 Prozent aller Flaschen mit einem Kupfer-RFID versehen wären, rechnete Gliesche aus. „Man muss etwas tun, sonst wird es zu massiven Problemen kommen“, warnt er. Auch die oberste Umweltbehörde in den USA fordert, die Recycling-Forschung zu stärken, weil die Funk-Etiketten die Müllentsorgungssysteme überlasten könnten.

Gegenwärtig werden erst wenige Artikel mit Transpondern ausgestattet. Aber schon bei einem Anteil von zehn Prozent der Verpackungen wäre eine kritische Menge erreicht, so der Wirtschaftsingenieur. Laut Schätzungen könnte es schon in zwei Jahren so weit sein.

Zumindest erwägen viele Firmen, Funkchips einzusetzen, bestätigt Jens Strüker, Wirtschaftsinformatiker an der Universität Freiburg, der jüngst 300 Unternehmen dazu befragt hat. In einem Projekt mit der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) möchte er Weinflaschen mit Funkchips ausstatten. In der ersten Jahreshälfte 2008 sollen ausgewählte Supermärkte probeweise mit den RFID-Flaschen beliefert werden.

„Bei Weinen werden viele Daten erhoben, die für den Verbraucher relevant wären, die er aber heute aufgrund des begrenzten Platzes auf dem Etikett nicht zu sehen bekommt“, schildert Strüker die Motive hinter dem Projekt. Beispielsweise wären die Schwefel- und Histamin-Gehalte für Allergiker wichtig. Medaillen und Auszeichnungen könnten die Aufmerksamkeit der Weinliebhaber wecken.

Gemeinsam mit den Projektpartnern wird Strüker im April 2008 in ausgewählten Supermärkten ein Informationsterminal aufbauen, an dem sich die Kunden dank der Funk-Botschaften der RFID-Chips über die Weine informieren können. „Durch solche Zusatzinformationen konkurrierten deutsche Weine nicht länger primär über den Preis mit ausländischen Weinen“, glaubt Strüker. „Der Handel könnte außerdem erfahren, wann die Kunden welchen Wein kaufen und welche Informationen die Kaufentscheidung beeinflussen.“

Dass die Flaschen mit dem funkenden Chip im Glascontainer zum Problem werden, kann sich Strüker nicht vorstellen. „Da wird man Lösungen finden. Das wird etwas kosten, aber ich glaube nicht, dass das RFID aufhalten wird.“

Gliesche sieht das anders. Er kann bislang kaum Initiativen beobachten, die das Entsorgungssystem auf die Flut der Funkchips vorbereiten sollen: „Man hat den Eindruck, dass viele davon ausgehen, das Problem werde sich von selbst lösen“, wundert er sich. In seinen Augen wird sich der Kollaps der Müllwirtschaft so nicht abwenden lassen.

Bücher: Robert Schoblick, Gabriele Schoblick: „RFID Radio Frequency Identification“, Franzis Verlag 2005, ISBN-13: 978-3772359200, 39,95 Euro. Andrea Gritsch: „RFID im Einzelhandel. Chancen – Risiken – Revolution“, Vdm Verlag Dr. Müller 2006, ISBN-13: 978-3865503916, 49,00 Euro. ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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