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Buntes Treiben in antarktischen Gewässern

Erde|Umwelt

Buntes Treiben in antarktischen Gewässern
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Was schwindende Schelfeismassen enthüllen: Die Unterwasserwelt in der Antarktis ist viel Artenreicher als bislang angenommen. Bild: Julian Gutt / AWI
Meeresforscher haben in den Meeren um den antarktischen Kontinent eine unerwartete Fülle von Leben entdeckt. Unter Schelfeis und in der Tiefsee haben sich Lebensformen entwickelt, deren Vielfalt die Wissenschaftler völlig überraschte. Möglich wird dieser Artenreichtum durch Abwärtsströmungen, die Nahrung von der Meeresoberfläche schnell in große Tiefen transportiert.

Es begann mit einem gigantischen Crash: Innerhalb von nur vier Tagen brach im Januar 1995 an der antarktischen Halbinsel eine 1.600 Quadratkilometer große Schelfeisplatte in Stücke. Mehrere tausend Jahre hatte dieses Eisstück stabil ein ebenso großes Stück Meer bedeckt – jetzt war in dem sich stetig erwärmenden Klima Schmelzwasser entstanden, ins Eis eingedrungen und hatte die Platte mürbe gemacht, bis sie barst. Ein weiteres, sogar fast doppelt so großes Eisstück ging im antarktischen Sommer 2001/2002 zu Bruch. So beunruhigend dieser Eisschwund für Klimaforscher auch ist: Für Meeresforscher erwies er sich als Glücksfall, denn das Meeresleben, das unter dem schwindenden Eis zum Vorschein kam, war vielfältiger und reicher, als sie es sich je erträumt hatten. Je weiter die Forscher in diese antarktische Unterwasserwelt vorstoßen, desto mehr zeigt sich deren ungeheurer Variantenreichtum.

Einen detaillierten Blick auf die über Jahrtausende unter dem Eis verborgene Meereswelt konnten Biologen vom Forschungsschiff „Polarstern“ Anfang 2007 werfen. War diese Welt bisher nur über Bohrlöcher erreichbar gewesen, lag nun der gesamte Meeresboden vor ihnen. In Tiefen von 200 bis 300 Metern entdeckte das internationale Team um Expeditionsleiter Julian Gutt Leben, wie es sonst nur in der Tiefsee bei etwa 3.000 Metern anzutreffen ist: Mit Seegurken und Haarsternen gab es dort Lebewesen, die an den unter dem Eis nur spärlichen Zustrom von Nahrung angepasst sind, berichtet der Meeresökologe vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven in der Dezemberausgabe der Zeitschrift „bild der wissenschaft“.

Doch ergaben sich auch erste Hinweise, dass sich Flora und Fauna unter dem Meer bereits an den Wandel anpassten. So entdeckten die Forscher mit ihrem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeug Seescheiden und Glasschwämme, die offenbar im Begriff waren, das freigewordene Terrain in großer Zahl zu erobern. Dabei konnten die Biologen bei den beiden Schelfeisplatten, die im Abstand von mehreren Jahren zu Bruch gegangen waren, zwei unterschiedliche Phasen dieser Entwicklung beobachten.

Die Erforschung der riesigen ehemaligen Schelfeisflächen ist jedoch nur ein Teil eines umfassenden Forschungsprojekts namens „Census of Antarctic Marine Life“ (CAML), das sich zum Ziel gesetzt hat, das bisher nur wenig erforschte Leben in den antarktischen Meeren zu erkunden. Das Potenzial für Neuentdeckungen ist enorm: Alleine am arktischen Kontinentalsockel leben 17.000 Arten von mehr als fünf Millimetern Größe, schätzt Gutt. Erst 4.000 davon sind bekannt. „Bei jeder aufwendigen Expedition kommen vierzig, fünfzig neue hinzu“, berichtet der Meeresforscher.

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Voller Rätsel ist auch die Tiefsee um den Kontinent – ein Terrain, dessen Erforschung die „Polarstern“ zwischen 2002 und 2005 bereits in drei Expeditionen vorangetrieben hat. Bis zu 6.348 Meter tief drangen die Wissenschafter mit ihren Greifern, Stanzrohren und Netzen und förderten mehr als 700 neue Arten ans Tageslicht. „Diese unglaubliche Fülle hatten wir nicht erwartet“, erzählt Projektleiterin Angelika Brandt vom Zoologischen Institut der Universität Hamburg in „bild der wissenschaft“. Bisher waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass der Artenreichtum am Äquator am größten ist und zu den Polen hin abnimmt. Dieses Bild müssen die Meeresforscher nun revidieren.

Ursache für diese Vielfalt des Lebens könnte das trotz der Tiefe vergleichsweise üppige Nahrungsangebot sein. Sonst ist die Tiefsee als äußerst nahrungsarm bekannt, da die Lebewesen mit den „Brosamen“ vorlieb nehmen müssen, die von den oberen Wasserschichten nach unten sinken. Ganz unten kommt dabei nur das an, was nicht unterwegs schon als Nahrung weggeschnappt wurde.

Doch in der Antarktis scheinen andere Regeln zu gelten. Starke Abwärtsströmungen transportieren die Reste des regen Lebens von der Oberfläche schnell in die Tiefe. So fanden die Forscher in der arktischen Tiefsee Asseln, Würmer, Schnecken, Muscheln und Einzeller und als spektakulärsten Fund mehrere Arten fleischfressender Schwämme. Sie sind mit häkchenförmigen Tentakeln ausgestattet, mit denen sie vorbeischwimmende kleine Krebse schnappen können, um sie dann auszusaugen. Wie sich viele andere der neu entdeckten Arten ernähren, blieb den Forschern jedoch bisher ein Rätsel. Kommende Expeditionen sollen diese Fragen klären helfen.

Allerdings könnte den Wissenschaftlern bei der Erforschung dieser Meereswelt die Zeit davonlaufen: Die Temperaturen im Südpolarmeer steigen schneller an als anderswo, und das sensible Gefüge des Lebens reagiert darauf sehr empfindlich. So könnten manche Arten bereits verschwunden sein, bevor die Forscher sie überhaupt entdeckt haben.

ddp/wissenschaft.de – Ulrich Dewald
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