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Verwirrung im Bienenstock

Erde|Umwelt

Verwirrung im Bienenstock
Mit Sexualpheromonen irritieren Forscher die Varroa-Milbe, den blutsaugenden Todfeind der Honigbiene – eines von mehreren vielversprechenden Bienenschutzprogrammen.

Ein moderner Bienenstock passt wunderbar auf ein Dach über Berlin-Kreuzberg – das fand Erika Mayr schon vor Jahren. Jetzt blickt sie aus luftiger Höhe zum Alexanderplatz. Es ist warm in der Hauptstadt. Mayrs summende Honigproduzenten wuseln ein wenig schläfrig um ein halbes Dutzend Styroporkästen herum, die Heimstätten ihrer sechs Völker. Die Insekten sind beladen mit Pollen der städtischen Flora: Linde, Ahorn, Kastanie, Robinie und Kräuterpflanzen der nah gelegenen Prinzessinnengärten.

„Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, sagt die Stadt-Imkerin. Sie ist stolz darauf, dass sie in den vergangenen Wintern kaum Völkerverluste verkraften musste, im Gegensatz zu vielen anderen Imkern. Mayr ist hervorragend ausgebildet. Als Leiterin des Imkervereins Charlottenburg-Wilmersdorf hat sie vor allem einen Todfeind der Bienen im Blick: die Varroa-Milbe. Der Schädling vermehrt sich im Stock und saugt die Larven aus. Mayr hofft darauf, dass endlich ein biologisches Mittel gegen die Milben gefunden wird.

Das könnte schon bald der Fall sein. Auch Peter Rosenkranz imkert wie seine engagierte Kollegin schon seit über 30 Jahren. Der Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde ist an der Universität Hohenheim federführend an einem Forschungsprojekt zur biologischen Varroa-Bekämpfung beteiligt. Im Labor funktioniere die Methode gut, sagt der Wissenschaftler. In einem langwierigen Prozess hat sein Team die Sexualpheromone der Milbenweibchen entschlüsselt – ein ganzes Bouquet an Duftstoffen, mit denen sie ihre Verehrer anlocken.

Die Wissenschaftler haben zudem herausgefunden, dass die Männchen vor allem junge Weibchen befruchten und ältere verschmähen. Das brachte sie auf eine Idee: Sie stifteten Verwirrung, indem sie die Pheromone „künstlich“ unter die Milben brachten. Daraufhin begannen die Männchen, auch ältere Weibchen oder noch nicht geschlechtsreife Jungtiere zu begatten – fruchtlose Aktivitäten, aus denen kein Nachwuchs hervorging.

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„Im Labor hat das Ablenkungs- manöver die Zahl der erfolgreichen Begattungen vermindert“, berichtet Rosenkranz. „Die Vermehrung der Parasiten verlangsamte sich, weil die Jungweibchen weniger Eier legten.“ Die Nagelprobe steht allerdings noch bevor. Den Forschern muss es gelingen, den Pheromon-Cocktail effektiv in die verdeckelten Bienenbrutzellen im Stock einzubringen, wo die Milben logieren. Die ersten Versuche laufen bereits.

Das Projekt ist eines von vielen des deutschen Forschungsverbunds FIT BEE. Die beteiligten Wissenschaftler untersuchen beispielsweise, welche Krankheiten die Bienen bedrohen oder wie sich Pflanzenschutzmittel und Ernährungsbedingungen auf die Gesundheit der Tiere auswirken.

Hightech gegen Fortpflanzung

Forscher um Jay Evans von der amerikanischen Purdue University haben das gesamte Erbgut von Varroa entschlüsselt. Anschließend identifizierten sie die Gene, die die winzigen Spinnentiere für ihre Fortpflanzung brauchen. Mit einer Hightech-Methode, der sogenannten RNA- Interferenz, will Evans diese Gene nun ausschalten. „Einigen Forschern ist das bei anderen Milben bereits gelungen“, sagt der Wissenschaftler. Forscher aus den USA haben per RNA-Interferenz – mit der sich bestimmte Gene gezielt abschalten lassen – auch einen Parasiten namens Nosea lahmgelegt, der den Darm der Bienen befällt, genauso wie das gefährliche „ Flügeldeformations-Virus“ (englisch: Deformed Wing Virus), das die Flügel der Nutzinsekten verkümmern lässt.

„Klingt alles ganz gut“, kommentiert Rosenkranz, „birgt aber Risiken.“ Schließlich wird bei der RNA-Interferenz gentechnisch gearbeitet. Und niemand weiß, ob sich die verwendeten Erbgutschnipsel nicht als Rückstände im Honig wiederfinden und Gesundheitsschäden verursachen.

Stichwort Rückstände: Der Agrarwissenschaftler Peter Wallner, der wie Peter Rosenkranz in Hohenheim arbeitet, ist Experte für Rückstände von Pflanzen-, Insekten- und Pilzschutzmitteln in Honig und Blütenpollen. Er weiß, dass sich vor allem in Rapspollen erhebliche Mengen dieser Stoffe anreichern. Zwar „ist es schwierig, einen negativen Einfluss auf das Bienenvolk insgesamt nachzuweisen“, sagt Wallner. Dennoch meint er: „Gut tut der teilweise stark kontaminierte Pollen den Bienen wohl kaum.“ Ziel ist es daher, landwirtschaftlich genutzte Insektizide, Fungizide und Pestizide vom Bienenstock fern zu halten.

Die Europäische Union hat bereits drei Pflanzenschutzmittel aus der Gruppe der Neonikotinoide vorläufig verboten. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit bergen sie „ etliche Risiken für Honigbienen“. Das Verbot gilt für den Anbau von Mais, Sonnenblumen, Raps und Baumwolle. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Substanzen um Nervengifte, die das Orientierungs- und Kommunikationsvermögen der Bienen beeinträchtigen. Und das möglicherweise „schon in kleinsten Konzentrationen“, sagt Peter Rosenkranz. Allerdings sei das bislang nicht eindeutig nachgewiesen.

Die Landwirte wehrten sich zunächst vehement gegen das Verbot. Sie drohten damit, den Rapsanbau zurückzufahren, weil geeignete Alternativen für den Pflanzenschutz fehlen. Rosenkranz wünscht sich deshalb eine „konstruktive Diskus- sion zwischen Bauern und Imkern, denn die Bienenvölker brauchen den Raps“.

Sein Kollege Wallner sieht das ähnlich. Er hofft auf den Durchbruch von „Dropleg“ – einer speziellen Spritzapparatur, die an den Traktor angebracht wird. Anders als üblich sind dort die Spritzdüsen bis fast auf den Boden abgesenkt und besprühen nur die grünen Teile der Rapspflanzen. „Man fährt wie auf Kufen durch den Acker und spritzt von unten nach oben“, erklärt Wallner. So wird die „Chemo-Keule“ zwar auf dem Rapsacker ausgebracht, die Blüten bleiben jedoch weitgehend verschont. „Unsere Versuche verliefen sehr vielversprechend“, sagt er.

Anfangs standen selbst die landwirtschaftlichen Versuchsbetriebe dem neuen System skeptisch gegenüber. Viele vermuteten, die abgesenkten Spritzdüsen würden die Rapspflanzen zerstören. Doch das war selbst bei hoher Traktorgeschwindigkeit nicht der Fall. Und die Wirkstoffe verteilten sich hervorragend in den grünen Pflanzenteilen, während die Blüten beinahe frei von Spritzmitteln bleiben. Davon profitierten die Bienen: Sie brachten kaum noch chemische Fracht in ihr Heim. „Die Pollenvorräte im Stock sind wesentlich sauberer“, sagt Wallner. „ Zwischen konventionellem Spritzen und Dropleg liegen Welten.“

Derzeit prüfen die Hohenheimer, ob das neue Verfahren den Raps genauso gut vor Schädlingen schützt, zum Beispiel vor dem Rüsselkäfer, wie konventionelle Verfahren. Peter Wallner geht davon aus, dass sich die neue Methode bewähren wird. Und er rechnet mit einem großen Interesse der Landwirte.

Bienen ziehen größere Kreise

Jüngste Ergebnisse des Forschungsverbundes FIT BEE zeigen zwar, dass Bienen an Standorten mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung ihren Flugradius erweitern und so „ ganz ordentlich Pollen finden können“, weiß Peter Rosenkranz. Doch sie belegen auch, dass die Insekten unter den erschwerten Bedingungen leiden: Sie bringen weniger Fracht nach Hause. Immerhin: „Blühprogramme an diesen Standorten wirken sich positiv aus“, erklärt Werner von der Ohe vom Institut für Bienenkunde in Celle.

Auch die Bienenvölker von Stadtimkerin Erika Mayr gedeihen hervorragend – weil es in der Stadt wärmer ist als auf dem Land, weil keine Chemo- Keule die summenden Sammler bedroht und weil das Nahrungsangebot stimmt. „Schon bald“, freut sie sich, „werde ich wieder Honig ernten. Es gibt einfach nichts Schöneres!“ •

von Klaus Wilhelm

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