Eine im Jahr 2013 erschiene Studie hat erstmals belegt, dass unsere modernen Städte nach einem Prinzip wachsen, das die Forscher „urban scaling“ nannten. Demnach bilden Stadtbevölkerungen eine Art „sozialen Reaktor“, wodurch eine derartige Effizienz und Produktivität entsteht, dass die Gemeinschaft schließlich ein Überangebot an Infrastruktur, Waren und Dienstleistungen hervorbringt. Das bietet wiederum mehr Menschen Lebensmöglichkeiten und so wächst eine Stadt. Dieses Prinzip weist ein erstaunliches Maß an mathematischer Regelmäßigkeit und Vorhersagbarkeit auf, berichteten die Forscher.
Ein Kongress verbindet zwei Forscher
Als Luis Bettencourt von der University of North Carolina in Chapel dieses „urban scaling“ Konzept auf einem Kongress 2013 präsentierte, kommentierte der Anthropologe Scott Ortman von der University of Colorado in Boulder: Dieses Prinzip könnte nicht nur auf die modernen Städte zutreffen, sondern war vermutlich auch schon das Regelwerk beim Wachstum der Großstädte vergangener Zivilisationen. Diese Aussage stand am Anfang der Zusammenarbeit der beiden Forscher: Sie wollten herausfinden, ob sich die Vermutung von Ortman tatsächlich nachweisen lässt.
Um der Frage nachzugehen, erfassten sie systematisch archäologische und historische Daten über die präkolumbianischen Stadtstrukturen im dem Bereich, in dem sich heutzutage Mexiko City befindet. Das Datenmaterial umfasste dabei einen Zeitrahmen von 2.000 Jahren und vier indianische Kulturepochen. Als letzte große indigene Großstadt stand auf dem Gebiet Tenochtitlan – die Hauptstadt der Azteken. Vermutlich lebten hier vor der Zerstörung durch die Spanier über einhunderttausend Menschen. Tenochtitlan war damit zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine der größten Städte weltweit.
Was prägte die Entwicklung der indianischen Städte?
Für ihre Studie analysierten die Forscher die Dimensionen von tausenden von Gebäuden und städtischen Strukturen, um Rückschlüsse auf die Bevölkerungsdichten, das Ausmaß von Infrastrukturen, deren Nutzung und Weiterentwicklung ziehen zu können. Nach ihren Auswertungen kamen sie schließlich zu dem Ergebnis: Auch bei den urbanen Entwicklungsgeschichten der untergegangenen Zivilisationen in Mexiko zeichnet sich das Prinzip des urban scalings ab: Je größer die Siedlungen wurden, desto mehr stieg auch deren Produktivität.
„Es wurde immer behauptetet, dass sich unsere moderne Welt durch den Kapitalismus, die Industrialisierung und Demokratie radikal von historischen Welten unterscheidet“, sagt Ortman. „Wir haben nun hingegen festgestellt, dass die fundamentalen Triebkräfte, die unsere modernen Städte prägen, schon immer da waren“. Bettencourt fügt hinzu, dass die Grundursache dafür wohl die sozialen Netzwerke sind, die sich in Gesellschaften stets in ähnlicher Weise herausbilden. Die beiden Forscher wollen nun am Ball bleiben: Sie planen auch weitere historische Siedlungsstrukturen überall auf der Welt zu analysieren, um Faktoren aufzudecken, warum städtische Systeme entstehen, wachsen und irgendwann kollabieren.