Diese verordnete Abstinenz könnte bald passé sein, hoffen zumindest Wissenschaftler: In ihren Laboren erschaffen sie für Allergiker verträglicheres Obst und Gemüse. Die Ernährungswissenschaftlerin Yvonne Lorenz erhielt Anfang März den Max-Rubner-Preis der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für eine Tomatensorte, die von Allergikern besser vertragen werden könnte. „Möglicherweise könnte die angewandte Technik den eingeschränkten Speiseplan von Allergikern aufheben und dadurch deren Lebensqualität verbessern“, lobt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung die Arbeit.
Die Technik, der hier ein so großes Potenzial bescheinigt wird, ist eine spezielle Methode der grünen Gentechnik: die so genannte RNAi-Technologie. Bei diesem Verfahren wird jenes Gen in Ketten gelegt, das in den Zellen für den allergieauslösenden Stoff verantwortlich ist. Als Handschellen für das Gen dienen künstliche Erbgutstücke, die gezielt eingeschleust werden. Nachdem das frevelhafte Gen ausgeschaltet ist, wird in den Pflanzenzellen so gut wie kein Allergen mehr erzeugt. Bildhaft ist auch vom „Knock-out-Gemüse“ die Rede.
Lorenz verbannte zusammen mit dem Gentechnologen Uwe Sonnewald von der Universität Erlangen-Nürnberg eine allergieauslösende Substanz aus den Tomaten, das Lipidtransferprotein. „Dieser Eiweißstoff ist im mediterranen Raum für Allergien mit sehr schweren Symptomen verantwortlich, bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock“, erläutert Lorenz. Außerdem kommt die Substanz in vielen anderen Obst- und Gemüsesorten vor.
Das Lipidtransferprotein ist einer der Drahtzieher für Nahrungsmittelallergien und war damit prädestiniert für ein Knock-out. „Die Pflanze sieht genauso aus wie eine herkömmliche Tomatenstaude“, betont Lorenz. Getestet haben die Forscher die Tomaten auf der Haut spanischer Allergiker, die normalerweise keine Tomaten vertragen. Bei drei von fünf Probanden zeigte die gentechnisch entschärfte Sorte keine Reaktion. Bei den beiden übrigen Testpersonen rötete sich die Stelle nur schwach. Dass die Forscher nur einen Teilerfolg verbuchen können, erklärt Lorenz so: „In der Tomate stecken mehrere Allergene. Jeder Allergiker spricht auf unterschiedliche Stoffe an.“ In ihrem Projekt wurde jedoch nur das Lipidtransferprotein in Ketten gelegt.
Bei ihren Untersuchungen stieß die Arbeitsgruppe überdies auch an die Grenzen des Knock-out-Ansatzes. Als Sonnewald sich einen anderen allergieauslösenden Stoff in der Tomate, das Profilin, vorknöpfte und das zugehörige Gen fesselte, kümmerte die Pflanze vor sich hin. Sie wuchs langsam, trug weniger Blüten und kleinere Früchte. „Man kann nicht jedes Allergen aus Obst oder Gemüse entfernen. Vor allem dann nicht, wenn es andere lebenswichtige Funktionen in der Pflanze übernimmt und wie das Profilin zum Beispiel das Wachstum steuert“, hält Lorenz fest.
„Es ist immer die entscheidende Frage, ob die Knock-out-Pflanzen lebensfähig sind“, bestätigt Karin Hoffmann-Sommergruber vom Zentrum für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Wien. Sie hat Äpfel mit weniger Allergenen im Rahmen eines EU-Projekts entwickelt. In den Blättern der jungen Bäume lag der Allergengehalt um neunzig Prozent niedriger als in der unveränderten Sorte. Ob die Äpfel den Allergikern tatsächlich bekommen würden, konnten die Forscher jedoch nicht überprüfen. Bis die Setzlinge zu Bäumen herangewachsen sind und erste Früchte abwerfen, vergehen noch Jahre. „Es ging nur darum, zu zeigen, dass die Pflänzchen lebensfähig sind. Das sind sie“, sagt Hoffmann.
In dem EU-Projekt wurde auch die Haltung der Verbraucher ermittelt. Interviewer befragten jeweils 150 potenzielle Konsumenten aus Österreich, Holland und Spanien, ob sie den Knock-out-Apfel verzehren würden. Das Votum der Befragten viel dabei deutlich gegen die gentechnisch veränderte Frucht aus: In Österreich wollte keiner den Apfel anrühren. In den Niederlanden entschieden sich nur fünf Prozent dafür. Immerhin zehn Prozent würden in Spanien hineinbeißen.
„Es gibt im Augenblick keine Bereitschaft, solches Obst oder Gemüse zu essen. Daher forschen wir in dieser Richtung jetzt nicht weiter, weil das haarscharf an dem vorbeigehen würde, was die Konsumenten wünschen“, zieht Hoffmann schonungslos die Konsequenz. Sie hofft, dass der Dialog mit den Bürgern deren Einschätzung im Laufe der Jahre ändert.
Mangels Akzeptanz soll weder die Tomate noch der Apfel kommerzialisiert werden. Anders sieht die Situation in den USA aus. Das Unternehmen Simplot sieht ein großes Potenzial in allergenarmen Sorten. Es hat ermittelt, das drei Viertel der Betroffenen die Lebensmittel essen würden, auch wenn sie gentechnisch verändert sind.