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Die Landschaft der Universen

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Die Landschaft der Universen
Der Traum vieler Physiker ist es, eine Theorie zu finden, die buchstäblich alles erklärt: Alle Naturgesetze, die wir kennen. Wie unser Universum entstanden ist. Und vor allem, warum in unserem Universum ausgerechnet die ganz speziellen Naturgesetze gelten, die lebensfreundliche Bedingungen und schließlich uns Menschen hervorbrachten. Als vielversprechendster Kandidat dieser „Theorie von Allem“ gilt die Stringtheorie, der zufolge die physikalischen Elementarteilchen aus schwingenden Fäden – den Strings – bestehen. Doch der Schock war groß, als Leonard Susskind im Jahr 2003 feststellte, dass die Stringtheorie nicht nur einen bestimmten Satz von Naturgesetzen zulässt, sondern nahezu unendlich viele. Neue Berechnungen dreier Physiker, darunter Andrei Linde, der wie Susskind an der Stanford-Universität lehrt, zeigen nun, dass es noch Hoffnung darauf gibt, eine Erklärung für unsere speziellen Naturgesetze zu finden.

Die Stringtheorie führt ein Prinzip fort, das Albert Einstein bereits in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie benutzt hatte: Gravitation gibt es dort, wo die vierdimensionale Raumzeit gekrümmt ist. Die Raumzeit besteht aus den drei Raum- und der einen Zeitdimension unseres Universums. Wollte man sich die Krümmung eines vierdimensionalen Objektes bildlich vorstellen, dann müsste man in fünf Dimensionen denken können. Hilfreich ist es deshalb, sich unser Universum wie ein straff gespanntes Gummituch vorzustellen. Legt man eine schwere Masse wie die Sonne auf dieses Tuch, dann entsteht an dieser Stelle eine Mulde. Eine kleine Masse, die man in der Nähe der Mulde auf das Gummituch legt, rollt in die Mulde hinein – sie wird von der Sonne angezogen. Stößt man die kleine Masse dagegen wie eine Roulettekugel an, dann umkreist sie die Mulde, ohne in sie hineinzufallen – so, wie die Erde die Sonne umkreist.

Zeit seines Lebens hat Einstein vergeblich versucht, seine Allgemeine Relativitätstheorie so zu erweitern, dass sie außer der Gravitation auch die anderen drei physikalischen Grundkräfte beschreibt. Genau wie die Gravitation sollten die anderen Kräfte durch eine Raumkrümmung erzeugt werden. Dazu griff Einstein Ideen auf, die Oskar Klein und Theodor Kaluza in den 1920er Jahren entwickelt hatten. Die beiden hatten versucht, Gravitation und elektromagnetische Kraft zu vereinen. Die Spielfläche der „elektromagnetischen Krümmung“ sollte eine zusätzliche fünfte Dimension sein, die wir nicht wahrnehmen können, weil sie auf kleinstem Raum zusammengerollt ist.

In der Stringtheorie, die versucht, alle vier physikalischen Grundkräfte zu vereinigen, gibt es insgesamt zehn Dimensionen: neun Raum- und eine Zeitdimension. Diese Anzahl haben sich Physiker nicht etwa willkürlich ausgedacht, sondern sie ergibt sich zwingend, wenn man versucht, Gravitation, elektromagnetische Kraft sowie die schwache und die starke Kernkraft zusammen mit den Prinzipien der Quantenmechanik mathematisch widerspruchsfrei zu beschreiben. Bei neueren Versionen der Stringtheorie kommt noch eine weitere Raumdimension hinzu.

Allein schon die Tatsache, dass wir in unserem Universum nur drei Raumdimensionen wahrnehmen, legt nahe anzunehmen, dass die überzähligen sechs Dimensionen auf kleinstem Raum zusammengerollt sind. Beispielsweise kann man ein zweidimensionales Blatt Papier zu einem „Schlauch“ zusammenrollen. Ist der Radius des Schlauchs klein genug, dann erscheint er aus genügend großer Entfernung betrachtet wie ein eindimensionaler Strich. Auf diese Weise könnten alle sechs überzähligen Dimensionen unserer Wahrnehmung entzogen sein.

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Der springende Punkt ist nun: Genauso wie die Krümmung der Raumzeit in der Allgemeinen Relativitätstheorie die Gravitation erzeugt, so erzeugen die geometrischen Eigenschaften der zehn Dimensionen der Stringtheorie alle physikalischen Grundkräfte. Und nun kommt das Problem, auf das Leonard Susskind hinwies: Es gibt eine riesige Anzahl von Möglichkeiten, verschiedene geometrische Konfigurationen dieser zehn Dimensionen zu erzeugen. Zusammen mit weiteren geometrischen Variationsmöglichkeiten ergibt sich die ungeheure Anzahl von 10 hoch 500 (eine Eins mit 500 Nullen!). Beispielsweise können zwei Dimensionen die Oberfläche einer Kugel oder eines Schlauchs bilden. Einen Schlauch kann man an den Enden zusammenfügen, so dass ein Reifen entsteht usw. Während die Anzahl derartiger Möglichkeiten bei zwei Dimensionen noch überschaubar bleibt, sind sie in zehn Dimensionen schier unbegrenzt.

Zur Verdeutlichung: Jede dieser unzähligen Geometrie-Konfigurationen steht für einen bestimmten Satz von Naturgesetzen. Und von diesen unzähligen verschiedenen Konfigurationen erzeugt nur die spezielle Konfiguration unseres Universums die uns bekannten vier physikalischen Grundkräfte mit den zugehörigen Elementarteilchen. Alle anderen Konfigurationen würden völlig andere, aus unserer Sicht vollkommen exotische Gesetze und Universen hervorbringen.

Damit müsste man eigentlich eines der Ziele der Stringtheorie begraben, nämlich mit eindeutig festgelegten Gesetzen zu erklären, warum unser Universum gerade so ist, wie es ist, und warum in ihm gerade die uns bekannten Naturkräfte herrschen. Zwar kratzt Susskinds Einwand nicht an der Hoffnung, die „Metagesetze“ der Stringtheorie eindeutig zu bestimmen – also die Gesetze, die unter anderem regeln, wie die Naturgesetze der einzelnen Universen entstehen. Aber aufgrund dieser Metagesetze ist die Existenz eines Universums mit unseren speziellen Naturgesetzen nicht wahrscheinlicher als die eines Universums, in der irgendeine der anderen Geometrie-Konfigurationen verwirklicht ist. Genauer: Die Wahrscheinlichkeit für die Existenz unseres speziellen Universums ist eins geteilt durch 10 hoch 500, also praktisch Null.

Nun wissen wir, dass unser Universum existiert. Eine Theorie, aus der folgt, dass die Wahrscheinlichkeit für die Existenz unseres speziellen Universums so gut wie Null ist, gibt deshalb nicht wirklich eine gute Figur ab. Doch bevor man die Theorie verwirft, sollte man prüfen, ob es wirklich gerechtfertigt ist, jeder der 10 hoch 500 Geometrie-Konfigurationen die gleiche Wahrscheinlichkeit zuzuordnen. Zum Vergleich: Die Wahrscheinlichkeit, mit einem Würfel ein Sechs zu werfen, ist nur dann ein Sechstel, wenn der Würfel nicht gezinkt ist. Bei einem gezinkten Würfel erhält man eine andere Wahrscheinlichkeitsverteilung, bei der die Chance auf eine Sechs beträchtlich erhöht sein kann.

Jetzt kommt Andrei Linde ins Spiel, der vor zwanzig Jahren die Theorie vom „Sich selbst reproduzierenden, inflationären Universum“ entwickelte. In Grundzügen kann man diese Theorie wie folgt zusammenfassen: Ein Universum, dessen Vakuum eine positive Energie besitzt, dehnt sich gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie aus. Aufgrund von Quantenfluktuationen – das sind zufällige Schwankungen des Wertes der Vakuumenergie – kann es dazu kommen, dass die Vakuumenergie in irgendeinem winzigen Teil des Universums kurzzeitig sehr groß wird. Das ist zwar extrem unwahrscheinlich. Aber wenn man lange genug wartet, wird es irgendwann irgendwo passieren. In diesem Moment dehnt sich dieser winzige Raumbereich explosionsartig aus. Auf diese Weise entsteht innerhalb des alten Universums eine Blase mit einem neuen Universum. In Lindes Theorie wiederholt sich dieser Prozess unaufhörlich. Innerhalb von bereits existierenden Universen entstehen immer wieder neue Universen.

Zurück zur Stringtheorie: Jede der vielen möglichen Geometrie-Konfigurationen hat eine bestimmte Energie. Das ist vergleichbar mit der Geometrie von Seifenblasen. Seifenblasen mit der niedrigsten Energie sind kugelförmig. Deshalb neigen kompliziertere geometrische Gebilde zusammenhängender Seifenblasen dazu, sich einer Kugelform anzunähern. Die Energie, die ein Universum aufgrund der geometrischen Anordnung seiner zehn Dimensionen hat, ist seine Vakuumenergie. Genau wie bei den Seifenblasen können Geometrie-Konfigurationen mit höherer Energie in solche mit niedrigerer Energie zerfallen. Dabei entsteht ein Universum, das völlig andere Naturgesetze hat als das Universum, aus dem es hervorgegangen ist.

Lindes Version der Inflationstheorie mit der Stringtheorie kombiniert ergibt dann folgendes Bild: In Universen mit einer höherenergetischen Geometrie-Konfiguration können Blasen neuer Universen mit niedrigerer Vakuumenergie entstehen. „Angestoßen“ wird der Übergang zwischen den Vakuumenergien bzw. zwischen den Geometrie-Konfigurationen wie in Lindes ursprünglicher Theorie von einer kurzzeitigen Vakuumfluktuation. Mit einer gewissen geringen Wahrscheinlichkeit ist – ebenfalls aufgrund von zufälligen Quantenfluktuationen – auch das Umgekehrte möglich, nämlich der Wechsel von einer niedrigen Vakuumenergie zu einer höheren. Solange die neue Vakuumenergie noch positiv bleibt, wird sich die neu entstandene Universumsblase wieder ausdehnen und selbst weitere Universen „gebären“. Der Prozess endet bei Universen mit negativer Vakuumenergie, die in sich kollabieren.

Dieses Bild von vielen Universen, die immer weiter neue Universen hervorbringen, macht es nun wahrscheinlich, dass jede noch so unwahrscheinliche Geometrie-Konfiguration irgendwann irgendwo einmal verwirklicht wird – auch diejenige unseres Universums. Doch befriedigender wäre es, wenn man etwas über die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Geometrie-Konfigurationen wüsste. Vielleicht käme dabei ja heraus, dass die Existenz eines Universums mit unseren Naturgesetzen wahrscheinlicher ist als die von anderen Universen.

Die ersten kleinen Schritte in diese Richtung haben jetzt Andrei Linde und seine Kollegen unternommen. Den Ausdruck „kleine Schritte“ muss man hier sehr wörtlich nehmen. Denn statt 10 hoch 500 verschiedene Universen zu untersuchen, versucht das Team um Linde es erst mal mit ganzen fünf Universen. Zusätzlich müssen sie einige Einschränkungen und Näherungen machen, um ihre Rechnungen überhaupt durchführen zu können. Mehr ist aufgrund der Komplexität und Vorläufigkeit der Stringtheorie derzeit kaum möglich.

Das Ergebnis: Die vielen möglichen Vakuumenergien verteilen sich auf die verschiedenen Universen „thermisch“, das heißt sie gehorchen einer ähnlichen Wahrscheinlichkeitsverteilung wie die Geschwindigkeiten von Gasmolekülen. Diese Verteilung wird in Lindes Näherungsrechnung jedoch zerstört, wenn Universen mit negativer Vakuumenergie entstehen. Solche Inseluniversen, wie Linde sie nennt, könnten die Menge aller Universen in zwei Teile zerlegen, die keinerlei „Kontakt“ mehr zueinander haben. Jedoch vermutet Linde, dass dieser „Inseleffekt“ bei realistischeren Rechnungen, als er sie derzeit durchführen kann, mit hoher Wahrscheinlichkeit verschwindet.

Was sagt uns das nun zu der Frage, warum unser Universum seine ganz speziellen Naturgesetze aufweist? Für sich allein genommen: gar nichts! Wir kennen jetzt zwar eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, aber wir wissen so gut wie nichts über die Objekte, die so verteilt sind, nämlich über die 10 hoch 500 verschiedenen Geometrie-Konfigurationen, die das Vakuum und die Naturgesetze eines Universums hervorbringen. Es ist äußerst schwierig und bisher nur mittels Näherungsrechnungen gelungen, für einige wenige Geometrie-Konfigurationen die entsprechende Vakuumenergie auszurechnen.

War Lindes Rechnung also vollkommen für die Katz? Nein, denn sie zeigt, dass Susskinds schockierende Feststellung darüber, dass die Stringtheorie eine riesige Menge verschiedenster Universen zulässt, nicht automatisch das Ende aller Erklärungsversuche für die Existenz des einen speziellen Universums sein muss, in dem wir leben. Es gibt Hoffnung darauf, Wahrscheinlichkeitsargumente dafür zu finden, dass die Existenz unseres Universums wahrscheinlicher ist als die von anderen Universen.

Und wenn alle Stricke reißen, dann bliebe als letzte Rettung immer noch das Anthropische Prinzip, das überspitzt formuliert in etwa sagt: Wenn wir nicht in einem Universum leben würden, dass gerade die besonderen Bedingungen bietet, die intelligentes Leben ermöglichen, dann gäbe es auch niemanden, der dumme Fragen nach einer Erklärung für die Existenz solch eines Universums stellt.

T. Clifton, Andrei Linde, Navin Sivanandam: Islands in the landscape, arXiv.org hep-th/0701083 Axel Tillemans Axel Tillemans wird im März 2007 an einigen Volkshochschulen zum Thema Stingtheorie einen Vortrag mit dem Titel „Naturgesetze sind keine Esel“ halten: Viersen (02.03.), Mönchengladbach (13.03.), Köln (14.03.), Düren (16.03.), Grevenbroich (20.03.), Frechen (22.03.), Aachen (26.03.).
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♦ Di|plom|che|mi|ker  〈[–çe–] m. 3; Abk.: Dipl.–Chem.〉 Chemiker mit abgeschlossener Hochschulbildung

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