Jetzt bringt ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern Licht ins Dunkel, berichtet das Magazin „bild der wissenschaft“ in seiner Januar-Ausgabe. „Wenn wir etwas über die Geoglyphen erfahren wollen, müssen wir nach den Menschen schauen, die sie gefertigt haben“, beschreibt Markus Reindel, Prähistoriker vom Deutschen Archäologischen Institut, die Motivation des gigantischen Unternehmens. Also vermaßen und erfassten die Forscher nicht nur alle Geoglyphen, sie untersuchten auch den Untergrund, die menschlichen Überreste und die Klima- und Siedlungsgeschichte rund um den Ort Palpa, etwas nördlich von Nasca gelegen, wo die Figuren ungewöhnlich dicht beisammen liegen.
Überraschenderweise stießen die Wissenschaftler dabei nicht nur auf Spuren der von 200 vor Christus bis 600 nach Christus reichenden Nasca-Kultur, sondern auch auf die zweier älterer Gesellschaften: der Paracas-Kultur, die etwa um 800 vor Christus begann, und auf Keramikartefakte einer Gruppe, „die wir zunächst gar nicht einordnen konnten“, so Reindel. Sie gehören wohl zu einer bislang nahezu unbekannten Kultur, die während der so genannten Initialzeit von 1800 bis 800 vor Christus dort ansässig war. Ergänzt wurden diese Funde schließlich von Daten, die die Klimaentwicklung rund um Palpa während der drei Perioden beschreiben.
Damit ergab sich ein relativ umfassendes Bild für die Forscher: Vor knapp 4.000 Jahren veränderte sich das Klima am Fuß der Anden, es wurde trockener und zwang die Menschen, sich in die Nähe der Fluss-Oasen zurückzuziehen. Wahrscheinlich als Folge dieser veränderten Lebensbedingungen begannen sie, Keramiken herzustellen und diese mit verschiedenen Figuren zu verzieren, beispielsweise mit katzenartigen Wesen. Etwa mit Beginn der Paracas-Kultur kratzten die Menschen diese Bilder Tiere, Menschen, Sterne und mythische Wesen dann auch in die Felsen, die ihre Flusstäler umgaben. Noch etwas später, Reindels Ansicht nach etwa seit 700 vor Christus, übertrugen sie die Darstellungen schließlich ins Gelände: Sie entfernten Steine von der Oberfläche oder häuften sie auf und schufen so bis zu dreißig Meter große Figuren an den Berghängen.
In der Nasca-Zeit veränderte sich das Klima abermals. Es wurde noch trockener und der Rand der nördlichen Atacama-Wüste verschob sich nach Osten in die Berge hinein. Als Folge davon verlegten auch die Menschen ihre Siedlungen in die Hochtäler der Gebirgsausläufer. Gleichzeitig veränderten sich die Erdbilder: Sie wurden nun auf den Hochflächen der Pampa angelegt, wurden größer und bestanden hauptsächlich aus geometrischen Figuren, Linien und Flächen.
Interessanterweise sind die Bilder zwar nur aus der Luft als Ganzes erkennbar, sehen kann man jedoch fast alle von jedem Punkt des Geländes aus. Und genau das war nach Ansicht von Reindel und seinen Kollegen beabsichtigt. „Die Geoglyphen waren nicht dazu da, angeschaut zu werden“, betont der Archäologe in „bild der wissenschaft“. Seine Schlussfolgerung: Die Figuren wurden für religiöse Rituale und Feste genutzt.
Hinweise darauf gibt es eine ganze Reihe. So fanden die Forscher entlang der Linien rituelle Gefäße und viele Steinhaufen, die Überreste typischer Opfergaben enthielten. Pfostenlöcher könnten Masten mit Wimpeln und Fahnen enthalten habe, und der Boden innerhalb der Linien ist sehr viel stärker verdichtet als außerhalb möglicherweise, weil viele Menschen darauf herumgelaufen sind. „Das spricht für Prozessionen, vielleicht mit Musik und Tanz, wie das ja auf den Keramiken dargestellt ist“, erklärt Reindel. Der Forscher ist sicher: Auf diese Weise wurde die unbelebte Natur in den Alltag der Palpa-Leute einbezogen. „Deswegen haben wir in den Siedlungen auch keine Tempel gefunden die ganze Landschaft war Kultbereich“.
Welche Religion innerhalb der Figuren ausgeübt wurde und wie Gesellschaft und Hierarchie in der Nasca-, der Paracas- und der Initialzeitkultur aufgebaut waren, darüber wissen die Forscher noch sehr wenig. Und daher wird der Mythos um das Gebiet um Nasca und Palpa wohl auch die nächsten Jahre nicht verschwinden.