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Tumoren unter Strom: Wie kurze Elektroschocks bei der Krebstherapie helfen sollen

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Tumoren unter Strom: Wie kurze Elektroschocks bei der Krebstherapie helfen sollen
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Das Prinzip der Elektrochemotherapie: In einem elektrischen Feld öffnen sich Poren in der Zellmembran und Wirkstoffe können besser eindringen (Bild: Cliniporator.com)
Mit kurzen elektrischen Pulsen bei hohen Spannungen wollen europäische Forscher die Effizienz einer Chemotherapie verbessern. Erste Studien mit der Elektrochemotherapie genannten Methode haben bei Tumoren auf oder unter der Haut bereits vielversprechende Ergebnisse erzielt. Ob sich die Methode jedoch jemals durchsetzen wird, halten deutsche Mediziner für fraglich.

Elektroschocks haben in der Medizin nicht gerade das Image einer sanften Behandlungsmethode. Das Gleiche gilt für die meisten Chemotherapien: Extreme Nebenwirkungen wie Haarausfall und schlimme Übelkeit sowie körperliche Folgeschäden machen diese Art der Krebsbehandlung für die Betroffenen äußerst unangenehm. Verblüffenderweise soll jedoch ausgerechnet eine Kombination dieser beiden Therapieansätze dabei helfen, Krebstumoren zu heilen – und zwar so sanft, dass es praktisch keine Nebenwirkungen gibt.

Im Labor ist das Prinzip dieser „Elektrochemotherapie“ getauften Methode bereits ein alter Hut. Schon seit mehr als zwanzig Jahren setzen Wissenschaftler kultivierte Zellen kurzfristig unter Strom, um chemische Substanzen oder auch fremdes Erbgut hineinzuschleusen. Der Trick dahinter: Als Reaktion auf extrem kurze elektrische Pulse mit einer hohen Spannung bilden sich in der äußeren Hülle der Zellen kleine Poren, die zwar nach kurzer Zeit wieder verschwinden, in der Zwischenzeit jedoch verschiedensten Stoffen den Zugang zum Zellinneren ermöglichen.

Einige der Stoffe, die auf diese Weise in die Zellen gelangen, entfalten dort ungeahnte Wirkungen. „Wir haben bereits 1987 entdeckt, dass eine Substanz namens Bleomycin tausend- bis zehntausendmal tödlicher wirkt, wenn sie mithilfe der elektrischen Felder in die Zellen eingeschleust wird“, berichtet der französische Wissenschaftler Lluis Mir gegenüber ddp. Da Bleomycin schon seit vielen Jahren in der Krebstherapie eingesetzt wird, lag es nahe, die Methode auch an Tumoren auszuprobieren. Die Franzosen behandelten also zuerst Krebsgeschwüre bei Tieren und dann bei ersten Freiwilligen mit der Kombination aus Chemotherapie und kurzen Elektroschocks – mit gutem Erfolg, betont Mir, der am französischen nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) arbeitet.

Auch andere Wissenschaftler arbeiteten mit der Elektrochemotherapie. Der endgültige Sprung aus der Forschung in die praktische Medizin scheiterte laut Mir jedoch daran, dass die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Geräte und unterschiedliche Vorgehensweisen verwendeten. „Ohne Standardvorgehen ist es jedoch sehr schwierig, eine neue Therapie zu prüfen“, erklärt der Forscher. Aus diesem Grund wurde 2003 das europäische Projekt ESOPE ins Leben gerufen: Unter Leitung von Mir arbeiteten Wissenschaftler von medizinischen Zentren in Irland, Slowenien, Frankreich und Dänemark an der Standardisierung der Methode und stellten Richtlinien für ihre Anwendung auf.

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Parallel dazu wurde die neue Therapie in mehreren europäischen Kliniken getestet. Behandelt wurden insgesamt 62 Patienten mit Tumoren auf oder direkt unter der Haut, bei denen andere Therapien nicht angeschlagen hatten. „Der Wirkstoff Bleomycin oder das ebenfalls häufig verwendete Chemotherapeutikum Cisplatin kann dabei auf zwei Arten verabreicht werden“, erklärt Mir den Verlauf der Therapie. Entweder bekommt der Patient eine Infusion, so dass das Medikament in den Blutkreislauf gelangt, oder der Wirkstoff wird direkt in den Tumor injiziert. Anschließend werden kleine Elektroden auf die betroffene Stelle aufgesetzt oder in das Gewebe gestochen und für Sekundenbruchteile unter Strom gesetzt. „Wichtig ist dabei nur, dass das elektrische Feld den Tumor vollständig umgibt“, so Mir.

Laut Projektleiter Mir verschwanden von den 171 behandelten Tumoren 75 Prozent vollständig und 11 Prozent verkleinerten sich deutlich. Auch Nebenwirkungen habe es praktisch nicht gegeben, so der Mediziner. Möglich macht das die drastisch reduzierte Wirkstoffdosis, die bei der Elektrochemotherapie etwa zwanzigmal niedriger ist als bei herkömmlichen Chemotherapien.

Die ESOPE-Forscher haben die klinischen Studien nun auf weitere Krankenhäuser in Italien, Spanien und Großbritannien ausgedehnt, weitere sollen so schnell wie möglich folgen. Auch eine Weiterentwicklung der Methode ist geplant, um sie beispielsweise auch während einer Operation einsetzen zu können.

Mirs deutsche Kollegen sind bei der Beurteilung der Methode allerdings nicht so euphorisch. „Das wird eine Nischenanwendung bleiben“, kommentiert beispielsweise der Buxtehuder Hautarzt Peter Mohr, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie. Seine Begründung: Die Elektrochemotherapie kann nur bei lokal begrenzten Tumoren eingesetzt werden, die sich fast immer operativ entfernen lassen. „In einem solchen Fall ist immer die Operation vorzuziehen, weil nur dann überprüft werden kann, ob der Tumor bereits gestreut hat“, erklärt Mohr. Lediglich an schwer zugänglichen Stellen sei die Elektrochemotherapie eine mögliche Alternative.

Die lokale Anwendung bringt auch noch einen weiteren Nachteil mit sich: Während herkömmliche Chemotherapien Krebszellen überall im Körper aufspüren und abtöten, kann die Elektrochemotherapie ausschließlich die Zellen des Primärtumors beeinflussen und mögliche Metastasen bleiben unbehandelt – und genau deren Ausmerzung ist das eigentliche Ziel einer Chemotherapie, erklärt Mohr.

ddp/wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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