Probiotische Lebensmittel enthalten spezielle Bakterienstämme, die der Gesundheit zugute kommen sollen. Die natürlichen Vorbilder dieser wohltuenden Bakterien leben im Joghurt und heißen Milchsäurebakterien. Sie können in geringem Umfang schädliche Mikroorganismen aus dem Darm vertreiben. Die Kulturen müssen dafür allerdings unbeschadet im Verdauungstrakt ankommen, da sie erst dort ihre Wirkung entfalten. Da die natürlichen Joghurtkulturen empfindsam gegenüber der aggressiven Magensäure sind, dringen jedoch nur wenige lebende Exemplare bis in den Darm vor.
„Das können spezielle Laktobazillen und Bifidobakterien wesentlich besser. Sie werden wegen ihren gesundheitsfördernden Eigenschaften als „probiotisch“ bezeichnet“, erklärt Michael de Vrese, Mitarbeiter an der Bundesforschungsanstalt für Lebensmittel und Ernährung in Kiel. Probiotische Keime werden eigens gezüchtet, damit sie die Magensäure genauso wie die Gallensäure und die Verdauungsenzyme möglichst zahlreich überstehen.
Dennoch können auch diese Bakterien normalerweise nur in einem joghurtartigen Milieu überleben: Sie zehren vom Milchzucker und brauchen ein angenehm feuchtes Klima. Süßwaren mögen die probiotischen Keime dagegen nicht freiwillig besiedeln. Das trockene Klima gefällt den stoffwechselaktiven Bakterien nicht, und sie gehen in der Kakaomasse rasch ein. Deshalb konnte man bislang keine probiotischen Schokoriegel oder Pralinen herstellen.
Doch nun haben Bonner Wissenschafter zusammen mit dem Unternehmen Rettenmaier und Söhne in Ellwangen einen Weg gefunden, die probiotischen Keime so zu verpacken, dass sie sich auch in Süßwaren wohl fühlen. „Wir schließen die Mikroben mit einem speziellen Verfahren in winzigen Kapseln ein“, erklärt Benno Kunz, Professor am Institut für Lebensmitteltechnologie in Bonn.
Die Kapseln sind mit bloßem Auge kaum zu erkennen. „Als Kapselwand dienen ganz normale Substanzen wie Gelatine und Eiweiße“, so Kunz. Auf diese Weise werden die Mikroben von der unwirtlichen Umgebung der Schokolade abgeschottet. Im Inneren der Minikapseln schwimmen die Bazillen in einer Milchzucker-Lösung.
Da die Kapseln keinen Eigengeschmack haben, lassen sie sich unbemerkt in herkömmliche Nahrungsmittel einmischen. „Auch ein deutscher Süßwarenhersteller hat schon angefragt, ob sich die Kapseln für seine Produkte verwenden lassen. In unserem Institut haben wir erste probiotische Süßwaren hergestellt“, sagt Kunz. Details will er allerdings nicht verraten. Derzeit werde geprüft, wie lange die Bakterien in den Kapseln überleben. In klinischen Studien konnten die Bonner Forscher bereits nachweisen, dass die Mehrzahl der Probiotika-Kapseln tatsächlich im Darm ankommt und sich dort öffnet.
In ihrem Ernährungsbericht aus dem Jahr 2004 erkennt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung an, dass die probiotischen Bakterienstämme im Darm bestimmte Durchfälle verkürzen und schädliche Stoffwechselprodukte verringern können. Auch stärken probiotische Kulturen die Abwehrkräfte, wie in mehreren wissenschaftlichen Studien belegt werden konnte. De Vrese fand außerdem heraus, dass die Bakterien eine gewöhnliche Erkältung rascher abklingen lassen. „Allerdings müssen die Keime mehrere Wochen lang regelmäßig gegessen werden, um überhaupt einen gesundheitsfördernden Effekt zu erzielen“, fügt er hinzu.
Kunz selbst bezweifelt, ob es vor diesem Hintergrund Sinn macht, gewöhnliche Schokolade mit den Probiotika aufzupeppen: „Es geht zwar aus technischer Sicht sehr gut. Aber die Frage ist doch, ob das beim Verbraucher einen falschen Eindruck erweckt, wenn Alltags-Süßigkeiten plötzlich als gesundheitsfördernd beworben werden“, hinterfragt er. „Wodka wird ja auch nicht gesünder, wenn er probiotisch ist.“ Nur in speziellen Süßigkeiten wären die probiotischen Kapseln seiner Ansicht nach gut aufgehoben: „Produkte wie Joghurtschokoladen könnten durchaus interessant für uns sein, da sie an sich schon Wert auf einen gesunden Inhalt legen. Bei Pralinen oder Diabetiker-Produkten sehe ich für die Kapseln einen großen Anwendungsbereich“.
„Ich könnte mir vorstellen, dass die Kapseln zum Beispiel ins Schokomüsli kommen werden“, ergänzt de Vrese. „Allerdings bezweifele ich, dass es Schokolade geben wird, die sich probiotisch nennen darf.“ Schließlich erwäge die EU-Kommission, Werbung mit Gesundheitseffekten bei ungesunden Lebensmitteln zu verbieten. Das würde dann auch für solche Produkte das Aus bedeuten.