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Pharmaforschung im Wettlauf mit der Zeit: HIV-Resistenzen verbreiten sich immer schneller

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Pharmaforschung im Wettlauf mit der Zeit: HIV-Resistenzen verbreiten sich immer schneller
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(Bild: Duke-Universität)
Die Zahl der HIV-Neuinfektionen erreicht dieses Jahr ein Rekordhoch – und immer mehr Viren sind inzwischen resistent gegen gängige Arzneimittel. Die Forschung vermag nicht so rasch neue Wirkstoffe zu entwickeln, wie das Virus sich wandelt.

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen steigt und steigt. Weltweit haben sich bereits 40 Millionen Menschen angesteckt. Kein Land der Welt konnte Aids bislang bremsen oder gar aufhalten. Auch Deutschland nicht: Die Zahl der Neuinfektionen lag hierzulande im ersten Halbjahr 2005 mit 1.164 um zwanzig Prozent höher als im Vorjahr, wie das Robert-Koch-Institut in seinem Halbjahresbericht feststellt. Der Präsident des Instituts, Reinhard Kurth, zieht eine ernüchternde Bilanz: „Die Entwicklung gibt Anlass zur Sorge. Weitere Anstrengungen sind nötig, um aufzuklären und zu vermitteln, dass es auch bei verbesserter Therapie keine Heilung der Erkrankung gibt.“

Die heutigen Therapien sind, wie Kurth andeutet, zwar nicht in der Lage, das HI-Virus zu beseitigen, können den tödlichen Erreger aber durch die Kombination mehrerer Wirkstoffe in Schach halten. „Wird mit einer Kombinationstherapie frühzeitig begonnen und diese konsequent ein Leben lang verfolgt, haben HIV-Positive heute eine ganz normale Lebenserwartung“, sagt Jan van Lunzen, HIV-Experte vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Knapp 40 unterschiedliche Präparate sind zur Behandlung zugelassen. Alle greifen den Erreger an und hindern ihn an der Vermehrung. Dadurch sinkt die Zahl der freien Erreger im Blut. Sie verschwinden allerdings nie, sondern ziehen sich lediglich in T-Zellen zurück und liegen dort lebenslang auf der Lauer.

Was den Medizinern trotz aller Erfolge jedoch große Sorgen bereitet, sind die zunehmenden Resistenzen: Gerade solche HIV-Stämme breiten sich immer rascher aus, gegen die verfügbare Medikamente wirkungslos sind. Mittlerweile gibt es gegen alle zugelassenen Präparate bereits Resistenzen. „In Europa finden wir bei jedem zehnten Neuinfizierten resistente Viren“, sagt van Lunzen. „Ich erwarte, dass sich diese Situation in der Zukunft weiter zuspitzt.“

„Verantwortlich für diese dramatische Entwicklung sind vor allem wenige Aids-Patienten, welche die Therapie zeitweilig ignorieren und damit später Mitmenschen in Lebensgefahr bringen“, erklärt van Lunzen. Werden die Medikamente nicht wie vorgeschrieben eingenommen oder wird mit der Therapie gar pausiert, gerät eine tödliche Kaskade ins Rollen: Sobald die Medikamente abgesetzt sind, erwacht das Virus aus seinem Schlummer. Es beginnt die Helferzellen des Immunsystems zu kapern und missbraucht sie, um sich selbst zu vermehren. Wird dann die Therapie wieder aufgenommen, verspürt der Erreger die Arznei und wird in die Knie gezwungen.

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Wenn sich jedoch medikamentenfreie Zyklen wiederholen, lernen die HI-Viren, sich vor den altbekannten Arzneimitteln zu ducken und ihnen schließlich zu entwischen. Das Virus wird resistent, indem es mutiert. Je mehr Viren vorhanden sind, desto größer ist die Chance, dass es einem einzigen tatsächlich gelingt, die Medikamente zu unterwandern. Dieser Ausreißer kann sich fortan ausbreiten, ohne dass es Mittel und Wege gäbe, ihn aufzuhalten.

Wird das resistente Virus auf andere Menschen übertragen, etwa durch ungeschützten Geschlechtsverkehr oder durch infizierte Spritzen, ist dies eine Katastrophe für die Menschheit und die Medizin. Die herkömmlichen Medikamente können dann den Ausbruch von Aids und schließlich den qualvollen Tod nicht verhindern.

Doch trotz der Therapieerfolge bei den unveränderten Erregern sollte man sich nicht in Sicherheit wiegen. „Die Therapien gegen Aids dürfen nicht dazu führen, dass junge Menschen die Krankheit nicht mehr ernst nehmen“, warnt Joachim Hauber, Professor am Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie an der Universität Hamburg. Die jüngsten Zahlen der Neuinfektionen lassen jedoch befürchten, dass genau dies teilweise geschieht. Für van Lunzen ist der Verdacht längst Tatsache: „Die Kehrseite der besseren Behandlungsmöglichkeiten ist, dass manche Menschen unvorsichtiger geworden sind.“

Im Wettlauf mit der Zeit konzentrieren sich die Forscher auf neue Taktiken, das Virus daran zu hindern, sich im Körper zu vermehren oder gar Resistenzen zu entwickeln. „Die künftigen Medikamente werden sich nicht nur gegen das Virus richten, sondern vermehrt an der Wirtszelle ansetzen“, erwartet Hauber. Solche Medikamente umgehen die Mutationsfreudigkeit des Virus und damit dessen Fähigkeit, Resistenzen zu bilden. Die Wirtszelle verhält sich genetisch weitgehend stabil. Ein entsprechendes Arzneimittel, ein so genannter CCr5-Antagonist, befindet sich gerade in der letzten Phase der klinischen Prüfung. Er verhindert das Andocken des HI-Virus an die Helferzellen, indem er den Angriffspunkt an den Zellen selbst besetzt.

„Es ist enorm wichtig, dass wir neue Strategien für neue Aids-Medikamente finden. Nur so kann der Wettlauf mit der Zeit gewonnen werden“, sagt Hauber. Dafür müsse man jedoch noch genauer wissen, wie sich das Virus in der Wirtszelle vermehrt und wie es das Immunsystem schädigt.

Einen bahnbrechenden Durchbruch in der Therapie erwarten die Mediziner in den kommenden Jahren nicht. „Die Palette der Arzneimittel wird breiter werden. Besser als die beste Therapie ist und bleibt aber die Prävention“, bekräftigt van Lunzen. Nur Behandlung und Vorbeugung zusammen könnten die weltweite Ausbreitung von Aids noch aufhalten.

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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