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Urzeitliches Seemonster

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Urzeitliches Seemonster
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So könnte der zwei Meter lange Anomalocaride ausgesehen haben (Marianne Collins, ArtofFact)
Vor rund 480 Millionen Jahren waren die Ozeane der Erde eine fremdartige Welt: Fische und Meeressäuger gab es noch nicht, stattdessen jagten riesige, krebsartige Wesen nach Beute oder filterten Plankton aus dem Wasser – die Anomalocariden. In Marokko haben Paläontologen jetzt den bisher größten und jüngsten Vertreter eines solchen filtrierenden Urzeit-Riesen entdeckt: Das Tier wurde mehr als zwei Meter lang. Das Fossil liefert darüber hinaus wichtige Erkenntnisse über die Einordnung der Anomalocariden im Tier-Stammbaum.

Die Anomalocarida galten als die Riesen des Kambriums: Vor mehr als 500 Millionen Jahren bevölkerten diese zwischen 60 und 120 Zentimeter langen, segmentierten Tiere die Ozeane. Sie besaßen keine Zähne, sondern nur weiche Hornplatten im Mund, dafür trugen sie daran zwei lange, gegliederte Greifer – vermutlich um die Nahrung zum Mund zu befördern. Viele dieser Urzeit-Wesen ernährten sich von Aas oder lebten räuberisch, einige wenige filterten jedoch auch mit reusenähnlichen Mundwerkzeugen Plankton aus dem Wasser – ähnlich wie heute die Bartenwale. Unklar ist bisher jedoch, wo die Anomalocariden im Stammbaum des Lebens anzusiedeln sind: Handelt es sich um ein Experiment der Evolution, einen schon bald wieder ausgestorbenen Seitenarm im Tierreich – oder gehören die bizarren Wesen vielleicht doch zu den fernen Vorläufern von Spinnen, Krebsen und Insekten?

Der „Blauwal“ des Ordovizium

Eine Antwort auf diese Fragen liefern nun die in der Fezouata-Gesteinsformation in Marokko entdeckten Fossilien. Sie stammen von einer bisher unbekannten Gattung der Anomalocariden, die vor 443 bis 485 Millionen Jahren lebte – und damit nicht im Kambrium, sondern im darauf folgenden Ordovizium. Aus diesem Zeitalter hat man bisher nur sehr wenige Anomalocariden-Fossilien gefunden. Doch die Neuentdeckung hat noch weitere Besonderheiten. So war das Fossil zu Lebzeiten ein echter Riese: Es maß vom Kopf bis zum Schwanzende zwei Meter, wie Peter Van Roy von der Yale University und seine Kollegen berichten. Das ist selbst für einen Anomalocariden sehr groß. Die Forscher tauften diese neue Gattung und Art daher Aegirocassis benmoulae. Aegir nach einen Riesen aus der nordischen Mythologie und Cassis – lateinisch Helm, wegen des ungewöhnlich großen Kopfschilds des Fossils.

Die gut erhaltene Kopfpartie zeigt, dass Aegirocassis benmoulae kein Räuber oder Aasfresser war, sondern zu den Filtrierern gehörte: An seiner Kopfunterseite hing ein Korb aus feinen Filterrippen, mit denen das Urzeit-Wesen kleine Plankton-Organismen aus dem Wasser filterte. Das Fossil ist damit der größte und bisher älteste Vertreter der Anomalocariden mit dieser Ernährungsweise – sozusagen der Blauwal des ordovizischen Meeres. „Die große Anzahl dieser gigantischen Anomalocariden-Filtrierer in der Gesteinsformation von Fezouata spricht dafür, dass es damals bereits ein komplexes planktisches Ökosystem gab“, sagen Van Roy und seine Kollegen. Denn sonst hätten die Tiere nicht genügend Nahrung finden können, um zu dieser gewaltigen Größe heranzuwachsen.

Am wichtigsten für die Aufklärung der Stammesgeschichte aber sind die Anhänge am Hinterleib des Fossils. Denn im Gegenteil zu vielen vorherigen Anomalocariden-Funden sind sie nicht nur gut konserviert, sie bestehen auch pro Segment aus jeweils zwei Lappen pro Körperseite. Die vom Rücken abgehenden Lappen tragen kiemenähnliche Anhänge und ähneln stark den Kiemen der Lobopoden,  einer weiteren sehr urtümlichen Tiergruppe, die als Urahn der heutigen Stummelfüßer gilt. Die Bauchlappen von Aegirocassis benmoulae entsprechen dagegen eher dem Stummelbeinen der Lobopoden. Nach Ansicht der Paläontologen spricht diese Aufteilung dafür, dass es sich bei den Anhängen um ferne Vorläufer des zweigeteilten Spaltbeins handelt – einem sehr ursprünglichen Merkmal der echten Gliederfüßer. Die Forscher stellen daher Aegirocassis benmoulae und auch die anderen Anomalocariden im Stammbaum an die Wurzel der Gliederfüßer. Die Riesen der Urzeit sind damit trotz ihres bizarren Aussehens keine exotische Sonderentwicklung der Evolution.

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Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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