Mittlerweile mehren sich jedoch die Zeichen aus der Forschung, dass die Sonne in den vergangenen Jahren zu Unrecht in ein derart schlechtes Licht gerückt wurde. Besonders aufsehenerregend: Die Sonne kann offenbar vor vielen Krebsarten schützen, wenn man ihre Strahlen täglich für kurze Zeit auf die Haut lässt.
Die ersten Hinweise über die schützende Wirkung der UV-Strahlung kamen für die Forscher selbst überraschend. So räumt William Grant vom Sunlight, Nutrition and Health Research Center in San Francisco bei einer Erhebung der Brustkrebsfälle quer durch die amerikanischen Bundesstaaten ein: „Das auffällige Nord-Süd-Gefälle kann nicht durch Unterschiede in der Ernährung oder andere Faktoren begründet sein. Nur die UV-Strahlung kann erklären, weshalb im Nordosten der USA fast doppelt so viele Frauen an Brustkrebs leiden wie im Südwesten.“
Wach gerüttelt durch das Ergebnis, verfolgte Grant den Zusammenhang weiter. Auch in Europa, so berichtet er, häufen sich die Brustkrebsfälle mit zunehmendem Breitengrad. Doch erst bei der Analyse anderer Krebsarten wird klar, dass er nur die Spitze eines Eisberges entdeckt hat: Eierstock-, Prostata-, Lymphknoten- und Dickdarmkrebs sind in den sonnenverwöhnten Gegenden ebenfalls seltener.
Setzt man die Sonnenexposition nicht mit dem Auftreten von Krebs, sondern mit dem Risiko, daran zu sterben, in Beziehung, fällt das Bild noch weitaus deutlicher aus: Bei 17 Krebsarten kann die während des Lebens getankte Sonnenstrahlung helfen, diesen in Schach zu halten und länger am Leben zu bleiben. Scheinbar paradox: Sogar das Melanom zählt dazu. Das ist jener Hautkrebs, der durch Sonnenbrände gerade erst begünstigt wird. Die Todesrate bei Menschen, die an diesem schwarzen Hautkrebs erkranken, ist geringer, wenn sie im Laufe ihres Lebens regelmäßig Sonne genossen haben. „Rund 20.000 Amerikaner müssten nicht vorzeitig sterben, wenn sie sich häufiger der Sonne aussetzen würden“, folgert Grant.
Der schützende Effekt der Sonne entfaltet sich über Vitamin D, das durch die UV-B-Bestrahlung in den Hautzellen gebildet wird. Vitamin D ist jedoch kein Vitamin im eigentlichen Sinn, sondern ein Hormon. In mehreren Laborversuchen wurde nachgewiesen, dass es das Wachstum von Tumorzellen hemmt. „Das Hormon beugt außerdem in zahlreichen Geweben der Krebsentstehung vor. Dafür sprechen neuere Untersuchungsergebnisse“, berichtet der leitende Oberarzt der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie des Universitätsklinikums des Saarlandes, Jörg Reichrath.
Ein Vitamin-D-Mangel entstehe häufig im Herbst und Winter, erklärt Reichrath. In dieser Jahreshälfte ist die UV-Strahlung in unseren Breiten relativ gering, und die Haut wird der Sonne oft nur unzureichend ausgesetzt. Etwa die Hälfte der Deutschen leidet deshalb an einem Mangel, schätzen Experten. Besonders Ältere und Menschen mit dunklerer Haut sind gefährdet, denn bei ihnen ist die Vitamin-D-Produktion der Haut naturgemäß gedrosselt. Auch Säuglinge und Kleinkinder zeigen häufig ein Defizit.
Das Sonnenstudio ist jedoch keine Alternative, da dort hauptsächlich UV-A-Strahlung verwendet wird und die erzeugt kein Vitamin D. „Die Möglichkeit, Vitamin D über die Nahrung aufzunehmen, ist sehr begrenzt: Neben Lebertran ist Vitamin D nur in wenigen weiteren Nahrungsmitteln wie im Fleisch einiger Fischarten, zum Beispiel Lachs und Makrele enthalten“, bewertet Reichrath.
Hingegen werde für eine ausreichende Menge Vitamin D im Körper relativ wenig Sonnenlicht benötigt. „Die Kunst besteht darin, das richtige Maß zu finden“, so Reichrath. Viele individuelle Faktoren wie Hauttyp, Tageszeit und Wohnort spielen eine Rolle. „Man sollte auf jeden Fall den Sonnenbrand vermeiden und lieber häufig und kurz als selten und lange in die Sonne gehen. Intensives Sonnenbaden ist genauso ungesund wie gar keine Sonne“, resümiert Reichrath.
Wissenschaftler haben kürzlich die Dauer eines optimalen Sonnenbades errechnet: Je nach Aufenthaltsort empfahlen sie jeden Tag einen 5- bis 15-minütigen ungeschützten Aufenthalt in der Sonne. Doch einen Freispruch für das stundenlange Aalen in praller Sonne mag kein Wissenschaftler geben – erst recht nicht, wenn die blasse Haut sonst im Dunkel eines Büros eingesperrt ist.