„Genen wurde in der Vergangenheit oft eine falsche Bedeutung beigemessen. Es kommt nicht nur auf deren Buchstabenabfolge an, sondern auch darauf, dass Gene durch Signale aus der Umwelt ständig an- und abgeschaltet werden“, erklärt Joachim Bauer, Professor der Abteilung Psychosomatische Medizin am Universitätsklinikum in Freiburg.
Jedes Gen wird von solchen Schaltern gesteuert. Sie können durch Umwelteinflüsse, etwa bei Stress, Ärger, Freude oder Trauer beeinflusst werden. Das geschieht über Signalstoffe, die am Gen andocken. „Wenn es hier zu Verstellungen kommt, dann werden wir krank“, sagt Bauer. Die Position des Schalters das „An“ oder „Aus“ entscheidet über das Wohlergehen eines Menschen.
Zum Beispiel gehört bei Brustkrebs zu jeder Tumorform ein charakteristisches Muster der Genschalter. Offenbar haben Lebensweise und äußere Einflüsse hier gewaltig ihre Finger im Spiel, indem sie die Hebel am Gen verstellen. Dem gegenüber ist das Risiko für Brustkrebs, das alleine die Buchstabenabfolge der Gene beisteuert, klein. „Tatsächlich tragen nur fünf Prozent aller Brustkrebspatientinnen Mutationen in den bekannten Brustkrebsgenen BRCA 1 oder BRCA 2. Alle anderen Brustkrebspatientinnen also die riesige Mehrheit wird ohne Erbfaktoren krebskrank“, betont Bauer. Das lässt erahnen, wie schwer die Einwirkungen der Umwelt auf die Gesundheit wiegen und wie bedeutend ein Angriffspunkt, nämlich der Schalter am Gen, sein muss.
„Es gibt fast keine Krankheiten, die nicht von der Umwelt mitbestimmt werden“, bekräftigt Klaus-Peter Lesch, Professor in der Klinik für Psychatrie und Psychotherapie von der Universität Würzburg. Nur ein bis zwei Prozent aller Erkrankungen sind rein erblich bedingt. Hierzu gehört die Atemwegserkrankung Mukoviszidose oder die Nervenerkrankung Chorea Huntington. Auch wenn in diesen Fällen die Krankheit mit dem Erbgut vorherbestimmt ist, kann die Schwere des Leidens über den Lebensstil gemildert werden.
Bei den meisten Krankheiten ist die erbliche Veranlagung nur der Rohbau. Leschs Team beschäftigt sich mit dem Einfluss der Umwelt auf Depressionen. Es gebe zwar einige unspezifische Risikogene, aber deren Einfluss sei jeweils äußerst gering. Die Gene könnten sich allerdings gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken und dadurch insgesamt das Risiko für eine Depression deutlich erhöhen.
Doch bevor es soweit kommt, hat die Umwelt ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Die Forscher zeigten zum Beispiel vor kurzem, wie das bei Stress abläuft. „Bei Stress werden Hormone wie Cortisol ausgeschüttet. Über diese Stresshormone werden Signalstoffe ausgesandt, die an bestimmte Genschalter andocken, die wiederum zur Folge haben, ob ein Gen aktiv ist oder nicht“, erläutert Lesch. Am Ende der Kaskade kann also Stress ein Gen an- oder abschalten. Die Gruppe um den Würzburger Forscher zeigte, dass eines der vielen Depressionsgene auf diesem Weg aktiviert wird.
Schon in der frühen Kindheit justieren Stresshormone offenbar die Empfindlichkeit des Genschalters. „Bei ausgewogener emotionaler Zuwendung kann das Kind selbst später besser mit Stress umgehen. Die Schalter der Gene werden in der frühen Entwicklungsphase offenbar robust eingestellt. Später können sie nicht so leicht wieder verändert werden“, äußert Lesch.
Das Gehirn verwandelt Erfahrungen aus zwischenmenschlichen Beziehungen in Botenstoffe. Diese Signale setzen biologische Reaktionsketten im Körper in Gang, die bis in die Zellen hinein und dort auf die Aktivität der Gene wirken. Auf diese Weise hinterlassen Freude, Trauer oder Hunger, kurzum alle erlebten Emotionen, am Genschalter ihre Handschrift. Bislang ist lediglich für Stress der genaue Mechanismus bekannt, wie das geschieht.
Doch die Forscher glauben, dass andere Umweltfaktoren ähnliche Kettenreaktionen auslösen, die den Schalter kippen. Gene sind niemals Schicksal, lautet das Fazit der Forscher. Sie sind der Rahmen, in dem unser Leben sich abspielt. Das Buch des Lebens ist ein Abenteuerroman, in dem nur die Rahmenhandlung feststeht. Es bleibt bis zum Ende unseres Lebens spannend.