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Antibiotika aus der Haut: Mediziner gewinnen aus dem größten Organ des Menschen wirksame Bakterienkiller

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Antibiotika aus der Haut: Mediziner gewinnen aus dem größten Organ des Menschen wirksame Bakterienkiller
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Vor etwa fünf Jahren wurden auf der menschlichen Haut erstmals natürliche Antibiotika entdeckt, die offenbar Teil des angeborenen Immunsystems sind. Mittlerweile sind rund zehn unterschiedliche Abwehrstoffe bekannt. Im Gegensatz zu handelsüblichen Antibiotika gibt es gegen die natürlichen Vertreter kaum Resistenzen. Mehrere Substanzen oder bauähnliche Verwandte werden derzeit in Studien an Patienten untersucht.

Ausgerollt wäre die Haut des Menschen knapp zwei Quadratmeter groß. Sie ist ein riesiges Organ, das den Körper von der Umwelt trennt, das Botschaften zwischen innen und außen übermittelt. Da nimmt es nicht Wunder, dass diese riesige Schutzhülle ihre eigenen Mechanismen der Verteidigung hat.

„In den neunziger Jahren entdeckten Wissenschaftler, dass die menschlichen Hautzellen verschiedene antimikrobielle Eiweiße herstellen“, erklärt Robert Bals, Internist und Lungenarzt an der Klinik für Innere Medizin des Klinikums der Philipps-Universität Marburg. Die Eiweiße schützen vor unerwünschten Eindringlingen: vor gefährlichen Viren, Bakterien und Pilzen, indem sie diese in Sekundenschnelle abtöten.

„Herkömmliche Antibiotika brauchen dafür Stunden“, sagt Lars Steinsträßer, Juniorprofessor an der Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte der Ruhr-Universität Bochum. Auch weil die Eiweiße so blitzartig zuschlagen, bleibt den Erregern kaum Zeit, Resistenzen auszubilden. „Mit diesen Substanzen könnten daher multiresistente Mikroben in naher Zukunft mit den eigenen Waffen geschlagen werden“, folgert Steinsträßer. Die natürlichen Substanzen wirken nicht nur spezifisch gegen einzelne Keime, sondern entpuppen sich als Wunderwaffe gegen Pilze, Viren, Bakterien und resistente Keime in einem.

Die natürlichen Antibiotika sind Teil des angeborenen Immunsystems, des ältesten Abwehrsystem bei Lebewesen überhaupt. Bakterien, Insekten und höhere Lebewesen bis hin zum Menschen verfügen daher über diese Schutzstoffe. Insgesamt sind inzwischen mehr als 900 unterschiedliche Stoffe bei verschiedenen Organismen gefunden worden. „Beim Menschen sind knapp zehn verschiedene antimikrobielle Eiweiße bekannt“, erklärt Steinsträßer. Fast monatlich kommen neue hinzu, ergänzt ein britischer Experte.

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Erst im November dieses Jahres berichteten Forscher der Universitätshautklinik in Kiel von ihrer Entdeckung, dass das Eiweiß Psoriasin die Haut vor Infektionen mit dem Coli-Bakterium schützt. Zum ersten Mal wurde damit am Menschen der Nachweis erbracht, dass die Eiweiß-Antibiotika auf der Haut Krankheitserreger abtöten, schrieben die Wissenschaftler im Fachblatt Nature Immunology. Nicht nur auf der Haut, auch in der Tränenflüssigkeit, im Magen-Darm-Trakt, in der Lunge und in weißen Blutzellen kommen die Antibiotika vor. Die meisten Schutzmoleküle sind der Stoffklasse der Defensine oder der Cathelicidine zuzurechnen.

Bei Verletzungen der Haut steigt der Gehalt der Helfermoleküle sprunghaft an. Die verwundete Haut muss besonders vor eindringenden Keimen auf der Hut sein. In jüngster Zeit mehren sich jedoch auch die Erkenntnisse, dass die natürlichen Antibiotika bei Hauterkrankungen aus dem Gleichgewicht geraten sind. „Bei Neurodermitis werden zu wenig der antimikrobiell wirksamen Eiweiße hergestellt. Das erhöht gleichzeitig das Risiko von Wundinfektionen der Haut“, berichtet Steinsträßer. Bei chronisch schlecht heilenden Wunden fehlen ebenfalls die Schutzstoffe auf der Haut, wogegen sie bei frischen Wunden im Übermaß vorhanden sind.

„Ein knappes Dutzend Firmen investiert in die Entwicklung von Arzneien auf Basis der natürlichen Antibiotika. Einige vielversprechende Kandidaten befinden sich in den Studien der klinischen Phase III – der letzten großen Hürde vor der Zulassung“, so Bals. Antimikrobielle Eiweiße aus Bakterien gibt es bereits als Arznei: So wird der Wirkstoff Colistin aus Bakterien gegen Lungenerkrankungen verabreicht und Cubicin kann seit gut einem Jahr bei infektiösen Hauterkrankungen gespritzt werden.

Die Antibiotika der menschlichen Haut sollen ebenfalls in neue Medikamente münden. „Wir untersuchen mehrere Defensine und Cathelicidine, weil diese die Neubildung von Blutgefäßen anregen“, erzählt Bals. Bei Gefäßverschlüssen oder bei der Wundheilung könnten diese Eigenschaften zum Tragen kommen. „Die meisten der Eiweiße haben nicht nur keimtötende Eigenschaften, sondern auch eine weitere Funktion wie etwa die Gefäßbildung, die für die Medizin weitaus bedeutender sein kann“, ist Bals überzeugt.

Ähnliche Ziele verfolgt Steinsträßer. Er sucht nach einem Mittel zu besseren Wundheilung und Therapie von Wundinfektionen bei Brandopfern und chronischen Wunden. „Wird ein mit antimikrobiellen Eiweißen getränktes Pflaster auf die offenen Verletzungen von Tieren gegeben, so sinkt die Zahl der Krankheitserreger darin um den Faktor 10 000 innerhalb weniger Stunden“, beschreibt der Mediziner. Sein Fazit: Die natürlichen Schutzstoffe haben das Zeug für eine völlig neues Konzept der Therapie.

ddp/bdw – Susanne Donner
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