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Schleimschuss mit Düseneffekt

Erde|Umwelt

Schleimschuss mit Düseneffekt
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Mundöffnung des Stummelfüßers im Raster-Elektronenemikroskop (Cristaino Sampaio-Costa)
Stummelfüßer nutzen eine raffinierte Jagdtaktik: Sie schießen einen weißen, schnell härtenden Schleim aus ihrem Mund und fangen damit selbst Beute, die viel schneller ist als sie selbst. Der schnell hin und her zuckende Schleim-Jet bildet dabei ein netzartiges Gefängnis. Das Erstaunliche daran: Der Schleim-Jet oszilliert viel schneller als es Mundwerkzeuge oder Muskeln des wurmähnlichen Tieres können. Wie es die Stummelfüßer schaffen, trotzdem dieses Schleimnetz zu produzieren, hat ein internationales Forscherteam nun herausgefunden.

Stummelfüßer sind seltsame Wesen: Die urtümlichen Verwandten der Gliederfüßer ähneln einem Wurm, der sich auf kurzen, stummeligen Beinchen vorwärts bewegt. Besonders schnell sind sie dabei nicht. Dennoch jagen die Fleischfresser Beute, die sehr viel größer und wendiger ist als sie selbst – darunter Asseln, Spinnen, Schaben und selbst Grillen. Dies gelingt den Stummelfüßern mit Hilfe ihrer Schleimkanone: Mit hoher Geschwindigkeit speien sie einen Schleimstrahl aus dem Mund, der hin und her oszilliert und so ihre Beute mit einem netzartigen Muster aus schnell härtenden Klebfäden überzieht. „Im Tierreich sind solche Jets gewöhnlich geradlinig“, erklären Andrés Concha von der Adolfo Ibañez Universität im chilenischen Santiago. „Wir kennen bisher nur drei Ausnahmen mit oszillierenden Jets: Stummelfüßer, Speispinnen und Speikobras.“ Kein Wunder, dass bereits Darwin das Sprühnetz der Stummelfüßer bewunderte und es für eine Vorform der Spinnennetze hielt. Doch wie die wurmähnlichen Tiere es schaffen, diese Jets zu erzeugen, blieb bisher rätselhaft.

Concha und seine Kollegen haben die schleimspuck-Technik der Stummelfüßer nun mit Hilfe von Hochgeschwindigkeits-Aufnahmen und Mikroskop genauer untersucht. Sie wollten vor allem herausfinden, womit die Tiere die schnellen Oszillationen erzeugen. Die High-Speed-Aufnahmen zeigten, dass die Stummelfüßer ihren Schleim mit einem Tempo von bis zu fünf Metern pro Sekunde ausschleudern. Die Mundpapillen oszillieren dabei im Millisekunden-Takt. Das Seltsame daran: Selbst die schnellsten Muskeln im Kiefer- und Mundbereich der Stummelfüßer benötigen eine halbe Sekunde für ein Zucken – sie sind demnach viel zu langsam, um diese Oszillation hervorzurufen. „Das stellt uns vor die offensichtliche Frage: Wie sind solche schnellen Richtungsänderungen ohne spezielle neuromuskuläre Kontrolle möglich?“, so die Forscher.

Mundkanal als Düse

Ein entscheidendes Indiz fanden sie bei der mikroskopischen Untersuchung des Stummelfüßer-Mundraums: Der Schleim wird aus seinem relativ großen Reservoir in einen düsenartig verengten Mundkanal gepumpt. Dieser ist im Ruhezustand akkordeonartig zusammengefaltet, dehnt sich aber kurz vor dem Schuss in die Länge. „Die spritzenartige Geometrie erleichtert die Beschleunigung des Schleims für den Jet“, erklären die Forscher. Aber nicht nur das: Die elastische Bauweise des Mundkanals ist auch der Schlüssel für die Oszillation, wie sie feststellten. Ähnlich wie ein Gartenschlauch chaotisch hin- und herschlägt, wenn das Wasser voll aufgedreht wird, solange er noch frei am Boden liegt, so schwingt auch der elastische Mundkanal der Stummelfüßer beim Schleimschuss. Ursache ist in beiden Fällen kein kontrollierter Prozess, sondern ein rein physikalisches Wechselspiel. Druck und Strömungsdynamik der Flüssigkeit interagieren dabei mit der Elastizität des Schlauchs beziehungsweise des Mundkanals.

Das Rätsel der Stummelfüßer-Schleim-Jets haben Concha und seine Kollegen damit gelöst – und sie haben herausgefunden, dass diese urtümlichen Gliederfuß-Verwandten eine einzigartige Technik nutzen. „Unsere Ergebnisse demonstrieren, wie  Organismen passive Strategien clever zu ihrem Vorteil nutzen und einsetzen können“, so die Forscher. Die Stummelfüßer benötigen weder Kopfbewegungen wie die Speikobra noch schnelle Zuckungen ihrer Mundwerkzeuge wie die Speispinnen, um ihre Schleimnetze zu bilden. Sie lassen stattdessen einfach die physikalischen Naturgesetze für sich arbeiten.

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Schleimattacke des Stummelfüßers Peripatus solozanoi

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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