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Warum Schlafwandeln bei Kindern besonders häufig ist

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Warum Schlafwandeln bei Kindern besonders häufig ist
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Fünf bis zwölf Jahre alte Kinder schlafwandeln unter allen Altersgruppen am häufigsten. Weshalb gerade sie besonders von dem Phänomen betroffen sind, könnten neue wissenschaftliche Erkenntnisse erklären: Schlafwandeln hängt mit der Entwicklung des Gehirns in der Kindheit zusammen. Experten sehen die nächtlichen Ausflüge bei Kindern daher in den meisten Fällen als normal und nicht als krankhaft an.

Mit ausgebreiteten Armen und scheinbar zielstrebig schreitet das Mädchen den Flur entlang. Es ist kurz nach Mitternacht. Ihr Blick ist seltsam glasig und starr: Sie schlafwandelt. Am nächsten Tag erinnert sich die Zehnjährige an nichts mehr. Die Eltern aber sind beunruhigt: Ist mit ihrer Tochter alles in Ordnung?

Kein Grund zur Panik, beschwichtigen Wissenschaftler. Schlafwandeln ist unter Fünf- bis Zwölfjährigen relativ häufig. „Bis zu 15 Prozent der Jungen und Mädchen dieser Altersgruppe schlafwandeln. Dagegen liegt der Prozentsatz bei den Erwachsenen in der Größenordnung von einem Prozent“, berichtet Lennard Knaack, Arzt im Zentrum für Schlafmedizin und Schlafstörungen in Dortmund. Die tatsächlichen Zahlen könnten sogar noch höher liegen, da viele Schlafwandler das Bett gar nicht verlassen und die nächtlichen Ereignisse daher erst gar nicht bemerkt werden. Die Betroffenen setzen sich kurz auf, führen stereotype Bewegungen aus oder schreien. Spätestens nach einer halben Stunde ist alles wieder vorbei.

Schlafwandeln tritt immer im ersten Drittel des Schlafes aus dem Tiefschlaf heraus auf. „Der Körper erwacht teilweise aus dem Schlaf und gerät in einen Zustand des Halbwachseins“, erläutert Knaack. In diesem Zustand können relativ eintönige Bewegungen ausgeführt werden, ohne dass der Betroffene diese bewusst wahrnimmt. Wenn man versucht, den Schlafwandelnden zu wecken, ist er meistens völlig verwirrt und desorientiert.

Dass gerade die frühe Phase des Schlafes und bevorzugt Kinder von der Nachtaktivität betroffen sind, könnte vor allem mit der Entwicklung des Gehirns zusammenhängen: So entdeckte der Neurologe Christian Guilleminault von der Stanford-Universität, dass während des Schlafwandelns einige charakteristische Areale im Frontal- oder Stirnlappen des Gehirns aktiv sind. Der Stirnlappen ist für das Verarbeiten und Verstehen von Sprache, vor allem auch der Muttersprache, verantwortlich. Der Frontallappen trägt dazu bei, dass Erinnerungen gespeichert und abgerufen werden können. Bei Babys fehlt dieses Langzeitgedächtnis zunächst völlig. Es entwickelt sich erst im Laufe des Heranwachsens.

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Gerade im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren laufen im Frontalbereich beachtliche Entwicklungsschübe ab. Auch das Sprachzentrum wächst in dieser Zeit rasant. Vor allem im Tiefschlaf werden dabei neue Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen gebildet und das Langzeitgedächtnis gefestigt. Hängen Schlafwandeln und Gehirn also zusammen? „Schlafwandeln ist ein Zeichen eines noch nicht ausgereiften Zentralnervensystems“, erklärt Salvatore Mazza, Professor von der Katholischen Universität in Rom. Dementsprechend werten viele Mediziner, darunter auch Knaack, Schlafwandeln bei Kindern meist nicht als Krankheit.

Ein weiterer Hinweis für die Rolle der Gehirns kommt aus dem Tierreich: Schlafwandeln gibt es nur beim Menschen. Nicht einmal Schimpansen schlafwandeln, wie die Forscherin Jane Goodall schrieb. Die Sonderstellung des menschlichen Gehirns und seine einzigartige Entwicklung könnten dies erklären.

Allerdings ist die Entwicklung des Gehirns, trotz aller Hinweise, auf keinen Fall alleine für das Schlafwandeln verantwortlich. Eine ebenso wichtige Rolle scheinen die Gene zu spielen: „Haben beide Elternteile geschlafwandelt, dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Kind schlafwandelt, bei 60 Prozent. Wurde bei keinem Elternteil die Nachtaktivität beobachtet, so sind es nur 22 Prozent,” berichtet Knaack gegenüber der Nachrichtenagentur ddp.

Darüber hinaus können extreme psychische Belastungen Schlafwandeln auslösen. Kriegsveteranen oder missbrauchte Kinder sind beispielsweise häufiger betroffen. Aber auch kurzzeitiger intensiver Stress kann das Phänomen auf den Plan rufen: „Es könnte sein, dass sich in Zeiten von Stress, die Angst, unter der man tagsüber steht, im Gehirn niederschlägt und in der Nacht hervortritt. Das könnte dann ein Auslöser für das Schlafwandeln sein“, mutmaßt Guilleminault.

Trotz aller Erkenntnisse bleiben für die Forscher viele Fragen offen: Weshalb manche Schlafwandler das Bett verlassen und umherwandern, manche sogar reden, andere wiederum überhaupt nie schlafwandeln, ist bis heute unklar. So träumen Knaack und seine Kollegen davon, täglich einen Menschen bei dem nächtlichen Ereignis beobachten zu dürfen, um das Rätsel ein Stück weit zu lüften. Doch das ist im Schlaflabor ein seltenes Erlebnis, und manche Wissenschaftler warten ein Leben lang darauf.

ddp/bdw – Susanne Donner
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