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Vom Heil- zum Genussmittel: Der lange Weg des Gerstenssafts

Geschichte|Archäologie

Vom Heil- zum Genussmittel: Der lange Weg des Gerstenssafts
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Bier ist seit Jahrtausenden nicht nur ein Genussmittel, sondern ihm werden auch heilende Wirkungen nachgesagt. Zurecht, sagen Wissenschaftler: In mehr als 1500 Jahre alten ägyptischen Skeletten fanden Anthropologen Spuren des Antibiotikums Tetrazyklin. Über Bierhefen war es in das berauschende Getränk gelangt und hatte unter der Bevölkerung für niedrige Infektionsraten gesorgt. Zahlreiche andere Zeugnisse längst vergangener Kulturen belegen die Bedeutung von Bier als Heil- und Kultgetränk.

Wahrscheinlich haben die Menschen zunächst lieber Bier getrunken als darüber geschrieben, denn wann genau das erste Bier gebraut wurde ist ungewiss. Der erste schriftliche Nachweis ist etwa 6.000 Jahre alt. Es handelt sich dabei um sumerische Tontäfelchen aus dem Zweistromland, dem heutigen Irak, die detailliert schon das gesamte Brauverfahren beschreiben.

Bei den Sumerern taucht das Wort „Bier“ bereits oft im Zusammenhang mit Medizin auf. Überliefert sind beispielsweise 15 „Rezepte für ein gesundes Leben“. Zehn davon beinhalten Bier, hauptsächlich um herbe Pflanzenextrakte zu verdünnen. „So erleichterte man sich das Schlucken der bitteren Medizin“, erklärt Anton Piendl, Bierexperte und ehemaliger Professor an der TU München-Weihenstephan. Auch bei Ritualen scheint Bier für die Sumerer eine Rolle gespielt zu haben.

Rituelles Brauen hat wohl auch in Europa eine lange Tradition. Wissenschaftler halten es für möglich, dass auf der schottische Inselgruppe der Orkneys vor vier- bis fünftausend Jahren schon gebraut wurde – mit nicht mehr als Gerste, einer Feuerstelle und einem großen Kessel.

Über den Biergenuss bei den Babyloniern ist schon genaueres bekannt. Sie stellten schon mindestens zwanzig verschiedene Biersorten her. Der Codex Hammurabi aus dem 18. Jahrhundert vor Christus, der älteste Gesetzestext überhaupt, enthält einige Paragraphen rund ums Brauen und Ausschenken von Bier. Da heißt es unter anderem, dass ertränkt werden soll, wer minderwertiges Bier teuer verkauft.

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Im alten Ägypten galt Bier wegen seines hohen Nährstoffgehaltes als flüssiges Grundnahrungsmittel. Die Ägypter würzten das Bier nicht wie heute mit dem bitter schmeckenden Hopfen, sondern zum Teil sogar mit süßen Datteln. Über andere Details des Brauvorgangs sind sich die Wissenschaftler jedoch uneins: Einige meinen, dass ägyptisches Bier eine trübe Flüssigkeit gewesen sei wie Haferschleim oder Suppe. Als „fruchtig und süß“ bezeichnen es alle, die eine von einer britischen Archäologin 1996 nachgebraute Variante gekostet haben. Japanische Forscher hingegen erhielten, als sie den Brauvorgang nachstellten, eine schaumlose Flüssigkeit in der Farbe von schwarzem Tee und mit einem Alkoholgehalt von zehn Prozent. Die Ägypter glaubten auch an eine heilende Wirkung von Bier. Sie verwendeten es zum Beispiel zur Behandlung des Zahnfleischs, aber auch als Darmeinlauf.

Ein naturwissenschaftlicher Nachweis über die positive Wirkung von Bier in der Geschichte stammt von dem Anthropologen George Armelagos von der Emory Universität in Atlanta (USA). Er meint, dass sich unter bestimmten Bedingungen gebrautes Bier positiv auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirkte. In Skeletten aus Ägypten fanden Forscher Spuren von Tetrazyklin, einem auch heute verwendeten Breitbandantibiotikum. Armelagos entdeckte die Substanz in Skeletten aus Nubien und Jordanien. Seine Vermutung: Die Menschen nahmen es über ihr Bier auf, gut 1500 Jahre vor der „Wiederentdeckung“ des Tetrazyklins in der modernen Medizin.

Die schimmelpilzartigen Bakterien, die das Antibiotikum produzieren, konnten während des Brauvorganges ins Bier gelangen, als das Gebräu der Luft ausgesetzt war, um wilde Hefen aufzufangen. Im Gegensatz zu heute kultivierten Hefestämmen war man nämlich beim Brauen lange Zeit abhängig davon, dass frei lebende Hefepilze in die Bierwürze gelangten, um die Gärung durchzuführen.

Eine positive Auswirkung auf die Gesundheit hätte das Antibiotikum im Bier aber nur in stark angereicherter Form gehabt – nicht die Menge des konsumierten Bieres sei ausschlagend gewesen, sondern die Menge des darin enthaltenen Antibiotikums. Und die, erwartet Armelagos, hätte je nach Region und Brauverfahren geschwankt. Die von ihm untersuchten nubischen Skelette etwa enthielten relativ viel Tetrazyklin. Das könnte zumindest zum Teil die geringe Infektionshäufigkeit bei diesen Menschen erklären. Ein stark antibiotikahaltiges Bier hätte demnach zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit beigetragen.

Wegen seines hohen Nährwertes und der berauschenden Wirkung war das Bier ein wichtiger Bestandteil der Ernährung. Auch seinen Einsatz zu medizinischen Zwecken verdankt es wohl zunächst dieser unmittelbaren Wirkung, und nicht etwa einer Kenntnis der chemischen Struktur des Tetrazyklins.

Geschätzt wurde das Bier auch bei den Griechen und Römern – weniger als Getränk, da zogen sie Wein vor, sondern vor allem als Heilmittel. Hippokrates etwa empfahl den Gerstensaft bei Schlaflosigkeit, Fieber und zur Entwässerung.

Auch die germanischen Zeitgenossen der Griechen und Römer brauten und tranken Bier. Die Frage, wie das Bier nach Mitteleuropa kam, ist wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt. Der älteste Nachweis stammt aus der Nähe von Kulmbach, wo man im Grab eines Germanen Bierkrüge aus der Zeit um 800 vor Christus fand.

„Flüssiges bricht Fasten nicht“: Nicht zuletzt dieser klösterlichen Regel hat das Bier im christlichen Mittelalter seinen Erfolg zu verdanken. Die Brautechnik war zunächst alles andere als einheitlich. Um den Alkoholgehalt und die Haltbarkeit von Bier zu erhöhen, wurden alle möglichen Zusätze ins Bier gemengt: Ochsengalle, Eierschalen und Tannenzapfen, bis hin zu giftigen oder halluzinogenen Kräutermischungen.

Das deutsche Reinheitsgebot des bayerischen Herzog Wilhelm des IV. setzte der Panscherei 1516 ein Ende: Als Grundsubstanzen des Bieres waren nur mehr Wasser und Gerste, und als einziger Zusatzstoff der bitterschmeckende aber haltbarmachende Hopfen, zugelassen. Dass Hefe auch ein natürlicher Bestandteil der Bierproduktion und für die Gärung verantwortlich ist, entdeckte Louis Pasteur erst 1876 . Eine Vielfalt der Biere ist aber trotz der Verringerung der Zutaten erhalten geblieben. Die Kombination der Ausgangsstoffe in einem komplexen Brauprozess ermöglicht die geschmacklichen Variationen.

Ob und in welchen Mengen Bier gesund ist, darüber wird heute mehr denn je diskutiert. Sicher ist: Das beliebte Getränk enthält neben Vitaminen zahlreiche nützliche Spurenelemente und Mineralien. Zudem belegen viele Studien die positive Wirkung des Alkohols auf das Herz-Kreislauf-System – wo jedoch der Nutzen aufhört und der Schaden beginnt, darüber gehen die Ansichten auseinander.

Tanja Fabsits
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