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Lange leben ohne Einbußen: Forscher kommen dem Traum immer näher

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Lange leben ohne Einbußen: Forscher kommen dem Traum immer näher
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Die Fliege mit nur einer Genkopie von chico (oben) sieht gesund aus und lebt etwa einen Drittel länger als normale Artgenossen. Bis dahin litten langlebige Tiere meist unter Kleinwüchsigkeit und Unfruchtbarkeit wie die Fliege komplett ohne chico-Gene (unten).
Klein, dick und praktisch unfruchtbar wären Menschen, die das biblische Alter von 150 Jahren erreichen können. So jedenfalls sahen bis heute genetisch auf Langlebigkeit getrimmte Würmer, Fliegen und Mäuse aus. Jetzt aber macht ein Forscherteam aus den USA, England und der Schweiz Hoffnung: Sie haben Taufliegen kreiert, die um einen Drittel länger leben, jedoch genauso groß und beinahe so fruchtbar sind wie ihre natürlichen Artgenossen, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Science“ (Bd. 292, S. 104).

Die Forscher zerstörten in den Fliegen das Gen „chico“. Es ist an einer Signalkette beteiligt, die beim Menschen über das Hormon Insulin den Blutzuckerspiegel reguliert. Beseitigten die Forscher die beiden Genkopien von chico, entstanden wiederum zwar langlebige, jedoch kleine und unfruchtbare Fliegen. Als sie aber nur eine Kopie entfernten, sahen die Fliegen gesund aus und lebten immer noch deutlich länger als normale Tiere. „Das war eine große Überraschung für uns“, sagt der am Projekt beteiligte Forscher Ernst Hafen von der Universität Zürich gegenüber bild der wissenschaft. „Damit haben wir erstmals gezeigt, dass sich die Prozesse entkoppeln lassen, die auf der einen Seite zu Kleinwüchsigkeit und Unfruchtbarkeit führen und andererseits das Leben verlängern. Wir mussten nur die Menge der chico-Gene richtig einstellen.“
Hafen vermutet, dass sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen. „Das Ausschalten von bestimmten Genen des Insulin-Signalwegs hat bereits das Leben von Würmern, Fliegen und wahrscheinlich auch Mäusen verlängert. Die Funktion dieses Signalwegs scheint ein sehr altes evolutionäres Prinzip zu sein.“ Die Zellen mussten bereits früh in der Evolution lernen, ihren Stoffwechsel auf das vorhandene Nahrungsangebot einzustellen, um Hungerperioden zu überstehen. Dazu entwickelten mehrzellige Lebewesen nach Meinung der Forscher den Insulin-Signalweg. Der wirkt auch beim Menschen: Steigt der Zuckergehalt nach einem Essen im Blut, schüttet die Bauchspeicheldrüse Insulin aus und die Körperzellen stellen sich auf den Zuckerüberschuss ein.

Allgemein gilt im Tierreich, dass bei reichhaltigem Nahrungsangebot die Zellen sich häufig teilen und die Tiere viele Geschlechtszellen produzieren. Ist der Tisch jedoch nur spärlich gedeckt, wird der Insulin-Signalweg gedrosselt. Das veranlasst die Körperzellen, sich weniger oft zu teilen und nicht zu voller Größe auszuwachsen. Auch den riesigen Energieaufwand der Produktion von Geschlechtszellen unterlassen die Tiere dann. Dieses Drosseln des Insulin-Signalwegs erreichen die Forscher künstlich, indem sie Gene des Signalwegs wie etwa chico zerstören und damit die Tiere konstant auf das Hungerprogramm einstellen. Insbesondere der Wurm C. elegans ist ein Meister im Hungern. Herrscht beim Insulin-Signalweg Funkstille, wechselt der Wurm in eine Überdauerungsphase, in der er Monate ohne Nahrung überleben kann. Dabei stellt er seine Stoffwechselrate beinahe ein. Bei ausreichendem Nahrungsangebot leben die Würmer dagegen nur wenige Wochen. Einige Menschen versuchen es den Würmern nachzumachen. Sie essen extrem wenig in der Hoffnung, damit ihr Leben zu verlängern. Hafen glaubt, dass dies wahrscheinlich funktioniert: „Die Menschen drosseln mit ihrem Hungerprogramm den Insulin-Signalweg ähnlich wie die chico-Mutanten.“ Bislang gingen die Forscher davon aus, dass diese sogenannte Kalorien-Restriktion das Leben verlängert, indem sie die Menge der beim Stoffwechsel anfallenden Abfallprodukte senkt. Insbesondere aggressive Sauerstoffradikale können das Erbgut und andere Zellstoffe schädigen. „Dieser Mechanismus ist bestimmt eine Facette der Lebensverlängerung“, sagt Hafen. Seine chico-Fliegen zeigen jetzt aber erstmals, dass offenbar auch noch andere Prozesse den Tod hinauszögern können. „Unsere Fliegen sind nicht resistenter gegen oxidativen Stress als normale Tiere“, so Hafen. Das zeige, dass chico-Fliegen nicht länger leben, weil sie weniger Abfallstoffe in ihren Zellen akkumulieren. Welche Mechanismen aber das Leben der chico-Fliegen verlängern, wissen die Forscher noch nicht. Sie wollen nun den Insulin-Signalweg im Detail entschlüsseln, um die Prozesse zu finden, die das Leben tatsächlich verlängern. „Wenn wir diese Mechanismen kennen, können wir vielleicht mit einer Pille ganz spezifisch eingreifen und den Alterungsprozess beim Menschen bremsen“, spekuliert Hafen. Zur Zeit jedoch würde er noch keine lebensverlängernde Pille schlucken. „Man könnte daran gerade so gut verfrüht sterben“, warnt er. Vielleicht lässt sich nach weiteren Forschungsarbeiten auch das letzte Manko dieser chico-Fliegen beseitigen: Die Mutation hilft nur Frauen. Die Männchen sterben auch ohne chico-Gene genauso schnell wie ihre normalen Artgenossen. Der Grund für diese Geschlechtsspezifität der Mutation ist den Forschern völlig schleierhaft.

Marcel Falk
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