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Prof. Hubert Markl – "Genomforschung bringt mehr als die Mondlandung"

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Prof. Hubert Markl – "Genomforschung bringt mehr als die Mondlandung"
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Wie selten zuvor war sich die Redaktion von bild der wissenschaft einig: Das Topereignis im Forschungsjahr 2000 war die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Dem schließt sich Professor Hubert Markl an. Mit dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft sprachen wir darüber, wie sich ein Forschungsgebiet zu einem Megatrend entwickelt, warum Forschung immer schneller – vielleicht zu schnell – geht und ob das hohe Gut „freie Forschung“ bedroht ist.

bdw: Die Sequenzierung des menschlichen Genoms, die letztes Jahr fast beendet wurde, wird mit der Mondlandung verglichen. Man kann darüber streiten, was die Mondlandung der Menschheit gebracht hat. Was wird die Erforschung des menschlichen Genoms der Menschheit bringen?

Prof. Hubert Markl: Ich glaube, dass sie viel mehr bringt als die Mondlandung. Der Vergleich ist dennoch richtig, weil dieses Ereignis die Phantasie und das Interesse von Abermillionen Menschen erfasst hat. Es ist ja nicht so häufig, dass in der Wissenschaft die Möglichkeit besteht, so viele Menschen für ein Ergebnis aus Wissenschaft oder Technik zu begeistern. Das war bei der Mondlandung der Fall, wir haben uns die ja alle nachts am Fernseher angesehen. Aber der wirkliche Wert der Raumfahrttechnologie, die damals einen solchen Höhepunkt erfahren hat, liegt ja eher in den Kommunikationssatelliten, die heute die Erde umschwärmen, und nicht im Mondflug. Durch den Flug auf den Mond wurde aber deutlich gemacht, wie hoch der Standard der technischen Leistungsfähigkeit ist. Das hat die Menschen weltweit beeindruckt. So war es auch bei der Genomsequenzierung. Die Ankündigung, dass wir das menschliche Genom fast fertig sequenziert haben, war ein Ereignis, das weltweit viele Menschen fasziniert hat.Dabei ist im Jahr 2000 weder das Wesentliche passiert – es gab ja viele Jahre Vorarbeit – noch wurde ein Ende erreicht. Denn wir haben die Sequenz des menschlichen Genoms noch nicht einmal vollständig. Und jetzt geht die Arbeit erst los. Wir müssen herausfinden, was diese Sequenz wirklich bedeutet und wie die darin enthaltenen Informationen die Funktionen eines Organismus steuern.

bdw: Fast wöchentlich werden die genomischen Daten weiterer Organismen publiziert. Etwa 200 dürften es inzwischen sein. Erleben wir gerade eine biowisschaftliche Revolution?

Prof. Hubert Markl: Mit dem Wort Revolution bin ich vorsichtig, weil es sehr häufig auf relativ beschränkte Ereignisse verwendet wird. Aber ein wesentlicher Schritt vorwärts ist die Möglichkeit, die genetische Konstitution von Organismen aufzuklären und dadurch wirklich ihre Gene zu vergleichen. Bisher konnten wir ja nur Gestalt oder Organe der Organismen miteinander vergleichen. Jetzt vergleichen wir das miteinander, was den verschiedenen Gestalten ursächlich zugrunde liegt. Das ist für die biologische Wissenschaft, zum Beispiel für die Evolutionsbiologie, etwas ganz Phantastisches.

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bdw: Inwiefern?

Prof. Hubert Markl: Zu Darwins Zeiten war seine Theorie, dass die Organismen alle miteinander verwandt sind, ja höchst umstritten. Jetzt können wir durch den Vergleich der Genome für jedermann nachvollziehbar darstellen, wie sich die genetische Verwandtschaft darstellt und worauf sie beruht. Das hat gewichtige Folgen.

bdw: Welche?

Prof. Hubert Markl: Heute wissen wir, dass die Organismen mehr genetische Nähe zueinander haben als wir bisher dachten. Das hat zwei Konsequenzen. Zum einen für die Forschung. Da Mensch und Tier sich genetisch so ähnlich sind, können wir viele Erkenntnisse, etwa wie Krankheiten entstehen, vom Säugetier oder sogar von niederen Organismen auf den Menschen übertragen. Und zum zweiten, das sollte man auch betonen, kann unser Umgang mit den höchstentwickelten Tieren nicht unbeeinflußt davon bleiben, dass wir ihnen genetisch so ähnlich sind. Dass wir mit den Menschenaffen genetisch zu 99 Prozent identisch sind, sollte bei uns eine neue Art des Bewusstseins fördern und Konsequenzen für den“menschenwürdigen“ Umgang mit ihnen und für ihren Schutz haben.

bdw: Verändert sich also das Bild, das die Menschheit von sich hat, durch die Genomforschung?

Prof. Hubert Markl: Ich glaube schon. Tierreich und Mensch rücken näher aneinander als je zuvor. Anscheinend haben wir also doch eine Revolution – eine des Denkens.

bdw: Die Genomforschung hat sich zu einem Megatrend entwickelt. Wie wird ein Forschungsgebiet zum Megatrend? Wer stellt die politischen und finanziellen Weichen?

Prof. Hubert Markl: Die Entwicklung von Megatrends folgt generell einer sogenannten sigmoiden Kurve. Sie beginnt langsam, es folgt ein schneller Anstieg, schließlich eine Sättigung. Die Genomforschung begann meiner Meinung nach mit Watson und Crick, die 1953 die Struktur der DNA aufgeklärt haben. Die beiden Wissenschaftler wurden über Nacht weltberühmt. Warum? Weil jedermann bewußt war, dass die Frage nach der Vererbung eines der wirklich bedeutenden Geheimnisse der Natur ist. Und die Entdeckung der DNA-Doppelspirale eröffnete völlig neue Untersuchungsmöglichkeiten, die dann in der Folge entwickelt wurden. Später wurden anwendungsrelevante Fortschritte erzielt. Man erkannte, dass Genomforschung wichtig für die Medizin ist. Erbkrankheiten kannte man ja schon, aber nicht deren Ursachen. Man wusste, dass auch die Eigenschaften von Nutzpflanzen erblich bedingt sind. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, die Pflanzenzucht auf eine neue Basis zu stellen. Dies weckte das breite Interesse der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik, die schließlich die Forschungsgelder aufstockte. So entstand der Megatrend Genomforschung. Das gleiche Muster finden wir bei der Halbleitertechnologie oder der Informationstechnik.

bdw: Wann stellte die Politik die nötigen politischen und finanziellen Weichen für die ziemlich kostenaufwendige Genomforschung.

Prof. Hubert Markl: Als weltweit die führenden Wissenschaftler darauf hinwiesen, dass sich bei der Genomforschung sich große wissenschaftliche und praktisch anwendbare Fortschritte erzielen lassen. In der Wirtschaft ist es nicht anders. Die Aktionäre hoffen, dass Gewinne erzielt werden und ermutigen die Leiter der Unternehmen, auf zukunftsträchtigen Gebieten zu investieren.

bdw: Die Genomforschung hat, wie andere Forschungsgebiete auch, in rasantem Tempo neue Erkenntnisse gebracht. Diese Geschwindigkeit macht vielen Menschen Angst. Ist Forschung heute schneller als früher?

Prof. Hubert Markl: Erst einmal arbeitet heute der größte Teil aller Wissenschaftler, die jemals gelebt haben. Dadurch wird Neues schneller entdeckt. Außerdem ist die Dringlichkeit mancher Probleme akuter geworden. Der Beschleunigungsfaktor, mit dem die Menschheit heute wächst, hat weltweit viele Probleme erzeugt. So etwa ist die Klimaforschung zum Megatrend geworden, weil sechs Milliarden Menschen mit allen Abgasen, die sie in die Atmosphäre entlassen, einen Problemdruck erzeugen, der einfach herausgefordert hat, dass sich mehr Menschen der Klimaforschung zuwenden. Deshalb können wir heute mit neuen Messtechniken die Zusammensetzung der Hochatmosphäre direkt messen, während wir darüber früher nur phantasieren konnten. Hoher Problemdruck und daraus resultierender Wille, bestimmte Forschung zu finanzieren, plus technische Entwicklung plus sehr gute Wissenschaftler mit phantasievollen Ideen, das beschleunigt und intensiviert die Forschung ungemein.

bdw: Die Politik hat maßgeblichen Einfluss darauf, was und wie intensiv geforscht werden kann. Sie – und auch die Wirtschaft – fordern, dass Forschung die Grundlage für vermarktungsfähige Ergebnisse sprich Produkte liefern soll. Die Max-Planck-Gesellschaft steht jedoch für Grundlagenforschung. Macht ihnen das Probleme?

Prof. Hubert Markl: Kaum. Wir sind wenig von staatlicher Vorgabe beeinflußt. Natürlich gibt man uns nicht unbeschränkt Mittel. Man hält uns knapper, als wir vielleicht sein würden, wenn wir uns mehr politisch steuern ließen. Wir folgen natürlich auch Wissenschaftstrends, aber gehen auch Fragen an, die weder „in“ sind noch eine Anwendung erahnen lassen. Etwa die Astrophysik, kunsthistorische oder rein theoretisch-mathematische Forschung. Gott sei dank leben wir in einer Kulturnation, die die Künste um ihrer selbst Willen genau so fördert wie die Erkenntnissuche der Wissenschaft. Da muss man bescheiden sein, es gibt nie genug Geld. Aber viele Menschen, deren Steuergelder wir ausgeben, stellen sich dahinter, dass die freie Forschung ihren Raum behalten muss, ohne der Wirtschaft oder politischen Interessen verpflichtet zu sein. Ein hohes Gut, das ja auch in der Verfassung garantiert wird.

bdw: Die Forschung soll sich also nicht auf Gebiete konzentrieren, die den Bürgern nützlich sein können?

Prof. Hubert Markl: Nicht ausschließlich. Wenn wir unsere Forschungskapazitäten nur auf schon heute erkannte Bedürfnisse der Menschheit konzentrieren würden, dann würden wir mit Sicherheit den Humusboden für die Beantwortung der Fragen von morgen zerstören. Nur die Forschung, die frei ist von der Erwartung der augenblicklichen Nützlichkeit, kann Antworten auf die noch unbekannten Fragen von morgen ermöglichen. Jede Gesellschaft fördert Bereiche, die nicht die augenblicklichen Lebensnotwendigkeiten des Tages betreffen. Ohne Kunst und Musik würden wir geistig verhungern. Und was die Wissenschaft angeht: Es ist ein Bedürfnis der Menschheit zu verstehen, in welcher Welt sie lebt. Und die Wissenschaft ist sozusagen das Organ, das Gehirn der Gesellschaft, das diese Erkenntnisse erweitert und pflegt.

bdw: Herr Markl, wir danken für dieses Gespräch.

Mit Professor Hubert Markl sprach Dr. Karin Hollricher.

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