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Die ultimative Computerrevolution

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Die ultimative Computerrevolution
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Selbst der gerissenste Spion hätte keine Chance gegen das quantenmechanische Verschlüsselungsverfahren, mit dem Physiker 1997 eine geheime Nachricht durch ein Glasfaserkabel unter dem Genfer See schickten.
Das „Zeitalter der Quanten“ verspricht eine Fülle neuer Anwendungen. Teleportation, verschränkte Teilchen und Qubits – was dem gesunden Menschenverstand widerspricht, versetzt Physiker und Informatiker in Euphorie: Quantentechnologien sollen in den kommenden zwei Jahrzehnten die Informationstechnik völlig umkrempeln.

Die Feuertaufe für die Quantenkryptographie hätte kaum trostloser sein können: „Wir arbeiteten in einem unterirdischen Bunker der Swisscom in Genf. Der riesige Raum war reichlich deprimierend“, erinnert sich Grégoire Ribordy. „Entlang den Wänden standen Schränke, in denen die Anschlüsse für die Glasfaserkabel steckten, ständig ertönten irgendwelche Alarmglocken, und es gab keine Fenster. Wir hatten nur einen Lichtblick: Die Swisscom betreibt auch ein Kabelnetz fürs Fernsehen, und so konnten wir nebenbei auf einem großen Bildschirm das Programm von MTV verfolgen.“ Trotz der wenig attraktiven Umgebung sind Ribordy und seine Kollegen dem Schweizerischen Telefon-Netzbetreiber noch heute dankbar, daß er ihnen 1997 für ihre Experimente einen ganzen Monat lang zwei Glasfaserkabel freihielt. Durch die 22,8 Kilometer lange Leitung unter dem Genfer See hindurch schickten die Wissenschaftler geheime Nachrichten von Genf nach Nyon. Dabei wandten sie ein quantenkryptographisches Verfahren an, das vollkommen abhörsicher ist.

Es macht sich die Tatsache zunutze, daß Lichtteilchen, also Photonen, quantenmechanische Objekte sind. Damit besitzen sie eine Eigenschaft, die makroskopische Dinge nicht haben: Sie befinden sich in einer Überlagerung verschiedener Zustände. Erst im Augenblick der Messung hört diese Unbestimmtheit auf, und jedes Photon erhält ganz konkrete Eigenschaften. Ähnlich wie Schrödingers Katze gleichzeitig mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tot und lebendig ist, können Photonen gleichzeitig waagerecht und senkrecht polarisiert sein, oder der Spin eines Teilchens (die Drehrichtung) kann gleichzeitig nach oben und nach unten weisen. Benutzt man solche quantenmechanischen Objekte als Informationsträger oder Bits, können sie auch gleichzeitig den Wert Null und Eins haben. Man bezeichnet sie dann als Quantenbits oder Qubits.

Bei der Quantenkryptographie übermittelt der Sender (meist „Alice“ genannt) dem Empfänger (er heißt „Bob“) einen geheimen Schlüssel mit Hilfe derartiger Qubits. Auf der Basis dieses Schlüssels können die beiden danach ihre Korrespondenz sicher kodieren. In der Praxis funktioniert das so: Alice schickt an Bob eine Abfolge unterschiedlicher Qubits, etwa polarisierte Photonen. Deren Ausrichtung ist – quantenmechanisch gesehen – eine Überlagerung aus verschiedenen Polarisationszuständen. Hängt ein Abhörer in der Leitung und mißt diese Qubits, zerstört er den empfindlichen Überlagerungszustand, und der so entstandene Fehler ist beim Vergleich der Werte zwischen Alice und Bob leicht zu erkennen. „Die Quantenkryptographie gibt uns kein Mittel, Abhörer auszuschalten“, so Harald Weinfurter, Professor an der Universität München, „wir merken aber, ob ein Spion in der Leitung ist.“Daß dieses Verfahren nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis funktioniert, konnten Ribordy und seine Kollegen bei ihren Experimenten 1997 schon nach zwei Wochen beweisen. „Unser Bunker befand sich mitten im Rotlichtviertel der Stadt Genf, deshalb beschlossen wir, Bob hier zu stationieren“, scherzt Ribordy. Die fiktive Alice saß entsprechend in Nyon. Ein Jahr später kamen die Forscher mit einer verbesserten Versuchsanordnung noch einmal zurück: Im März 1998 konnte das Team innerhalb eines Tages zeigen, daß es nun das Know-how zum Bau eines Prototyps für kommerzielle Anwendungen besaß.

Aber es bleiben Hürden: Qubits kann man zum Beispiel nicht verstärken. Deshalb können Signale nur relativ kurze Kabelstrecken durchlaufen, bevor sie zu stark geschwächt sind. Eine Forschergruppe um Richard Hughes in Los Alamos hat inzwischen mit einem Glasfaserkabel eine Strecke von rund 40 Kilometer kryptographisch überwunden. Auch an der Uni München wird heftig an der Weiterentwicklung der Quantenkryptographie gearbeitet. „Wir glauben, daß wir in ein bis zwei Jahren ein Modul zur Verfügung stellen können, das für kurze Kabelstrecken oder Freiraum-Übertragungen geeignet ist“, sagt Weinfurter. „In der nächsten Stufe wollen wir die Teile möglichst klein machen. Uns schwebt ein Gerät vor, wie man es heute von Modems für den PC kennt. Das kann man dann an eine Glasfaser anschließen und mit ihm Daten abhörsicher rund drei Kilometer weit übertragen.“ Die junge Quantenkryptographie ist damit zum Vorreiter geworden für die praktische Anwendung von Quanteneffekten. Wesentlich länger denken Tüftler schon über den Quantencomputer nach, aber hier liegt die Realisierung noch weit entfernt. Der Weg scheint jedoch vorgezeichnet. „Alles in der Elektronik wird immer kleiner“, meint Gerhard Rempe, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. „Derzeit haben die Leiterbahnen auf den Chips eine Breite von ein paar hundert Nanometern (millionstel Millimeter). Der Trend geht jedoch weiter. Heute stören Quanteneffekte in der Mikroelektronik noch nicht. Wenn die geometrischen Begrenzungen aber immer kleiner werden, spielt irgendwann die Wellennatur der Elektronen eine Rolle. Wir erwarten, daß man etwa 2015 ins Quantenregime eintaucht.“

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Jenseits dieser Grenze sind die Quanteneffekte so dominant, daß ein Computer nicht mehr zuverlässig funktionieren kann. Es ist sehr aufwendig, die Auswirkungen zu kompensieren. Deshalb glauben viele Forscher, daß es sinnvoller wäre, den Stier bei den Hörnern zu packen und die Gesetze der Quantenmechanik aktiv zu nutzen. Denn nach Jahrzehnten des Staunens, des Zweifelns und des Kämpfens gegen die Unbestimmtheit in der Quantenwelt hat nun eine neue Generation von Physikern endlich den Mut gefunden, die skurrilen Gesetze des Allerkleinsten zu akzeptieren und praktisch einzusetzen. „Die Einflüsse der Quantenmechanik sehen auf den ersten Blick so aus, als ob es Störungen wären, aber es sind in Wirklichkeit grundlegende Effekte“, betont Gerhard Rempe. Im Quantencomputer würden sie helfen, Rechnungen auszuführen.

Betrachtet man beispielsweise zwei Qubits, so können sie die vier Zustände 00, 01, 10 und 11 annehmen, und zwar alle gleichzeitig. Die Zahl der möglichen Kombinationen steigt schnell an: 32 Qubits ergeben schon vier Milliarden. Im Quantencomputer will man sich diese Vielfalt zunutze machen: Jede Rechenoperation würde in allen Zuständen gleichzeitig ablaufen. Mit 2 Qubits berechnet man automatisch vier Werte gleichzeitig, mit 32 Qubits vier Milliarden Werte. So hätte man einen höchst potenten Parallelrechner.

Der Knackpunkt bei der Sache ist auch hier die Messung: Die Überlagerung der Zustände hält nur an, solange man das System nicht stört. In dem Augenblick jedoch, in dem ein Meßgerät ins Spiel kommt, bricht sie zusammen. Es bleibt nur ein einziger Zustand übrig, nämlich der ermittelte Meßwert. Wie kann man also die Ergebnisse des Quantencomputers auslesen, wenn jede Messung die Überlagerung zerstört?

Harald Weinfurter nennt die Lösung: „Im Quantencomputer erhält man als Resultat eine Überlagerung aller Einzelergebnisse. Das Dümmste, was man tun kann, ist, diesen Wert direkt zu messen. Wenn man statt dessen gemeinsame Eigenschaften aller überlagerten Ergebnisse sucht, zum Beispiel die Dauer einer Schwingung, erhält man neue, zusätzliche Informationen.“ Unterzieht man also die Überlagerung aller Ergebnisse im Quantencomputer – ohne sie auszulesen – einer Transformation, dann kann man Nutzen aus der Parallelität ziehen, ohne sie zu zerstören. Dieses clevere Vorgehen schlug zuerst Peter W. Shor von den Bell Labs vor, bis heute ist es aber noch Theorie geblieben. Es könnte, so hofft man, einst helfen, riesige Zahlen zu faktorisieren, also in Primzahlen zu zerlegen – eine Kunst, die den Verschlüsselungsexperten sehr am Herzen liegt.

Obwohl das Konzept des Quantencomputers schon 1982 von dem genialen Nobelpreisträger Richard Feynman ins Gespräch gebracht wurde, hielten bis vor kurzem die meisten Forscher die Idee für ein Hirngespinst. Bis 1995: Dann gelang es zwei Wissenschaftlern in den USA, winzige Modelle zu bauen. Seither Zeit gibt es immer neue Vorschläge zur Realisierung eines Quantenrechners, einige wurden sogar schon praktisch erprobt, wenn auch nur im kleinsten Maßstab. Trotzdem sind viele Experten skeptisch. So wagt auch Jörg Peter Kotthaus, Sprecher des Centers for NanoScience der Universität München, keine Prognose: „Ich glaube, daß Vieles von dem, was heute vorgeschlagen wird, möglich ist. Aber ich weiß noch nicht, ob diese Anwendungen so robust sein werden, daß ein normaler Mensch damit arbeiten kann.“

Die Robustheit ist tatsächlich eines der größten Probleme. „Man weiß immer noch nicht, wann genau die Gesetze der klassischen Physik aufhören und die der Quantenphysik anfangen,“ gibt Gerhard Rempe zu bedenken. „Normalerweise gelten diese nur bei mikroskopisch kleinen Objekten. Nun bestehen aber Quantencomputer wie klassische Rechner aus logischen Gattern. Wenn man viele dieser Bausteine kombiniert, wird das System immer größer, und man muß fragen: Ist es dann noch ein Quantensystem, oder ist es schon klassisch?“

Ein Kriterium ist offenbar, wie stark das System in Wechselwirkung mit seiner Umgebung tritt, zum Beispiel durch Licht oder Wärmestrahlung, die von außen auf das System treffen, oder elektrische und magnetische Kräfte. Ist der Kontakt zu eng, wirkt er wie ein Meßgerät und zerstört die Überlagerung – die Quantenmechanik geht sofort in die klassische Physik über. Dann reduziert sich ein Qubit sofort auf ein gewöhnliches Bit mit 0 oder 1. „Wenn man pessimistisch ist“, meint Rempe, „kann man allein deshalb schon glauben, daß der Quantencomputer gar nicht funktioniert.“ Allerdings gibt es genug Gründe, optimistisch in die Zukunft zu schauen: Fast wöchentlich erscheinen in den einschlägigen Fachzeitschriften aufregende neue Resultate von Quanten-Experimenten. So gelang es beispielsweise dem Team von Anton Zeilinger in jahrelanger zäher Arbeit zunächst in Innsbruck und nun an der Universität Wien, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem man Quantenzustände teleportieren kann. Man läßt sie an einem Ort verschwinden und an einem anderen, der beliebig weit entfernt sein kann, wieder auftauchen.

Um dieses Kunststück fertigzubringen, benötigt man zwei miteinander verschränkte Teilchen. Sie sind durch etwas verbunden, was Einstein ungläubig „spukhafte Fernwirkung“ genannt hat. Anton Zeilinger von der Uni Wien vergleicht das Phänomen mit zwei Würfeln, die immer die gleiche Anzahl Augen zeigen. Jeder von ihnen unterliegt dem Zufallsprinzip, aber der zweite Würfel „weiß“ immer von der Augenzahl des ersten. In der Quantenmechanik geht es nicht um Würfel, sondern um Teilchen, etwa um Photonen, deren Polarisationsrichtung – also die Auslenkungsrichtung der Lichtwellen senkrecht zur Fortpflanzungsrichtung – zufällig verteilt ist. Sind zwei derartige Photonen miteinander verschränkt, dann sind ihre Polarisationsrichtungen immer miteinander verbunden, egal, wie weit entfernt sie voneinander sind.

Sender und Empfänger – nennen wir sie auch diesmal wieder Alice und Bob – haben sich vor der geplanten Teleportation ein verschränktes Photonenpaar geteilt. Nun will Alice ein weiteres Photon zu Bob teleportieren. Sie nimmt eine Messung an ihren beiden Photonen vor und übermittelt das Resultat auf konventionellem Wege an Bob. Der wendet das Meßresultat auf sein verschränktes Photon an und erhält genau das Photon, das Alice übertragen wollte.

Harald Weinfurter, ein Schüler Zeilingers, erklärt diesen Vorgang mit einem Faxgerät: „Sie haben ein Stück Papier und stecken es in ein Faxgerät. Das macht eine Menge Messungen und schickt das Ergebnis als Nullen und Einsen an das Empfängerfax. Das wandelt die Informationen so um, daß die ursprüngliche Nachricht wieder entsteht. Sie haben dann die Information vom ersten Stück Papier auf das zweite übertragen. Wenn wir aber unser Quantenfax betätigen, schieben wir sozusagen das erste Teilchen rein, und sein Quantenzustand geht verloren. Das Papier im ersten Fax wird also völlig zufällig schwarz-weiß gemustert, dafür entsteht auf der anderen Seite ein genaues Abbild. Teleportation erlaubt Kopieren nicht. Die verschickte Information ist am Senderort verschwunden, sie ist nun beim Empfänger.“ Die Übertragung ist – anders als viele zunächst glaubten – nicht schneller als Licht, denn Alices Messergebnis muß ja erst einmal an Bob geschickt werden, und zwar mit endlicher Geschwindigkeit.

Kryptographie, Computer und Teleportation sind nur drei Beispiele für die erstaunlichen Entwicklungen, die mit Hilfe von Quanten möglich sind, und regen die Forscher zu Visionen an, die auch auf andere Wissenschaftszweige übergreifen. „Spielt die Quantenmechanik in der biologischen Materie, etwa in unserem Gehirn, eine wichtige Rolle?“ fragt etwa Jörg Peter Kotthaus. Vielleicht führt uns die Quantenphysik dort zu Antworten über die Erzeugung von Gedanken. Kybernetiker hoffen auf bessere Verfahren zur elektronischen Bilderkennung, Mediziner erwarten Aufschlüsse über die Entstehung psychosomatischer Krankheiten.

Auf welchen Gebieten auch immer das Quantenzeitalter Umwälzungen verheißt – eines steht schon fest: Es wird unser Denken verändern. Harald Weinfurter: „Unsere Kinder werden einen ganz neuen Zugang zur Quantenmechanik haben. Vielleicht werden sie irgendwann mit Quantenspielzeug spielen.“

Dr. Brigitte Röthlein
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