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Die Werke von Gao Xingjian sind in China verboten

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Die Werke von Gao Xingjian sind in China verboten
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Den Nobelpreis für Literatur erhält in diesem Jahr der gebürtige Chinese Gao Xingjian, der seit 1987 im Exil in Frankreich lebt. Er erhält die Auszeichnung „für ein Werk von universaler Gültigkeit, bitterer Einsicht und sprachlichem Sinnreichtum, das chinesischer Romankunst und Dramatik neue Wege eröffnet hat“, wie die Schwedische Akademie schrieb.

In den beiden bedeutendsten Prosawerken Xingjians „Der Berg der Seele“ und „Die Bibel eines einsamen Menschen“ werden wahre und erfundene Geschichten miteinander verwoben, in denen die Hauptgestalten einander spiegeln und vielleicht Aspekte ein und desselben Ichs darstellen.

Der „Berg der Seele“ entstand vor einem dramatischen Hintergrund: Zu Beginn der 80er Jahre war Gao vor allem als Stückeschreiber in China bekannt. 1982 wurde bei ihm Lungenkrebs festgestellt – eine Diagnose, die sich später als falsch herausstellen sollte. Doch zunächst musste sich Gao damit auseinandersetzen, eine vermutlich tödliche Krankheit zu haben. Zusätzlich wurde nur wenig später Gaos Werk von der kommunistischen Partei Chinas als „geistige Verschmutzung“ gebrandmarkt. Dieser doppelte Schock – der möglicherweise kurz bevorstehende Tod und die öffentliche Diffamierung – ließen ihn eine fünfmonatige Reise ins innere China unternehmen. Das Ergebnis dieser Reise, auf der Gao 15.000 Kilometer zurückgelegt hat, war das Buch „Der Berg der Seele“. Äußerlich geht es in diesem Roman um Eindrücke von Reisen in entlegene Gebiete des südlichen und südwestlichen Chinas, wo sich schamanische Bräuche erhalten haben, wo Balladen und Lügengeschichten über Räuber als wahr vorgetragen werden.

Dagegen ist die „Bibel eines einsamen Menschen“ eine Abrechnung mit der Kulturrevolution und ein Erfahrungsbericht des Verfassers als politischer Aktivist, Opfer und Beobachter. Innerlich aber geht es jeweils um den Weg des/der Protagonisten zu sich selbst, der ständig in Frage gestellt wird.

Auch als Dramatiker und Regisseur hat sich Gao Xingjian einen Namen gemacht. Dabei verwendet er sowohl Elemente des westlichen Theaters, wie sie im Drama von Artaud, Brecht, Beckett, Ionesco und Kantor vorkommen, als auch Elemente des chinesischen Theaters wie Maskenspiel, Schattenspiel und Tanz-Gesang-Trommel-Traditionen. Er nutzt die Verschiedenheit von Theatertraditionen, um in Szenarien wechselseitiger kultureller Provokationen grundlegende Sinn- und Symbolkonventionen als Instrumente der Manipulierbarkeit von Individuen zu entlarven.

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Eine weitere Ausdrucksform ist für Gao die Malerei. Auch in dieser Kunstgattung strebt er danach, die chinesische Tradition mit der Moderne zu verbinden.

Gao Xingijan wurde am 4. Januar 1940 in Ganzhou (Provinz Jiangxi) in Ostchina als Sohn eines Bankangestellten und einer Amateurschauspielerin geboren. 1962 legte er in Peking sein Examen in Französisch ab. Als kurz darauf (1966) die Kulturrevolution begann, wurde er zur Umschulung in ein Lager gesteckt und sah sich gezwungen, eine Tasche voller Manuskripte zu verbrennen. Erst 1979 konnte er schriftstellerische Werke in China veröffentlichen und auch ins Ausland, nach Frankreich und Italien, reisen. 1986 wurde sein Drama „Das andere Ufer“ verboten; seitdem wurde keines seiner Stücke mehr in China aufgeführt. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens trat Gao aus der kommunistischen Partei aus. Das Stück „Die Flucht“, das nach diesem Ereignis entstand, wurde wie auch alle seine übrigen Schriften verboten und Gao zur Persona non grata erklärt.

Durch sein Exil in Frankreich – mittlerweile ist Gao auch französischer Staatsbürger – sind im Westen die meisten seiner Werke ins Französische übersetzt. Die deutsche Literaturszene trifft die Verleihung des Nobelpreises an Gao Xingijan völlig unvorbereitet. Von den großen Online-Buchversandhandlungen hat zur Zeit der Verkündigung des Preisträgers (12.10.00) keine auch nur eines seiner Werke vorrätig. Zumindest Libri fand aber Worte der selbstironischen Entschuldigung: „Selbst im angestrengten Diskurs konnte keiner unserer schwerstintellektuellen Mitarbeiter auch nur Restelemente einer Erinnerung an diesen Namen im gepflegten Denkerschädel finden.“ Tatsächlich sind im Laufe der Jahre einige von Gaos Werken ins Deutsche übersetzt worden, allerdings nur Dramen. Und diese sind vergriffen.

In Deutschland war Gaos Werk bisher nur in Fachkreisen, d.h. unter Sinologen, Gegenstand der Betrachtung. So veranstaltete das Sinologische Seminar der Universität Heidelberg im Januar 2000 einen Workshop mit Gao Xingjian, an dem der Autor auch selbst einen Vortrag hielt. Vielleicht trägt die Verleihung des Literaturnobelpreises an diesen chinesischsprachigen Autor dazu bei, dass man in Deutschland den literarischen Blick öfter in den fernen Osten lenkt.

Doris Marszk

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