Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Ein Streitgespräch über die Zukunft der Ernährung

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Ein Streitgespräch über die Zukunft der Ernährung
heft_0009_qaim.jpg
Unser Wissen über das Zusammenspiel von Genen mit der Umwelt ist noch begrenzt Werden die Armen der Zukunft ihre leeren Bäuche mit Gen-Nahrung füllen? „Die Rolle der Bio- und Gentechnologie in der Hungerbekämpfung sollte nicht überbewertet werden“, meint Matin Qaim vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.

Frage: Den neuesten Zahlen der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen (FAO) zufolge werden im Jahre 2015 noch 580 Millionen Menschen hungern – das sind mehr Menschen, als heute in Europa leben. Können transgene Pflanzensorten in Entwicklungsländern die Misere lindern?

Matin Qaim: Die Rolle der Bio- und Gentechnologie in der Hungerbekämpfung sollte nicht überbewertet werden. Dennoch: Die natürlichen Ressourcen auf unserem Planeten sind knapp, und die weltweite Nahrungsmittelnachfrage steigt weiter an. Es gibt also auch ein Mengenproblem, dessen Überwindung nur durch Agrartechnologien möglich ist. Hier sehe ich ein großes Potential der Biotechnologie: Die sinkenden Wachstumsraten der globalen Nahrungsmittelproduktion aufzufangen und umzukehren. Dies aber in Kombination mit konventionellen Technologien, nicht als Ersatz für diese.

Kritiker behaupten, die Kleinbauern in armen Ländern könnten sich das genmanipulierte Saatgut ohnehin nicht leisten…

Die Entwicklung einer transgenen Pflanzensorte muss nicht teurer sein als die Entwicklung einer herkömmlichen gezüchteten Sorte. Im Gegenteil: Bestimmte pflanzliche Merkmale können schneller erreicht werden.

Anzeige

„Blühende Landschaften“ versprachen Politiker und Agro-Industrien den Kleinbauern in Entwicklungsländern in den fünfziger Jahren. Die „grüne Revolution“ hat in Lateinamerika viele Kleinbauern verdrängt und neue Abhängigkeiten geschaffen.

Ich teile Ihre Einschätzung der „grünen Revolution“ nicht ganz. Viele Untersuchungen belegen, dass die Hochertragsleistungssorten zur Armutsminderung beigetragen haben. Richtig ist allerdings, dass diese Sorten vor allem von den Bauern angewendet werden, die Zugang zu Bewässerung, mineralischem Dünger und Pflanzenschutzmitteln haben. Unsere eigenen Studien zeigen, dass transgene Pflanzen ohne weiteres in traditionelle Produktionsformen integriert werden können.

BT-Mais ist in Verruf geraten. Bdw-online berichtete, dass der Mais mit Genen des Bacillus thuringiensis für Raupen des Monarchfalters tödlich ist. Ein kleiner Schönheitsfehler?

Die negativen Wirkungen auf die Raupen des Monarchfalters müssen weiter untersucht und beobachtet werden – vor allem auch unter natürlichen Bedingungen. Konventionelle und chemische Insektizide sind aber auf jeden Fall schädlicher für die Natur als das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis. Deswegen wird dieser Stoff ja auch als organisches Spritzmittel im ökologischen Landbau eingesetzt. In den USA haben transgene Bt-Pflanzen bereits zu einer signifikanten Verringerung des chemischen Insektizideinsatzes geführt, mit entsprechenden positiven Umwelteffekten.

Die Stiftung Warentest hat festgestellt, dass viele Produkte Gen-Nahrungsmittel enthalten. Sind Sie für die weltweite Kennzeichnung von solchen Inhaltsstoffen?

Ja, ich bin für eine solche Kennzeichnung, soweit sie technisch möglich ist. Bei der individuellen Kaufentscheidung können ja neben gesundheitlichen Bedenken auch ethisch-moralische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Ein Teil der Opposition gegen die pflanzliche Gentechnik ist darauf zurückzuführen, dass die Konsumenten sich entmündigt und hintergangen fühlen.

„Weltweit wird die Biotechnologie von transnationalen Konzernen dominiert“, schreiben Sie in einem aktuellen Bericht. Glauben Sie, dass Gen-Unternehmen auf die Entscheidungsträger in der Dritten Welt einwirken? Wird auf Gutachter und Wissenschaftler Einfluss genommen?

Nein, einen solchen Zusammenhang sehe ich nicht unmittelbar. Im Gegenteil: Durch die „biotechnologische Übermacht“ einiger privater Konzerne hat sich in der Öffentlichkeit, in den Medien und bei Interessengruppen eine ausgesprochene Opposition gegen diese Unternehmen entwickelt. Jeder, der sich zu stark mit der Industrie einläßt, verliert in diesem sensiblen Bereich schnell seine Glaubwürdigkeit.

Die öffentliche Meinung lässt natürlich auch Entscheidungsträger in Entwicklungsländern nicht unbeeinflußt. Auf nationaler Ebene zeigt sich dies deutlich bei Zulassungsverfahren transgener Produkte, die heute in den meisten Entwicklungsländern strikter gehandhabt werden als noch vor wenigen Jahren. Auf internationaler Ebene trug die Biotech-Opposition entscheidend dazu bei, dass beispielsweise das Biosafety-Protokoll weitaus strenger ausfiel, als sich das die private Industrie gewünscht hätte.

Ist die Freistellung von Gentechnologien für die Dritte Welt wünschenswert und machbar?

Ja, das kostenlose Abgeben von Technologien durch private Firmen an die Dritte Welt ist machbar und wünschenswert.

Die FAO schätzt, dass die Welt im letzten Jahrhundert 95 Prozent der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft verloren hat, die es um 1900 gab.

Das ist ein ernstes Problem. Ursächlich hierfür sind neben dem mangelnden Bewußtsein vor allem wirtschaftliche Faktoren. Durch die Gentechnik sehe ich keine inhärente Gefahr. Während die Hochertragsleistungssorten der „grünen Revolution“ auf wenige Getreidearten beschränkt blieben, lässt sich die Gentechnik grundsätzlich für jede Pflanze anwenden. Eine beschleunigte Einschränkung der Artenvielfalt in der weltweiten Landwirtschaft durch die Gentechnik ist von daher nicht zu vermuten. Bei der Sortenvielfalt könnte die Gentechnik sogar einer weiteren Verengung entgegenwirken.

Unser Wissen über das Zusammenspiel von Genen mit der Umwelt ist noch begrenzt Werden die Armen der Zukunft ihre leeren Bäuche mit Gen-Nahrung füllen? „Die Rolle der Bio- und Gentechnologie in der Hungerbekämpfung sollte nicht überbewertet werden“, meint Matin Qaim vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.

Freude am Detail? Lesen Siedas vollständige Gespräch.

Frage: Den neuesten Zahlen der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen (FAO) zufolge werden im Jahre 2015 noch 580 Millionen Menschen hungern – das sind mehr Menschen, als heute in Europa leben. Können transgene Pflanzensorten in Entwicklungsländern die Misere lindern?

Matin Qaim: Die Rolle der Bio- und Gentechnologie in der Hungerbekämpfung sollte nicht überbewertet werden. Dennoch: Die natürlichen Ressourcen auf unserem Planeten sind knapp, und die weltweite Nahrungsmittelnachfrage steigt weiter an. Es gibt also auch ein Mengenproblem, dessen Überwindung nur durch Agrartechnologien möglich ist. Hier sehe ich ein großes Potential der Biotechnologie: Die sinkenden Wachstumsraten der globalen Nahrungsmittelproduktion aufzufangen und umzukehren. Dies aber in Kombination mit konventionellen Technologien, nicht als Ersatz für diese.

Kritiker behaupten, die Kleinbauern in armen Ländern könnten sich das genmanipulierte Saatgut ohnehin nicht leisten…

Die Entwicklung einer transgenen Pflanzensorte muss nicht teurer sein als die Entwicklung einer herkömmlichen gezüchteten Sorte. Im Gegenteil: Bestimmte pflanzliche Merkmale können schneller erreicht werden.

„Blühende Landschaften“ versprachen Politiker und Agro-Industrien den Kleinbauern in Entwicklungsländern in den fünfziger Jahren. Die „grüne Revolution“ hat in Lateinamerika viele Kleinbauern verdrängt und neue Abhängigkeiten geschaffen.

Ich teile Ihre Einschätzung der „grünen Revolution“ nicht ganz. Viele Untersuchungen belegen, dass die Hochertragsleistungssorten zur Armutsminderung beigetragen haben. Richtig ist allerdings, dass diese Sorten vor allem von den Bauern angewendet werden, die Zugang zu Bewässerung, mineralischem Dünger und Pflanzenschutzmitteln haben. Unsere eigenen Studien zeigen, dass transgene Pflanzen ohne weiteres in traditionelle Produktionsformen integriert werden können.

BT-Mais ist in Verruf geraten. Bdw-online berichtete, dass der Mais mit Genen des Bacillus thuringiensis für Raupen des Monarchfalters tödlich ist. Ein kleiner Schönheitsfehler?

Die negativen Wirkungen auf die Raupen des Monarchfalters müssen weiter untersucht und beobachtet werden – vor allem auch unter natürlichen Bedingungen. Konventionelle und chemische Insektizide sind aber auf jeden Fall schädlicher für die Natur als das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis. Deswegen wird dieser Stoff ja auch als organisches Spritzmittel im ökologischen Landbau eingesetzt. In den USA haben transgene Bt-Pflanzen bereits zu einer signifikanten Verringerung des chemischen Insektizideinsatzes geführt, mit entsprechenden positiven Umwelteffekten.

Die Stiftung Warentest hat festgestellt, dass viele Produkte Gen-Nahrungsmittel enthalten. Sind Sie für die weltweite Kennzeichnung von solchen Inhaltsstoffen?

Ja, ich bin für eine solche Kennzeichnung, soweit sie technisch möglich ist. Bei der individuellen Kaufentscheidung können ja neben gesundheitlichen Bedenken auch ethisch-moralische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Ein Teil der Opposition gegen die pflanzliche Gentechnik ist darauf zurückzuführen, dass die Konsumenten sich entmündigt und hintergangen fühlen.

„Weltweit wird die Biotechnologie von transnationalen Konzernen dominiert“, schreiben Sie in einem aktuellen Bericht. Glauben Sie, dass Gen-Unternehmen auf die Entscheidungsträger in der Dritten Welt einwirken? Wird auf Gutachter und Wissenschaftler Einfluss genommen?

Nein, einen solchen Zusammenhang sehe ich nicht unmittelbar. Im Gegenteil: Durch die „biotechnologische Übermacht“ einiger privater Konzerne hat sich in der Öffentlichkeit, in den Medien und bei Interessengruppen eine ausgesprochene Opposition gegen diese Unternehmen entwickelt. Jeder, der sich zu stark mit der Industrie einläßt, verliert in diesem sensiblen Bereich schnell seine Glaubwürdigkeit.

Die öffentliche Meinung lässt natürlich auch Entscheidungsträger in Entwicklungsländern nicht unbeeinflußt. Auf nationaler Ebene zeigt sich dies deutlich bei Zulassungsverfahren transgener Produkte, die heute in den meisten Entwicklungsländern strikter gehandhabt werden als noch vor wenigen Jahren. Auf internationaler Ebene trug die Biotech-Opposition entscheidend dazu bei, dass beispielsweise das Biosafety-Protokoll weitaus strenger ausfiel, als sich das die private Industrie gewünscht hätte.

Ist die Freistellung von Gentechnologien für die Dritte Welt wünschenswert und machbar?

Ja, das kostenlose Abgeben von Technologien durch private Firmen an die Dritte Welt ist machbar und wünschenswert.

Die FAO schätzt, dass die Welt im letzten Jahrhundert 95 Prozent der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft verloren hat, die es um 1900 gab.

Das ist ein ernstes Problem. Ursächlich hierfür sind neben dem mangelnden Bewußtsein vor allem wirtschaftliche Faktoren. Durch die Gentechnik sehe ich keine inhärente Gefahr. Während die Hochertragsleistungssorten der „grünen Revolution“ auf wenige Getreidearten beschränkt blieben, lässt sich die Gentechnik grundsätzlich für jede Pflanze anwenden. Eine beschleunigte Einschränkung der Artenvielfalt in der weltweiten Landwirtschaft durch die Gentechnik ist von daher nicht zu vermuten. Bei der Sortenvielfalt könnte die Gentechnik sogar einer weiteren Verengung entgegenwirken.

Interview: C. Gregor Barié
Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Te|le|fo|nist  〈m. 16〉 Angestellter in einer Telefonzentrale o. Ä., der ein Telefon bedient, Telefongespräche vermittelt

Au|gen|trost  〈m. 1; unz.; Bot.〉 Angehöriger einer Gattung der Rachenblütler, kleines, halbparasitisches Kraut: Euphrasia ● du bist mein ~ 〈fig.; poet.〉 mein Liebstes, meine ganze, einzige Freude … mehr

♦ Mi|kro|bio|lo|ge  〈m. 17; Biol.〉 Experte, Wissenschaftler auf dem Gebiet der Mikrobiologie

♦ Die Buchstabenfolge mi|kr… kann in Fremdwörtern auch mik|r… getrennt werden.
» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige