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Der älteste Tempel der Welt

Geschichte|Archäologie

Der älteste Tempel der Welt
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Vor 11 000 Jahren bauten Jäger und Sammler in der Südosttürkei ihren Göttern ein Haus. Der vorgeschichtliche Siedlungshügel Göbekli Tepe beweist: Die ersten Schritte zu Kultur und Kunst machte der Steinzeit-Mensch nicht in Palästina oder Mesopotamien, sondern in Anatolien.

Die Götter werden auch immer älter. Deutsche Archäologen graben gerade die früheste Heimstatt der Überirdischen aus. Adresse auf Erden: Südostanatolien, Region Urfa. Baubeginn: mindestens 11000 Jahre vor heute. Zu diesem Zeitpunkt nährten sich die Menschen noch von Beeren und Bären und konnten noch nicht einmal Ton zu Keramik brennen. Und da die Himmlischen das Schicksal der Irdischen bestimmen, wird auch der Ablauf der Menschheitsgeschichte revidiert – die entscheidenden Schritte in Richtung Zivilisation setzten die Menschen offenbar nicht in der Levante (Palästina) oder in Mesopotamien, sondern im südöstlichsten Zipfel der heutigen Türkei.
Bis jetzt hatten das bibelbekannte Jericho in Palästina und das mythenbeladene Çatal Höyük in Zentralanatolien als Zeugen für die sogenannte Neolithische Revolution dienen. Mit dieser epochalen Umwälzung sollte, so die bisherige Lehrmeinung, die Menschheit den ersten Schritt zu Zivilisation und Kultur gemacht haben: Aus Jägern und Sammlern wurden Landwirte, die Getreide anbauten, Tiere züchteten, richtige Häuser errichteten und in dauerhaften Siedlungen lebten, aus denen später die Städte hervorgingen. Vor allem das Junktim „Seßhaftigkeit und Hausbau“ geriet zum archäologischen Dogma. An dem wurde schon länger gerüttelt, jetzt wird es gestürzt: Auf dem Göbekli Tepe, einem prähistorischen Siedlungshügel in der Südosttürkei bei Sanliurfa (früher Urfa), gräbt Dr. Klaus Schmidt seit sechs Jahren eine gewaltige Kultanlage aus, die um 9000 v. Chr. errichtet wurde. Die Erbauer und Nutzer – und das ist die Sensation – waren noch eine reine Jäger- und Sammlergemeinschaft.
Bekannt ist Göbekli Tepe seit den sechziger Jahren, in seiner Bedeutung erkannt hat ihn erst Klaus Schmidt 1994. Bei einer Geländebegehung (Survey) stolperte er über massive, bearbeitete und teilweise geritzte Kalksteinplatten, die auf dem Boden herumlagen. Aus den „Lesesteinmauern“, zu denen die Bauern ausgepflügte Brocken aufschichten, klaubte er Fragmente von Steinskulpturen. Unmengen bearbeiteter Feuersteinstücke übersäten den Hügel. Mit dem Wissen von Nevali Çori im Hinterkopf war für Schmidt klar: Hier liegt unter der Ackeroberfläche Aufregendes.
Die Spatenarbeit brachte schnell Mauern und T-Kopfpfeiler ans Licht. Nichts davon hatte aus der Erde geragt – ein einmaliger Glücksfall für die Archäologen: Sie hoben nach 11000 Jahren unversehrte Kunstwerke der Altsteinzeitler in die Gegenwart. Schon die im allgemeinen Sprachgebrauch „primitiven“ Jäger und Sammler lebten offenbar nicht nur von der Hand in den Mund, sondern hatten Sinn für Höheres. Transzendentales also gepaart mit handwerklichem Können und künstlerischem Anspruch an der Grenze zwischen Altsteinzeit (Paläolithikum: Jäger- und Sammlergesellschaften) und Jungsteinzeit (Neolithikum: Bauern und Viehzüchter).
Einige der ausgegrabenen Pfeiler sind trotz ihrer drei Meter Höhe niedriger als die umgebenden Mauern. Die Relief-geschmückten Säulen dienten also nicht unbedingt als Träger eines Daches, sie könnten, so eine mögliche Interpretation, eine Art Totempfahl der Gemeinschaft oder einer Sippe sein. Eine personalisierte Gottheit mag Schmidt darin noch nicht erkennen, aber die Berufung auf ein nicht-irdisches Wesen, also Religiosität, scheint ihm sicher.
Ganz konkret um 7500 v. Chr. ist abrupt Schluß mit der Besiedlung und Nutzung von Göbekli Tepe. Seltsames geschieht: Der gewaltige Kultplatz wird beerdigt, die grandiosen Anlagen werden samt Pfeilern und Skulpturen zugeschüttet. Was ist passiert? Schmidt zuckt die Achseln und bietet als eine Interpretation an: Die religiöse Welt hat sich verändert, die Riten der Sammler und Jäger sind bedeutungslos geworden, es treten neue kultische Formen auf.
Warum kam man nicht früher auf die entscheidende Zwischenzeit – als der Mensch zwar noch nicht töpfern konnte, als Sammler und Jäger von der Hand in den Mund lebte und dennoch große Bauten zu Siedlungen schichtete und Kunst produzierte? Die Antwort ist zugleich ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Sie belegt, daß der forschende Mensch meist das findet, was er kennt: Das Heilige Land war durch die biblischen Berichte bekannt, oft bestand der wissenschaftliche Ehrgeiz darin, die Bibel zu „beweisen“. Also fand man Jericho mit seinen gewaltigen Mauern. Ohne viel Widerrede wurde der Ort am Jordan zur ersten Großsiedlung der Menschheit stilisiert. Weitere menschliche Siedlungen der Vorgeschichte suchte und fand man, durchaus logisch gedacht, in den fruchtbaren Flußtälern von Jordan, Tigris und Euphrat.
Alles logisch und belegt – aber was war vorher? Nur dumpfdenkende, allein auf alltägliche Bedürfnisbefriedigung erpichte Wesen? Mit dieser Frage zogen zu Beginn der sechziger Jahre Archäologen in die Randgebiete des Fruchtbaren Halbmondes – und wurden prompt fündig: An den Hängen der Gebirgszüge Zagros und Taurus entdeckten sie etliche Stätten einer hochentwickelten Steinzeitkultur die vor Landwirtschaft und Seßhaftigkeit Kulturelles schuf.
Aber: Das hochentwickelte kulturelle Bewußtsein der akeramischen Altsteinzeitler bricht mit der Seßhaftigkeit komplett weg. Kaum eine akeramische Siedlung findet im keramischen Neolithikum eine Fortsetzung. „Der Glanz der alten Kultzentren mit den Steinplastiken und der Vielfalt der Tierdarstellungen verschwindet, alles verbäuerlicht“ (Hauptmann). Die alten Götter werden abgelöst. Ist die akeramische Steinzeitkultur der Endpunkt einer Entwicklung? Oder ist sie der Beginn zu etwas Neuem, das erst später und an anderer Stelle zutage tritt, so daß man die Beziehungen noch nicht erkennen kann?

Michael Zick
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