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Die erste Siedlung der Altsteinzeit

Geschichte|Archäologie

Die erste Siedlung der Altsteinzeit
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Göbekli Tepe stürzt ein Dogma: Die Bauern waren nicht die ersten Architekten. Schon die Sammler und Jäger des Paläolithikums bauten Ortschaften und errichteten Großarchitektur. Der prähistorische Siedlungshügel in der Südosttürkei war sicher Kultplatz und eventuell auch Werkzeug-Manufaktur.

Heute bleibt der Kühlschrank warm. Staub verschleiert die Sonne und schluckt ihre Energie. Was die Solarbatterie von lichteren Tagen noch in sich hat, wird für den Computer gebraucht. Der anhaltende Sturm zerrt an den Zelten und den Nerven der archäologischen Fährtensucher in der Steinwüste um Göbekli Tepe, dem neuen Star unter den prähistorischen Fundstätten im Südosten der Türkei. Bis an den Horizont ein Rund grau in grauer Hügel, die sich wie Dünen wellen. Was zieht Klaus Schmidt, einen bodenständigen Franken, in die anatolische Wüstenei? Magnet war ein unscheinbarer Quarz, der – härter als Stahl – eine halbe Million Jahre lang der Rohstoff Nummer eins war für Werkzeug und Waffen: Feuerstein, Flint, Silex – alles Namen für die Schmidtsche Passion. Der Erlanger Prähistoriker ist einer der wenigen Spezialisten, denen dieser unscheinbare Stein Geschichte erzählen kann. Sind es sonst tönerne Scherben, die Kultur und Alter einer Siedlung verraten, tun das die Pfeilspitzen und Klingen für jene Vorzeiten, in denen der Mensch Keramik noch nicht kannte. Doch sind solche Beweisstücke überaus rar. Der Hinweis in einer Studie auf einen „Berg voller Flint“ muß da elektrisieren. Im Spätwinter 1993 vergräbt sich Klaus Schmidt in einen archäologischen Bericht über eine oberflächige Bestandsaufnahme im Osten der Türkei. Neben Spuren von Assyrern, Hethitern und alten Griechen erwähnen die Archäologen darin beiläufig jenen „Berg voller Flint“, über den sie unweit der Stadt Sanliurfa (früher Urfa) stolperten. Schmidt eist sich vom Wintersemester los, um die Berge hinter Sanliurfa zu erkunden. Die Kuppen dort gleichen sich wie ein Ei dem anderen, nur eine ragt aus der Einförmigkeit heraus: Sie ist höher als die anderen und hebt sich von der Ödnis mit einem Baum und zwei alten Gräbern ab. Göbekli Tepe heißt diese Erhebung, zu deutsch: „Berg mit Nabel“ – Nabel einer uralten Welt, wie sich bald zeigen wird. Schon bei der ersten Sondage tauchen T-Pfeiler auf: mächtige Steinkreuze ohne Kopf, mit Reliefs an den Breitseiten. Nachdem er Genehmigung und Geld beschafft hat, legt Schmidt im Sommer 1995 los – und auf Anhieb Gebäude frei, die glänzen mit Terrazzoböden und Mauerwunderwerken. Das Höchste jedoch sind die kolossalen Bildstelen. Neben den Reliefs schufen die Steinmetze von Göbekli Tepe auch lebensgroße Vollplastiken. Doch die Krönung ist das Alter der Skulpturen: Zwei Datierungen mit der Radiokarbonmethode kommen auf 11000 Jahre. Zu diesem Zeitpunkt war die Kunstepoche der Höhlenmalerei längst vorbei, in der Architektur aber hatte sich nicht das geringste getan. Nevali Çori – von den Archäologen als Prototyp des Tempels gefeiert – liegt noch in ferner Zukunft. Jericho wird zwar zur gleichen Zeit errichtet, aber schmucklos ohne die kunstvollen Pfeileranlagen. Und die Pyramiden Alt-Ägyptens entstehen erst 6000 Jahre nach den Monumenten vom Nabelberg. Schmidt sieht in dem Berg der Feuersteine den Brennpunkt einer frühen Kultur: „Hier haben die Altsteinzeitler eine grandiose Abschiedsvorstellung gegeben.“ Weil die Wildbeuter zu Bildhauern wurden, waren sie vorübergehend auf die Seßhaftigkeit gekommen. Der Ausgräber schätzt die Steinmetze auf gut 500 Mann. Da mußten sich die Sammlerinnen schon etwas einfallen lassen, um die Belegschaft satt zu kriegen: Sie bauten Wildgetreide am Fuß des Berges an. Es wird dunkel, die Grabungs-Crew arbeitet immer noch. Nachtschichten sind nicht Sitte, aber heute muß eine sein: Der Fachmann für Abgüsse reist morgen in aller Frühe ab und hat sein Silikon erst auf den letzten Drücker aus dem Zoll gekriegt. Damit er endlich werkeln kann, wird der Batterie das Letzte abverlangt. Wie einst wohl die Öllampen aus Basalt, bringen nun Funzeln der Neuzeit mysteriöses Leben in die Grube. Jetzt dräuen die Löwen und eine Ahnung von Steinzeit kommt auf.

Dr. Waltraud Sperlich
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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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