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Die Scheidungsformel

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Die Scheidungsformel
Ein mathematisches Verfahren soll die faire Teilung von Hab und Gut garantieren.

In den USA geht jede zweite Ehe in die Brüche. Das macht pro Jahr rund 1,2 Millionen Scheidungen – und fast so viele Prozesse: Wer bekommt das Haus, wer die Familienkutsche oder das Tafelsilber?

Die Antworten hierauf führen fast immer zur Vergrößerung des emotionalen Scherbenhaufens. Doch der Disput um Haus und Hof kann auch friedlich und vor allem fair ablaufen. Das glauben zwei amerikanische Wissenschaftler, die das Scheidungsdilemma mit einer algebraischen Gleichung lösen wollen: Steven Brams, einer der führenden Spiel-Theoretiker Amerikas, und Alan Taylor, Mathematikprofessor am Union-College in Schenectady, erdachten ein mathematisches Verfahren, das Emotionen aus dem Streit um gemeinsame Güter nimmt und für ihre gerechte Aufteilung sorgt – die „Adjusted Winner“-Methode.

„Man braucht dazu nur ein Blatt Papier, einen Stift und vielleicht einen Taschenrechner,“ beschreibt Taylor das simple Vorgehen. Zunächst werden alle Streitobjekte auf einen Zettel geschrieben. Jeder bekommt 100 Punkte, und darf sie über die gemeinsamen Güter verteilen, individuell nach Geschmack und persönlicher Wertschätzung. Anschließend erfolgt eine erste Verteilung: Ein Objekt wird demjenigen zugeteilt, der dafür die meisten Punkte vergeben hat.

„Was dabei herauskommt, ist jedoch noch nicht ganz fair“, findet Taylor, „daher muß ein Ausgleich („adjustment“) stattfinden.“ Dazu kommen bestimmte Güter zurück in den gemeinsamen Topf, und zwar diejenigen, bei denen die verteilten Punkte am dichtesten beieinander lagen, es also eindeutige gemeinsame Prioritäten gab. Diese Güter werden dann mit Hilfe der Brams-Taylor-Formel zu gerechten Anteilen auf die beiden Streitpartner verteilt. „Für dieses Adjustment wird dann der Taschenrechner gebraucht“, sagt Taylor. Sind dann alle Objekte verteilt, geht jeder Partner mit der gleichen Anzahl an Punkten nach Hause. „Und das genau ist das Schöne bei dieser Methode: Es gibt keine Verlierer“, bemerkt Brams, „In der Regel bekommt jeder ungefähr zwei Drittel dessen, was er aus der Streitmasse haben wollte.“

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Weder Brams noch Taylor entwickelten die Methode aus persönlichen negativen Erfahrungen. Vielmehr entstand „Adjusted Winner“ als Abfallprodukt des bekannten mathematischen Problems: Wie teilt man eine Torte, ohne daß jemand dabei zu kurz kommt? Die beiden Wissenschaftler wußten die Aufgabe akademisch zu meistern, doch das Ergebnis ihrer Überlegungen war wenig praxisbezogen: „Beim Schneiden des Geburtstagskuchens würde es damit nur Krümel geben“, gesteht Brams zu.

Für andere Verteilungsprobleme aber zeigte sich ihre Kuchenformel, leicht abgewandelt, praktikabel. Seit Juni 1999 ist der Brams-Taylor-Scheidungs-Algorithmus offiziell patentiert – bisher das einzige Patent für Konfliktlösungen. Die genaue Gebrauchsanweisung ist auch in einem neuen Buch von Brams und Taylor nachzulesen („The win-win solution: Guaranteeing Fair Shares to Everybody“, W.W. Norton & Company, New York 1999) „Wir wollen aus der Formel kein Geheimnis machen“, sagt Brams. „Jeder kann unser Buch kaufen und es auf seine eigenen Dispute anwenden.“

Frühere Verfahren zur Konfliktlösungen waren selten so befriedigend: „Ich teile, Du wählst“ ist zwar einfach, sogar in der Bibel beschrieben (Abraham teilte das Land in Kanaan und Jordansland, Gefolgsmann Lot durfte sich ein Stück aussuchen) aber selten gerecht. „Der Teiler kann manipulieren“, kritisiert Brams, „und das ist besonders bei Scheidungen sehr ungünstig.“ Bei der zweiten bisher gängigen Methode – „erst wähle ich, dann Du“ – ist der Nachteil offensichtlich: Der Zweitwähler hat das Nachsehen.

Dennoch ist auch die Brams-Taylor-Formel nicht perfekt. Sie garantiert nur, daß aufrichtige Partner mindestens 50 Prozent der Streitmasse erhalten, die sie für wichtig halten. Beide Parteien können am Ende mit zwei im Wert völlig unterschiedlichen Paketen aus der Diskussion herauskommen. Wenn der Gatte zum Beispiel gesteigerten Wert auf den Hund legt oder auf die Liebesbriefe der Großmutter, zu Ungunsten von Münzensammlung oder Mercedes.

Auch in Deutschland macht das amerikanische Patent Schule, nicht nur in Scheidungsangelegenheiten: Matthias Raith, Privatdozent für Wirtschaftsmathematik in Bielefeld, unterrichtet damit Ärzte, Sozialarbeiter und Behördenleiter, wie sie Zwistigkeiten zu allseitiger Zufriedenheit beilegen können. Ehekrächen kann man mit „Adjusted Winner“ sogar vorbeugen, damit es vielleicht gar nicht erst zur Trennung kommt: Typische potentielle Scheidungsgründe wie Streitigkeiten um die Aufgabenverteilung im Haushalt, Kindererziehung und Geldausgabe ließen sich mit der 100-Punkte-Methode regeln. So ist gerecht ermittelbar, wer die Hemden bügelt, den Müll hinunter trägt, wo die Kinder ihre Ferien verbringen oder welche Anschaffungen wann getätigt werden. Man zücke nur Papier und Bleistift, erstelle ein Liste, verteile 100 Punkte und rechne…

Desiree Karge
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