Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Krankheitspotentiale

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Krankheitspotentiale
genekrank.jpg
Nach der Entzifferung des Erbguts beginnt die Jagd auf die Krankheitsgene. Bald wird man jeden der drei Milliarden Buchstaben des menschlichen Erbguts kennen – aber damit noch lange nicht seine Funktion. Erst die Entschlüsselung der mehr als 100000 Gene in diesem molekularen Heuhaufen verspricht Erfolg bei der Heilung von Erbkrankheiten.

Dr. Alfons Meindl hat Streß. Am Telefon ist eine besorgte Mutter, die mit ihren zwei kranken Söhnen vor einigen Wochen in die Klinik zum Gentest kam. Jetzt möchte sie endlich das Ergebnis der Untersuchung erfahren. Doch Meindl muß sie vertrösten. „Ich verstehe Ihre Unruhe, aber ich bitte Sie noch um etwas Geduld“, sagt er beschwörend in den Hörer. „Wir brauchen unbedingt noch drei Wochen für weitere Tests, bevor ich Ihnen ein exaktes Ergebnis sagen kann.“ Erst Minuten später, nach einigen weiteren Beschwichtigungen, kann er auflegen.

Meindl arbeitet in der Abteilung Medizinische Genetik der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Wir haben erst seit gestern einen Hinweis, daß die beiden Jungen wahrscheinlich am sogenannten Wiskott-Aldrich-Syndrom leiden“, erläutert er. Bei den Erkrankten ist das Immunsystem extrem geschwächt. Jede Infektion ist für sie gefährlich, ihre Lebenserwartung liegt derzeit bei etwa zehn Jahren.

Die Krankheit gibt es nur bei Männern, weil ihre Ursache ein defektes Gen auf dem X-Chromosom ist. 1994 wurde es entdeckt. Anders als bei Frauen, die zwei X-Chromosomen haben, können solche Defekte bei Männern nicht von der Genkopie auf dem anderen Chromosom ausgeglichen werden.

Fast täglich übt sich Meindl im Spagat zwischen den besorgten Fragen jener, die konkrete Auskunft über ihr Leiden suchen, und einer wachsenden Lawine an Informationen über genetische Krankheiten. Die reichen bislang aber oft nicht für eine Diagnose und weisen noch seltener den Weg zur Linderung von Leiden. „Es ist extrem schwierig geworden, überhaupt die Übersicht zu behalten“, meint er. Dabei arbeitet er selber im Deutschen Humangenomprojekt (DHGP) kräftig daran mit, immer mehr Gene im menschlichen Erbgut zu lokalisieren und ihre Funktion im Körper zu ermitteln.

Anzeige

Die Kenntnis der kompletten Basenfolge auf der menschlichen Erbsubstanz wird die Arbeit der Genjäger enorm vereinfachen. „Ich ziehe mir einfach jene Sequenzen der menschlichen DNA, die ich untersuchen will, aus dem Internet in meinen Computer“, sagt Meindl, „und vergleiche sie mit ähnlichen Genen bei Maus oder Fliege, deren Funktion ich schon kenne – und auch die Folgen, wenn diese Gene defekt sind. Weil gleiche Gene bei allen Lebewesen eine ähnliche Aufgabe haben, weiß ich etwa, wofür sie beim Menschen verantwortlich sind, und kann dann gezielt Patienten auf Defekte in diesen Genen untersuchen.“

Meindl sucht vor allem auf dem X-Chromosom, dem Erbgutstrang, der das Geschlecht prägt. Eine Karte dieses Chromosoms füllt eine ganze Wand in seinem Arbeitszimmer. Die Suche nach einem Gen beginnt meist mit der Nachricht von einer Krankheit, die in einer bestimmten Familie vererbt wird – etwa eine Veranlagung für Brustkrebs, für Nachtblindheit oder für Asthma. Die erste Etappe besteht darin, den Ort einzugrenzen, an dem ein Gen auf den Chromosomen steckt, dessen Defekt Ursache der Krankheit ist. Dafür vergleichen Wissenschaftler systematisch die DNA von gesunden mit der von erkrankten Familienmitgliedern. Oft gelingt es, eine oder mehrere typische Muster auszumachen, die immer zusammen mit der DNA von Kranken auftauchen. In der Nähe dieser Stellen muß sich das gesuchte Gen befinden. Meindl: „Diese klassischen Kopplungsanalysen erlauben es uns, die Lage eines Gens auf einen bestimmten Bereich des Chromosoms einzugrenzen. Der besteht dann allerdings meist immer noch aus einer Kette von ein bis zwei Millionen Erbgut-Buchstaben, den Basen.“ Darin das eigentliche Gen aufzuspüren, war für viele Labors lange Zeit zu arbeitsaufwendig. Das hat das Humangenomprojekt radikal verändert.

„Wir konnten 1994 erstmals daran denken, die Buchstabenfolge einer großen Region der menschlichen DNA komplett zu entschlüsseln“, erinnert sich Meindl. Sie liegt auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms, heißt Xp11.23 und enthält etwa zwei Millionen Basenpaare. Kopplungsanalysen hatten gezeigt, daß dort sehr viele Gene sind, deren Defekt Krankheiten auslöst. „Unter anderem mußte dort auch ein Gen stecken, dessen Defekt zu einer bestimmten Form von Nachtblindheit führt. Das wollten wir fischen“, sagt Meindl. Aber wie sollten sie diesen Fisch an den Haken bekommen?

Immerhin waren 1998 rund 1,5 Millionen der 2 Millionen Basen des X-Chromosoms sequenziert. Die Reihenfolge ist für jedermann zugänglich. Ein internationales Abkommen, die Bermuda-Konvention, legt fest, daß alle Sequenzdaten, die beim Humangenomprojekt gewonnen werden, unverzüglich öffentlich gemacht werden.

Etwa 6000 Krankheiten werden nach heutiger Schätzung jeweils durch einen Schaden in einem einzigen Gen verursacht. Meindl ist überzeugt: „Die haben wir bald.“ Doch damit wäre erst der kleinere Teil der genetischen Faktoren für die Krankheiten des Menschen aufgeklärt. Die Erforschung von Erkrankungen, an denen mehrere, oft Dutzende Gene beteiligt sind – etwa von Arteriosklerose, Herzinfarkt, Asthma oder Krebs – ist schwieriger. Dazu kommt das Zusammenwirken mit Umweltfaktoren, etwa Schadstoffen, oder einseitiger Ernährung.

Meindls Patentantrag für CACNA1F, jenes Gen, das wichtig ist für das Sehen in der Dunkelheit, verstaubt in einer Schublade. „Wir hatten daran gedacht, daß man einen Test entwickeln könnte und vielleicht ein Arzneimittel.“ Doch bei so einer seltenen Erkrankung lohnt das für eine Firma offenbar nicht. „Wir haben keine Interessenten gefunden“, zieht Meindl Bilanz. Bei Volkskrankheiten wie Asthma oder Krebs werde das Genomprojekt aber sicher helfen, neue Therapien zu entwickeln: „Es wird allerdings noch eine Weile dauern.“ Bis dahin nutzt die Kenntnis von den Genen den einzelnen Patienten oft nur wenig. Meindl ahnt Probleme bei einem seiner nächsten Beratungsgespräche: „Ich fürchte, daß auch die Mutter mit ihren beiden kleinen Jungs, die an der Immunschwäche-Krankheit Wiskott-Aldrich-Syndrom leiden, nur schwer einsehen wird, daß die Krankheit zu kennen noch nicht bedeutet, sie auch behandeln zu können. Und das können wir derzeit nicht.“

Dr. Bernhard Epping
Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

zu|sam|menschla|gen  〈V. 216〉 I 〈V. t.; hat〉 1 etwas ~ aneinander-, gegeneinanderschlagen 2 〈umg.〉 2.1 etwas ~ zerschlagen, zertrümmern … mehr

Gas|brand  〈m. 1u; unz.; Med.〉 bes. von zerfetzten, tiefgreifenden, unterhöhlten u. durch Erde beschmutzten Wunden ausgehende, lebensgefährliche Infektion, wobei die Wunde infolge Gasbildung anschwillt; Sy Gasödem … mehr

Eich|horn  〈n. 12u; Zool.〉 = Eichhörnchen

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige