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Der Glaubensstreit

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Der Glaubensstreit
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Smithsonian Museum of Natural History, mitten in der US-Hauptstadt Washington: Im Baird-Auditorium herrscht gespannte Aufmerksamkeit. Den Zuhörern in dem barock wirkenden Hörsaal ist klar: Hier geht es ums Ganze: das Universum, die fundamentalen Naturgesetze und andere Universen. Und: „Zwei Physiker debattierten über Gott, das Gute, Böse und was wäre, wenn“, wie es am nächsten Tag auf der Titelseite der Washington Times heißt. „Ist unser Universum eine geplante, zielgerichtete Schöpfung?“ lautete die Frage. „Nein“, gab der Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg zur Antwort. „Ja“, erwiderte John Polkinghorne, ebenfalls Elementarteilchenphysiker und außerdem anglikanischer Pfarrer.

Als Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler und Galileo Galilei die Erde aus dem Zentrum stießen, war das nicht nur ein naturwissenschaftlicher Durchbruch. Es war der Umsturz eines Weltbildes und zugleich ein Zusammenprall zwischen einer neuen Methode des Erkenntnisgewinns auf der einen Seite und religiösen Traditionen und Doktrinen auf der anderen. Hatte die Kirche die astronomische Forschung zunächst interessiert verfolgt und sogar unterstützt – Kopernikus war Domherr im polnischen Frauenburg und hatte sein Hauptwerk Papst Paul III. gewidmet, Kepler hatte Theologie studiert und seine Forschung sogar als Gottesdienst verstanden -, ging sie nun auf Konfrontationskurs.

Galilei wurde 1633 gezwungen, sein heliozentrisches Weltbild zu widerrufen, und für den Rest seines Lebens unter Hausarrest gestellt, denn die Erde hatte fest im Raum zu stehen, schließlich galt sie als Fußschemel Gottes. Und Giordano Bruno starb auch deshalb 1600 auf dem Scheiterhaufen, weil er behauptet hatte, daß das Universum unendlich groß sei und zahllose Planeten enthalte – eine Blasphemie, die Gott obdachlos machte, weil sein Wohnsitz hinter der Fixsternsphäre liegen sollte, die im alten Weltbild das Sonnensystem kugelschalenförmig umschloß.

Der Fortschritt der Wissenschaften hat die Welt immer weiter entzaubert. Zwar gibt es noch immer Lücken im wissenschaftlichen Weltbild, und das wird sich auch niemals ändern, da wir aus prinzipiellen erkenntnistheoretischen Gründen keine letzten Erklärungen finden können.

Doch von der früher verbreiteten Ansicht, Gott stecke gleichsam in diesen Lücken als des Rätsels Lösung, haben die meisten heute Abstand genommen. Zu frappierend verlief die Geschichte der Vertreibungen, und ein Gott, dem nur noch außerhalb des Universums – zum Beispiel „vor“ dem Urknall – eine Heimstatt bleibt, ist für viele auch kein tröstlicher Gedanke.

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Dabei hatte Papst Pius XII. 1951 im Urknall-Modell sogar ein Indiz für eine Erschaffung des Universums gesehen – und somit auch einen Hinweis auf die Existenz Gottes, wie er in einer Adresse an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften schrieb. Als deren Leiter hatte er den belgischen Physiker und Priester Georges Lemaître berufen.

Der hatte bereits 1927 auf der Grundlage von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vermutet, daß unser Universum mit all seiner Materie und Energie sowie Raum und Zeit in einer Art Explosion aus einem Punkt oder „Uratom“ entstanden ist.

Inzwischen haben die Kosmologen und Hochenergie-Teilchenphysiker sehr genaue Vorstellungen von den Vorgängen eine milliardstel Sekunde nach dem Urknall und können sie mit Teilchenbeschleunigern sogar teilweise experimentell nachvollziehen. Doch zugleich wachsen die Schwierigkeiten. Bei noch höheren Energien versagt die Möglichkeit der direkten Überprüfung – die Beschleuniger müßten Hunderte von Lichtjahren groß werden.

Auch das theoretische Rüstzeug fehlt: eine vereinheitlichte Theorie der Gravitation und der übrigen Naturkräfte. Vorschläge gibt es zwar, doch sie sind bislang noch grob, unüberprüft und völlig unanschaulich. (Die String-Theorie fordert beispielsweise die Existenz von sechs zusätzlichen, „irgendwie eingerollten“ Raum-Dimensionen, die Supergravitations-Theorie braucht sogar sieben.) Trotzdem sind einige Theoretiker zuversichtlich, vielleicht bald eine „Weltformel“ zu finden und damit womöglich auch den Urknall zu erklären.

„Wenn das Universum sich erschöpfend durch eine einheitliche Theorie beschreiben ließe, so hätte dies tiefgreifende Auswirkungen auf Gottes Rolle als Schöpfer“, meint Stephen Hawking, der kürzlich in einer BBC-Umfrage zum berühmtesten lebenden Wissenschaftler des Jahrtausends gekrönt wurde. Er hat ein Weltmodell entwickelt, das ein Universum ohne die mysteriöse Anfangssingularität der klassischen Urknall-Theorie beschreibt.

Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer? Quantenkosmologen benötigen keinen „Ersten Beweger“, um zu verstehen, wie ein Universum aus einem amorphen, zeitlosen Quantenvakuum hervorgehen könnte. Das Nichts wäre gleichsam instabil, und womöglich blubbern unendlich viele Universen in alle Ewigkeit wie Seifenblasen aus ihm hervor. „Es ist vorstellbar, daß alles aus dem Nichts entstanden ist“, sagt Alan Guth vom Massachusetts Institute of Technology, für den die Naturgesetze einen Kosmos gleichsam gratis liefern. „Es läßt sich heute mit gutem Grund behaupten, das Universum ist die großzügigste aller freien Mahlzeiten, die jemals serviert worden ist.“

===Rüdiger Vaas
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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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