Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Kansas bannt Darwin

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Kansas bannt Darwin
darwin.jpg
Was ist los in Kansas? Der Sonnenblumenstaat, mitten im Herzen der USA gelegen, war bis vor kurzem nur für seine baumlosen Ebenen bekannt. Nun ist er zur Heimat für Hinterwäldler geworden, in der die Zeit scheinbar stehengeblieben ist – noch vor jener Ära, in der Cowboys durch Dodge City galoppierten und der Pony-Expreß die Neuigkeiten verbreitete. Die große Wende kam, als im August das Kansas Board of Education beschloß, Evolution und verwandte Themen aus den öffentlichen Schulen zu verbannen. Das zehnköpfige Gremium, das unabhängig von der Landesregierung in Topeka Entscheidungen über die Gestaltung der Lehrpläne fällt, gab mit seinem Beschluß neue Empfehlungen für Biologie-Lehrer heraus. Das Wissen über Darwins Evolutionstheorie, die Entwicklung der Arten durch Mutation und natürliche Auslese, aber auch geologische Bestimmungen des Erdalters, fossiler Knochenfunde und die Urknall-Theorie soll den Schülern in Kansas zukünftig erspart bleiben.

Diese Themen dürfen zwar weiterhin unterrichtet werden, müssen es aber nicht und verschwinden ab 2001 aus den landesweiten Einstufungstests. Kansas’ Lehrer stehen daher unter Druck, aber ebenso das Kansas Board of Education. Die provokante Entscheidung, die einmalig in der Geschichte der Staaten ist, verursachte einen Sturm der Entrüstung, der nicht nur über Kansas tobte. Interessenverbände wie The American Civil Liberties Union und People for the American Way drohen mit Gerichtsprozessen, die das Board zu einer Rücknahme der Entscheidung zwingen soll. Und der Gouverneur von Kansas, der Republikaner Bill Graves, charakterisiert den Beschluß als “tragische und peinliche Lösung für ein Problem, das überhaupt nicht existiert”.

Mit Bestürzung reagierten auch Wissenschaftler und Lehrer. Kansas Universitätspräsidenten kommentierten den Beschluß des Board als “Schritt ins vergangene Jahrhundert” und befürchten, daß die ohnehin wenigen Lehrer in den Naturwissenschaften zu anderen Berufen greifen. “Es ist unglaublich, wie eine amerikanische Institution an der Schwelle des 21. Jahrhunderts einen derart rückständigen Beschluß fassen kann”, rügt der renommierte Paläontologe Paul Sereno, Professor an der University of Chicago. Er beförderte unlängst das mit 228 Millionen Jahren bisher älteste Dinosaurier-Skelett zutage und findet es lächerlich, daß man Schülern in Kansas das Vorkommen und die Bedeutung fossiler Funde verschweigen soll.

Am meisten unter dem Darwin-Entzug leiden die Schüler, meint Molleen Matsumura vom National Center for Science Education (NCSE) in Berkeley, Kalifornien: “Dieser Beschluß schafft wissenschaftliche Analphabeten.” Über solche Befürchtungen können Kreationisten nur staunen. Ihnen geht es angeblich um die Wahrheit und die, so ihr Tenor, liege nun mal in der Bibel und nicht in Darwins “The Origins of Species”. “Wir können Kindern doch nicht Dinge als Tatsachen präsentieren, für die es keine Beweise gibt”, argumentiert Frank Sherwen, Zoologe und Sprecher für das Institute for Creation Research (ICR) in Santee, Kalifornien. Das ICR ist eine der größten und engagiertesten kreationistischen Organisationen in den USA. Zusammen mit verwandten Gruppierungen wie Answers in Genesis arbeiten sie seit mehr als zwei Jahrzehnten am Knock-Out für Darwin. Der Entscheid in Kansas ist ihr bisher größter Sieg.

Hinter den Kreationisten verbirgt sich eine inhomogene Gruppierung von Christen, die die Bibel, insbesondere das Buch Genesis wörtlich nehmen. Darin heißt es, Gott habe das Universum in sieben Tagen erschaffen, einschließlich der Erde und aller ihrer Kreaturen. Bibelinterpreten errechneten das Alter der Erde auf höchstens 10000 Jahre. Kreationisten akzeptieren “Mikroevolution”, da heißt die Anpassung einer Spezies an bestimmte Umweltbedingungen und daraus resultierende Veränderungen innerhalb der eigenen Art. Sie zweifeln aber an einer “Makroevolution”, nach der das Leben auf unserem Planeten mit einfachen Formen wie Bakterien und Algen begann und sich daraus allmählich zu komplexeren Arten entwickelte. Die verschiedenen Lebensformen auf der Erde seien zu komplex, als daß sie “von alleine” entstanden wären, so Frank Sherwen. Nur eine intelligente, übernatürliche Macht könne ein solches Werk vollbracht haben. “Wo ist der Beweis dafür, daß sich eine Kuh in einen Wal und ein Dinosaurier in einen Vogel verwandeln kann?”, fragt Linda Holloway, Vorsitzende des Schoolboard in Kansas und Befürworterin des Beschlusses.

Anzeige

Doch damit nicht genug. Kreationisten kritisieren, daß es für die Urknall-Theorie keine Beweise gäbe, fossile Funde Lücken in der Systematik aufwiesen, die Methoden zur Bestimmung des Erdalters Fehler enthielten und DNA- und RNA-Vergleiche zwischen verwandten und nichtverwandten Spezies inkonsistent seien. Deswegen dürfe man diese Themen im Unterricht nicht als Tatsachen präsentieren, argumentierte das Kansas Board of Education. Robin Jackson, Biologie-Lehrerin in Kansas, will der Empfehlung des Board folgen: “Wir Lehrer haben eine große Verantwortung, den Schülern die Wahrheit zu vermitteln. Und die besteht darin, daß sich hinter Evolution nur eine Theorie verbirgt.” Doch vielen Kreationisten geht es in der Debatte nicht um Schwächen in der Beweislage. Der US-Kongreßabgeordnete Tom DeLay, Republikaner, bemängelt: “Unser Schulsystem lehrt den Kindern, daß sie nichts anderes seien als glorifizierte Affen, die sich aus einer schlammigen Ursuppe entwickelten.” Mark Looy, Sprecher von Answers in Genesis, bringt die Sorge der Kreationisten auf den Punkt: “Schülern wird vermittelt, daß sie ein Produkt vom Überleben des Stärkeren seien. Es gibt keinen Sinn im Leben, wenn wir als Tiere im Kampf ums Dasein dargestellt werden. So etwas schafft Hoffnungslosigkeit und Selbstzweifel und führt zu Leid, Mord und Freitod.”

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

ta|bisch  〈Adj.; Med.〉 an Tabes leidend; Sy tabetisch … mehr

at–Zei|chen  〈[æt–] n. 13; Zeichen: @; IT〉 = at

Ob|jekt|ero|tik  〈f.; –; unz.; Psych.〉 sexuelle Befriedigung mithilfe eines Gegenstandes; →a. Objektlibido … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige