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Der erste Angriff auf das Gen

Erde|Umwelt Kommentare

Der erste Angriff auf das Gen
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Das Bild der allmächtigen Doppelhelix bröckelt. Foto: bestdesign/Thinkstock
Wenn Wissenschaftler auf ihre Geschichte zurückblicken, betrachten sie häufig vor allem Triumphe oder Meilensteine, die sie und ihre Kollegen auf dem Weg zur Wahrheit erreicht haben. Die Präsentation der Doppelhelix 1953 und die Einsichten in den genetischen Code in den 1960er Jahren gehören dazu und stellen sicher große Momente der Wissenschaft dar. Dazwischen schiebt sich aber eine Einsicht aus dem Jahr 1955. Die Arbeit von Seymour Benzer wird zwar selten erwähnt, entfaltet aber ihre Wirkung nach wie vor.

Über die DNA ist heute die Ansicht weit verbreitet, sie sei so etwas wie die Blaupause des Lebens. Sie gilt als die entscheidende Grundlage, um den Aufbau von Organismen zu verstehen. Sie scheint der Schlüssel zur Entstehung von Krankheiten und Fehlbildungen zu sein. Als dementsprechend tiefgreifende Veränderung für die Biologie gilt die Entdeckung der DNA im Jahr 1953.

Doch man sollte mit der Doppelhelix etwas vorsichtiger umgehen, denn in ihrem Schatten ist eine Einsicht gelungen, die es viel zu wenig an das Licht der Öffentlichkeit gebracht hat. Gemeint sind Arbeiten des amerikanischen Genetikers Seymour Benzer, der 1955 als erster so etwas wie eine Feinstruktur des genetischen Materials ausarbeiten konnte, und zwar ganz ohne biochemische Hilfsmittel.

Erkenntnisse durch Bakteriophagen

Benzer kreuzte bakterienfressende Viren, sogenannte Bakteriophagen, die eine Mutation im gleichen Gen trugen, und stellte fest, dass sich unter deren Nachkommen auch gesunde Individuen befanden. Wie konnte das sein? Schließlich müssten doch eigentlich alle Nachkommen krank sein, entweder das mutierte Gen vom „Vater“ oder der „Mutter“ tragen. Schließlich werden Gene immer als Einheiten vererbt – oder etwa nicht? Offenbar nicht: Die gesunden Viren-Nachkommen konnten nur entstehen, weil die mutierten Gene der Eltern zerteilt wurden. Die Bakteriophagen, so stellte Benzer fest, hatten auch ihren Sex – und dabei hoffentlich ihren Spaß –, aber das war nicht die entscheidende Entdeckung. Das eigentlich Herausragende war, dass der als „crossing over“ bezeichneten Austausch von Chromosomenteilen in manchen Fällen mitten durchs mutierte Elterngen ging! Die gedachte Einheit „Gen“ gab es also nicht, sie zeigte sich nur als kleines Stückchen des großen Moleküls namens DNA. Seitdem lautet die Frage, ob man sie wirklich versteht, die Gene, die die „Blaupause allen Lebens“ und „die entscheidende Grundlage“ zu seinem Verständnis liefern sollen.

Die Antwort ist ein klares NEIN!, auch wenn die Kollegen von Benzer bis zum Abschluss des Genomprojektes zu Beginn des 21. Jahrhunderts gebraucht haben, um die Relevanz seiner Antwort von vor 60 Jahren zu verstehen. Heute löst sich das Gen als Begriff bekanntlich auf, auch wenn es in öffentlicher Rede nach wie vor beschworen und gern gebraucht wird. Es gibt wahrscheinlich gar keine Gene, nur das Gerede über sie, und man hätte das seit 1955 wissen und über diesen sich ankündigenden Verlust nachdenken können.

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Niemand versteht die „Gene“ wirklich

Aber wie so oft ist die Karawane der Molekularbiologen weitergezogen, ohne Benzers Einsichten ernst zu nehmen, dem man auch trotz vieler weiterer grandioser Beiträge zur genetischen Wissenschaft beim Nobelpreis Zeit seines Lebens übersehen hat. Vor 60 Jahren hat Benzer gezeigt, dass es Mühe macht, genau zu sagen, was ein Gen ist. Es kostet gedankliche Anstrengung, Aufbau und Entwicklung von Organismen zu verstehen und nachzuvollziehen, wie es zu Fehlentwicklungen und Krankheiten kommt. Zwar lassen viele Verlautbarungen der molekularbiologisch orientierten Wissenschaften den Eindruck aufkommen, man wisse ziemlich gut, wie der Weg von den Genen zu den Fähigkeiten eines Organismus aussieht. Wer aber genauer hinschaut oder hinhört, merkt bald, dass den Forschern die Worte fehlen und die Metaphern ausgehen, während sie ihre Datenmengen horten. Jeder Teil eines Gens kann das Ganze, das es ausmacht, beeinflussen. Das Leben eines Organismus kann von einem Molekül abhängen, das eine andere Position als im Normalfall einnimmt, den die Fachwelt übrigens Wildtyp nennt. Vielleicht werden die Gene deshalb im Normalfall – in der Wildnis – unentwegt durchgemischt und immer neu zusammengesetzt. Diese Kreativität des Lebens darf nie an ein Ende kommen, wie man seit 1955 wissen kann. Wieder ein Grund zum Staunen.

 

© wissenschaft.de – Ernst Peter Fischer
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