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Ein Hurrikan entsteht

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Ein Hurrikan entsteht
Die Meteorologen vom Warndienst lehnten sich zurück. Sie hatten den Sturm über dem Atlantik schon abgehakt. Mit zahmen Winden, weit unterhalb der Orkanstärke, driftete der Tiefdruckwirbel weit vor der nordamerikanischen Küste nach Nordwesten. Daß er sich verstärken und die USA bedrohen könnte, schien unwahrscheinlich. Kein Grund zur Beunruhigung.

Doch innerhalb weniger Tage wuchs der tropische Sturm zum Jahrhundert-Hurrikan, schwenkte nach Westen und nahm Kurs auf Florida. Unter dem Namen “Andrew” machte er im August 1992 Geschichte. Mit Windgeschwindigkeiten von 210, in Böen sogar 270 Stundenkilometern fegte er über den Südzipfel der Halbinsel hinweg, fräste eine fünfzig Kilammeter breite Schneise der Zerstörung in Dade County, verwandelte ein grünes Paradies in eine braune Wüste. Der Orkan zertrümmerte Häuser und Fabriken, knickte Bäume und Strommasten und brachte Bohrinseln zum Kentern – Schäden von insgesamt rund dreißig Milliarden Dollar. 44 Menschen starben, 250 000 verloren ihr Obdach. Der Schrecken der nicht nur den Anwohnern in die Glieder. Ein düsteres Szenario der Klimaforscher schien Wirklichkeit zu werden: Die zunehmende Erwärmung der Erde entfesselt die Elemente, der Treibhauseffekt entfacht tropische Wirbelstürme zu ungeahnter Wucht. Dafür sprechen einige Indizien. Erst wenige Jahre vor “Andrew” hatten “Gilbert” (1988) und “Hugo” (1989) die USA heimgesucht.

“Andrew” kostete die Branche rund 16 Milliarden Dollar – ein Rekord. Erst im Jahr davor gab es den letzten Tiefschlag: Taifun “Mireille”, der im September 1991 über Japan gezogen war, hatte ein 5,2 Milliarden Mark großes Loch in die Kassen gerissen. Nach den Berechnungen des Meteorologen Dr. Gerhard Berz von der Münchner Rückversicherung haben tropische und andere Stürme zwischen 1983 und 1992 weltweit Schäden von rund 88 Milliarden Mark angerichtet, vier mal so viel wie in den sechziger Jahren. Die versicherten Schäden haben sich im gleichen Zeitraum sogar verzehnfacht. Wenn auch die Zahlen in erster Linie die immer dichtere Bebauung an den Küsten widerspiegeln, so sieht Berz darin doch auch “mögliche Vorboten einer wirklich katastrophalen Entwicklung”. Schon jetzt gehören tropische Wirbelstürme zu den großen Geißeln der Menschheit.

Die Katastrophen heißen je nach Landstrich – Hurrikan, Taifun oder Zyklon (s. Sturm-Steckbrief), wüten im Atlantik, Pazifik oder Indik. Mehr Unheil noch als die Winde richten die Überschwemmungen an, die sie begleiten. Das aufgepeitschte Meer, vom tiefen Luftdruck zum Flutberg aufgewölbt, überflutet mitunter ganze Küstenstriche. Im flachen Bangladesch ertranken vor zwei Jahren 138.000 Menschen, 1970 sogar 300.000 Menschen. Dazu kamen Sturzregen, die im Gefolge der Orkane niedergehen. Mitunter fällt innerhalb von Stunden ein Meter Regen – mehr als in Frankfurt im ganzen Jahr. Die Fluten lassen Flüsse anschwellen, schwemmen die Bodenkrume davon und bringen ganze Berghänge ins Rutschen. Nach Ansicht von Berz drohen solche Katastrophen künftig auch Gegenden, die bisher verschont blieben Südamerika und Westeuropa. Sogar im Mittelmeer, spekuliert der Versicherungsmeteorologe, könnten bald wirbelsturmähnliche Unwetter wüten.

Dr. Horst Walter Christ, Forschungskoordinator vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach, rechnet mit mehr Stürmen in den Neuengland-Staaten und Japan. Ob die Befürchtungen wahr werden, ist derzeit noch umstritten. Neuere Modelle schätzen Hurrikane als so komplexe Gebilde und von so vielen Ursachen hervorgerufen ein, daß sie keinen Zusammenhang zwischen globaler Klimaerwärmung und vermehrter Zahl an Wirbelstürmen aufzeigen. Wissenschaftler scheuen klare Antworten. Sie können bislang nicht einmal zuverlässig vorausberechnen, ob sich ein Wirbelsturm verstärken wird und wohin er ich wendet. “Von gewaltiger Schönheit und großem Geheimnis” sei ein Hurrikan, kleidet der amerikanische Orkan-Spezialist Prof. Kerry A. Emanuel vom Massachusetts Institute of Technoloy die Wissenslücken in erhabenes Staunen. Das atmosphärische Schauspiel fasziniert nicht nur Experten.

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Auf Satellitenbildern ähneln die regelmäßigen Wolkenkreisel, hunderte von Kilometern im Durchmesser, dem rotierenden Wasser im Badewannen-Abfluß. Allein das wolkenlose “Auge” mißt zehn bis fünfzig Kilometer. Hier weht kaum ein Lüftchen, Sonne oder Sterne blitzen hindurch, lassen die geschundene Landschaft für einen Moment aufatmen. Wer mit dem Flugzeug da hineinfliegt, fühlt sich wie in einer Kathedrale. Ringsum wachsen die Wolkenwände senkrecht in den Himmel, rotieren im höllischen Galopp um den ruhenden Pol. Die schaurig-schönen Gebilde haben eine tage- oder wochenlange Seereise hinter sich, ehe sie anlanden und ihr Zerstörungswerk verrichten. Die in den USA gefürchteten Hurrikane überqueren meist den ganzen Atlantik. Ihre Wiege steht in Afrika. In der “innertropischen Konvergenzzone”, wo die Passatwinde der beiden Hemisphären gegeneinanderströmen und gewaltige Luftmassen aufsteigen lassen, entstehen kräftige Gewitterzellen, die nach Westen driften und als kleine Tiefdruckgebiete das Meer erreichen, oft auf Höhe der Kapverdischen Inseln. Erst über dem Wasser entwickeln die Wolkenklumpen ihre vernichtende Kraft, formieren sich zum rasenden Wirbel. Als würde ein Badewannenstöpsel herausgezogen, beginnt die Luft zu kreisen. Eine gewaltige Wärmekraftmaschine kommt in Gang. Der aufgeheizte Ozean liefert den nötigen Treibstoff Megatonnen von Wasserdampf. Beim thermischen Aufsteigen der schwülen Luft kondensiert der Dampf wobei Wärme frei wird und kilometerhohe Wolkenberge wachsen.

Die Energie kurbelt die Konvektion weiter an, die Höllenmaschine kommt immer schneller auf Touren. Obendrein dehnt ich die erwärmte Luft aus, wird leichter und entlastet die Luftsäule: Der Luftdruck sinkt, so daß noch mehr schwüle Luft in den Höhlenschlund hineinströmt weiterer Treibstoff für die Teufelspumpe. Der Prozeß kann ich aufschaukeln, bis der Wirbel eine Höhe von 15 Kilometern und einen Durchmesser von 1000 Kilometern erreicht. Der Luftdruck über dem Meer sinkt dabei drastisch: bis auf Werte wie auf dem Feldberg-Gipfel. Beim pazifischen Orkan “Nancy” von 1961 sackte er auf 846 Hektopascal ab – und es wurden Windgeschwindigkeiten von 370 Stundenkilometern gemessen.

Die Wärmekraftmaschine kommt allerdings nur in Schwung, wenn die Randbedingungen stimmen. Gegenläufige Winde in verschiedenen Höhen können einen Wirbel regelrecht auseinanderreißen, noch ehe er sich voll entwickelt hat. Eine wichtige Rolle spielt auch die Corioliskraft, die von der Erdrotation verursacht wird. Sie wirft bewegte Körper aus der geraden Bahn und sorgt so für den nötigen Wirbel – im Badewannen-Abfluß wie in der Atmosphäre. Sie verhindert, daß Luft auf direktem Weg in ein Tiefdruckgebiet strömt, was jeden Wirbelsturm im Keim ersticken würde. Die Winde wirbeln statt dessen um das Orkanzentrum herum – auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn, auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn. Am Äquator, wo die Corioliskraft fehlt oder klein ist, bleibt ein rund tausend Kilometer breiter Streifen von Wirbelstürmen verschont. Vor allem brauchen Wirbelstürme ein schwüles Treibhausklima zum Gedeihen. Das Wasser des Ozeans muß mindestens 27 Grad warm sein, damit der Nachschub an Wasserdampf ausreicht.

Noch in sechzig Meter Tiefe müssen solche lauen Temperaturen herrschen, sonst können Wellen und Strömungen die Oberfläche auskühlen, wie an der südamerikanischen Pazifikküste. Je wärmer das Wasser, desto explosiver kann sich ein Unwetter entwickeln. Orkan-Spezialist Emanuel hat anhand einer Energiebilanz einen Zusammenhang zwischen der Wassertemperatur und der maximalen Windstärke hergeleitet. Danach erreicht ein Wirbelsturm über 27 Grad warmem Wasser höchstens 280 Stundenkilometer, bei 34 Grad kann er dagegen bis auf 380 Stundenkilometer beschleunigen.

Die Grundlagenforschung in puncto tropische Wirbelstürme steckt noch in den Kinderschuhen. Niemand kann bislang mit Sicherheit voraussagen, ob sich aus einer finsteren Wolkenformation ein Wirbelsturm entwickelt oder nicht. Selbst wenn alle Zeichen auf Sturm stehen, wenn Temperatur, Windverhältnisse und Wasserdampf-Gehalt stimmen, bleibt das Unheil oft aus. Auch die Richtung, die ein Sturm einschlägt, steht in den Sternen, ganz zu schweigen von der künftigen Sturmstärke. Die recht erfolgreiche Arbeit der Warndienste täuscht eine Zuverlässigkeit vor, die längst nicht erreicht ist. Warndienste, die viel von Satellitenbildern profitieren, beschränken ich auf kurzfristige Prognosen. Ihr Blick reicht höchstens drei Tage voraus, wird aber schon am zweiten und dritten Tag getrübt. Die Warner machen so etwas wie einen Wetterbericht, denn ein tropischer Wirbelsturm läßt ich weitgehend passiv vom allgemeinen Wettergeschehen treiben, mal im gemächlichen Fußgängertrott, mal im Fünfzig-Stundenkilometer-Tempo. Die Meteorologen lassen ich dabei von Intuition und Erfahrung leiten. Damit sind sie den reinen Computer-Berechnungen noch immer überlegen. Das zeigte sich etwa beim Projekt TCM 90 (Tropical Cyclon Motion, 1990).

Als internationale Experten einen heranziehenden Wirbelsturm vorausberechnen wollten, lieferten fünf verschiedene Verfahren fünf verschiedene Ergebnisse. Die Zugrichtungen wichen um mehr als dreißig Grad voneinander ab. Die Meteorologen vom Warndienst, die ich auf ihre Erfahrung verließen, kamen der Wirklichkeit dagegen sehr nah. Ein Problem der numerischen Modelle ist das spärliche Datenmaterial. Über dem offenen Meer gibt es nur wenige Wetterstationen, so daß jede numerische Wettervorhersage rasch an Grenzen stößt. Da helfen auch moderne Satelliten nicht – ihre Daten sind für kleinräumige Sturmprognosen zu ungenau. Aber selbst ein dichtes Meßnetz würde nicht alle Probleme lösen. Denn noch sind viele Parameter der Zugbahn unerforscht. Warme Meeresgebiete, heißt es bisweilen, zögen einen tropischen Wirbelsturm wie ein Magnet an. Prof. Roger Smith von der Universität München ist einem anderen Mechanismus auf der Spur. Er untersucht sogenannte Beta-Gyren großräumige Wirbel, die der Sturm erzeugt, und die ihn wiederum beeinflussen. Zwei horizontale Walzen, viel größer als der Zyklon selbst, drehen langsam, im Joggertempo, gegeneinander und geben dem Wirbelsturm eine neue Marschrichtung.

Ihr Einfluß ist um so größer, je langsamer der Wirbelsturm zieht. “Andrew” driftete vor Jahresfrist recht flott gen Florida, so daß die Vorhersage recht zuverlässig war. Wichtig ist vor allem, ob das Unwetter an Land kommt. Die meisten tropischen Wirbelstürme toben ich über dem Wasser aus, wo sie allein die Schiffahrt gefährden. Im Atlantik schwenken sie weit vor der amerikanischen Küste nach Norden und verlieren an Kraft, weil ihnen der Wasserdampf ausgeht. Sie verwandeln ich in ein gewöhnliches Tief der gemäßigten Breiten, biegen weiter nach Osten ab und bringen Gewitterstürme bis nach Island. Sogar in Deutschland ändern sie das Wetter. An ihrer Südseite strömt Warmluft nach Europa und sorgt für heiße September. “Das”, meint Christ, “ist die gute Seite der Wirbelstürme.”

Klaus Jacob
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