Ich weiß nicht mehr… Hirnverletzungen oder manche neurologische Erkrankungen wie Alzheimer können die sogenannte retrograde Amnesie auslösen – die Betroffenen können sich an bestimmte Erfahrungen nicht mehr erinnern. Durch frühere Untersuchungen haben die Forscher um Susumu Tonegawa vom japanischen RIKEN Brain Science Institute in Saitama bereits spezielle Nerven im Gehirn identifiziert, die für die Bildung von Erinnerungen verantwortlich sind und auch bei Amnesie eine Rolle spielen. Doch viele Fragen sind noch offen. „Hirnforscher sind seit Jahrzehnten geteilter Meinung darüber, ob Amnesie durch eine Störung im Speicher oder beim Abruf der Erinnerung verursacht wird“, sagt Tonegawa. Dieser Frage sind er und seine Kollegen nun durch Versuche an Mäusen nachgegangen.
Mäusen eine Amnesie verpasst
Bei den Versuchstieren der Forscher handelte es sich um Mäuse einer genetisch veränderten Zuchtlinie, bei denen die für Erinnerungen zuständigen Nerven bei einer „Eintragung“ markiert werden. Einigen dieser Versuchstiere verpassten die Forscher gezielt eine unangenehme Erinnerung: Sie setzten sie in eine Versuchskammer A, die klar wiedererkennbare Merkmale besaß, und traktierten sie dort mit einem milden Stromschlag. Sobald man sie anschließend erneut in diese Versuchskammer setzte, verfielen sie auch ohne Stromschlag in eine deutlich sichtbare Angststarre. Die dafür verantwortliche Erinnerung spiegelte sich nun auch in den Markierungen der zuständigen Nervenzellen im Gehirn wieder, zeigten die Untersuchungen der Tiere.
Im nächsten Schritt gaben die Forscher einigen ihrer Versuchstiere nach dem Elektroschock eine Substanz, die bekanntermaßen Amnesie auslöst – also zum Vergessen der Erinnerung führt. Setzte man diese Mäuse anschließend erneut in die Kammer A, zeigten sie folglich kein Angstverhalten, da sie sich nicht an das unangenehme Erlebnis erinnern konnten. Doch nun folgt der Clou der Geschichte: Die Forscher waren in der Lage, diese Angsterinnerung von dem Effekt der Amnesie wieder zu befreien.
Mit Lichtimpulsen gegen den Gedächtnisverlust
Bei der Markierungssubstanz in den Nervenzellen handelte es sich nämlich um ein Eiweiß, das auf Licht reagiert und bei Reizung die markierten Nerven aktiviert. Man nennt dieses Verfahren Optogenetik. Durch eine implantierte Diode im Gehirn der Versuchstiere konnten die Forscher auf diese Weise die Nerven, die bei der Erfahrung des Stromstoßes die Erinnerung abgespeichert hatten, gezielt aktivieren. Resultat: Die Erinnerung wurde abgerufen – die Mäuse zeigten trotz Amnesie wieder das typische Angstverhalten.
Die Forscher folgern daraus: Die Informationsspeicherung und das Abrufen basieren auf zwei unterschiedlichen Mechanismen. „Es scheint, dass bei retrograder Amnesie die Erinnerungen nicht gelöscht, sondern nur für den Abruf unzugänglich sind“, sagt Tonegawa. „Dieses Ergebnis liefert spannende Einblicke in die Natur von Erinnerungen und wird die zukünftige Forschung stimulieren sowie die Auslotung von Möglichkeiten zur Wiederherstellung von Erinnerungen bei Gedächtnisverlust“, so der Hirnforscher.