Typischerweise besteht eine Feder aus einem dünnen Federkiel, von dem aus beiderseits viele miteinander verhakte Härchen ausgehen. Je nach Aufgabe und Position im Gefieder kann der Kiel sehr kurz sein, wie bei der Daunenfeder oder aber er ist lang und trägt breite Federfahnen wie bei den Schwungfedern der Flügel oder den Schwanzfedern. Doch bei den Vorformen der Vögel experimentierte die Natur offenbar auch mit anderen Federtypen. „Unter den seltsamsten Federvarianten ist der fadenartige oder vom Federkiel dominierte Typ“, erklären Ismar de Souza Carvalho von der Universität von Rio de Janeiro und seine Kollegen. Dieser bestand aus einem verbreiterten, langen Federkiel, von dem nur am Ende fädige Federhärchen ausgingen. Ob diese Kiel-Federn eine Übergangsform von den Schuppen der Reptilien zu echten Federn darstellen oder nur eine Sonderentwicklung und Sackgasse der Evolution waren, ist strittig, denn es fehlte schlicht an Fossilien, bei denen diese Federart gut genug zu erkennen ist.
Urvogel vom alten Südkontinent
Ein in der Pedra Branca Mine im Nordosten Brasiliens entdecktes Fossil ändert dies nun. In einer Formation aus der Zeit vor etwa 120 Millionen Jahren entdeckten Carvalho und seine Kollegen das Teilskelett eines Urvogels mit teilweise sehr gut erhaltenen Federn. „Dieses Exemplar ist das bisher vollständigste Vogelfossil aus dem Gondwana der frühen Kreidezeit“, berichten die Forscher. Bisherige Urvögel wurden vorwiegend in Regionen gefunden, die einst aus dem nördlichen Urkontinent Laurasia hervorgingen und heute auf der Nordhalbkugel der Erde liegen. Auf den Landmassen jedoch, die einst aus dem Südkontinent Gondwana entstanden – Südamerika, Afrika, Australien, die Antarktis und Indien – sind Urvogelfossilien extrem rar und meist nur in Fragmenten erhalten.
Das nur rund sechs Zentimeter lange Fossil stammt wahrscheinlich von einem Jungvogel, wie die Forscher erklären. Denn sein Kopf ist
überproportional groß mit großen Augenhöhlen und einige Knochen in den Gliedmaßen sind noch nicht miteinander verwachsen. Das Urzeit-Küken besaß aber dennoch schon ein vollständiges Federkleid und zwei lange, sehr gut erhaltene Schwanzfedern des rätselhaften kieldominierten Typs. „Diese Schwanzfedern haben eine beträchtliche Länge, sie sind um rund 30 Prozent länger als das gesamte Skelett“, berichten Carvalho und seine Kollegen. Weil sie flach im Gestein eingebettet sind, ist die Struktur dieser Schwanzfedern erstmals gut zu erkennen. Sie belegt, dass diese paarigen Federn ziemlich robust waren und eher steif. Erst in den letzten 15 Prozent der Feder setzen Federhärchen an, denen die bei heutigen Federn typischen Verbindungshäkchen fehlen.
Die Forscher gehen davon aus, dass die paarigen Schwanzanhänge dieses Urvogels wohl nicht als Steuerhilfen beim Flug dienten. Denn dafür sind sie zu steif und zu wenig aerodynamisch optimiert, wie sie erklären. Stattdessen könnte es sich dabei um einen Federschmuck handeln, den nur die Männchen trugen – ähnlich wie die bunten, ebenfalls ungewöhnlich langen Anhänge bei einigen heutigen Paradiesvögeln. Dafür sprechen auch Pigmentflecken, die die Wissenschaftler bei dem Fossil am unteren Teil des verbreiterten Federkiels entdeckten. Dies deute darauf hin, dass diese Schwanzanhänge einst farbig gemustert waren, so Carvalho und seine Kollegen. Allerdings: Sollten diese Schwanzfedern wirklich ein typisch männliches Prachtkleid dieser Urvögel darstellen, dann war dieser Jungvogel ein Frühstarter: Bei heutigen Vögeln entwickeln sich solche geschlechtsspezifischen Schmuckfedern erst, wenn sie erwachsen werden.