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Nächtliche Nektarjagd in Perfektion

Erde|Umwelt

Nächtliche Nektarjagd in Perfektion
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Credit: Rob Felt, Georgia Tech
Nachtaktive Insekten leben in einer dunklen Welt. Ihr Gehirn ist kleiner als ein Reiskorn und ihre Augen sind sogar noch winziger. Trotzdem zeichnet sie ein erstaunlich gutes Sehvermögen aus. Wie schaffen es die Insekten, sich so gut in Dämmerung und Dunkelheit zurechtzufinden und nektarreiche Blüten aufzuspüren? Das haben Forscher nun am Beispiel des Tabakschwärmers untersucht – ihre Ergebnisse könnten auch für Drohnenbauer interessant sein.

Der Sehsinn des Falters mit dem lateinischen Namen Manduca sexta scheint genau auf das Schwingen der Blüten in der nächtlichen Brise abgestimmt zu sein: Mühelos steht der Schwärmer vor den Blüten in der Luft, während er von ihrem Nektar saugt. Im Laufe der Evolution haben sich seine Sicht und seine Flugweise offensichtlich perfekt an die Nahrungssuche im Dunkeln angepasst. So ist der Tabakschwärmer in der Lage, trotz wenig Licht zielgerichtet auf ständig umher schwingende Blüten zuzufliegen und ihnen zu folgen.

Aber warum gelingt ihm das so gut? Ein Team um Simon Sponberg vom Georgia Institute of Technology hat das nun näher untersucht. Die Hypothese der Forscher: Die Insekten könnten die Dunkelheit durch eine Verlangsamung ihrer Sehprozesse kompensieren. Diese Strategie nennt sich temporale Summation. Dabei werden in der Nervenzelle zeitlich nacheinander eintreffende Nervenimpulse addiert, der visuelle Reiz dadurch verstärkt. Das ist vergleichbar mit einer Fotokamera, bei der eine lange Verschlusszeit die Zeit des Lichteinfalls verlängert. Mit einer längeren Verschlusszeit können Fotografen schnelle Bewegungen verwischt darstellen – zum Beispiel vorbeifahrende Autos auf einer Straße. Wollen sie die einzelnen Fahrzeuge jedoch deutlich erkennbar festhalten, müssen sie eine kürzere Verschlusszeit wählen.

Reaktionstest an Plastikblüten

Den gleichen Effekt hat die temporale Summation auf das Sehvermögen: Langsame Objekte können so zwar besser wahrgenommen werden, die Wahrnehmung schnellerer Objekte leidet aber darunter. Für Tabakschwärmer heißt das: Im Dunkeln müsste ihre Reaktionsgeschwindigkeit gedrosselt sein. Sie müssten Schwierigkeiten haben, den schnellen Bewegungen von sich im Wind  wiegenden Blüten zu folgen.

Um das zu überprüfen, führten Sponberg und seine Kollegen einen Test mit den Faltern durch. Sie ließen die Tiere vor mit Zuckerwasser gefüllten Plastikblüten schwirren, die ein Roboterarm in unterschiedlichen Frequenzen hin und her bewegte. Die Forscher untersuchten mithilfe von speziellen Kameras, wie gut es den Faltern dabei gelang, ihren Rüssel in der Blüte zu halten. Keine leichte Aufgabe, denn im Experiment bewegten sich die Blüten mit bis zu 20 Schwingungen pro Sekunde. Das ist viel schneller, als sich Blüten in der Natur normalerweise bewegen. Die Flügel der Falter schlagen etwa 25 mal in der Sekunde, die Insekten mussten ihre Bewegungsrichtung also fast mit jedem Flügelschlag neu anpassen, um die Blüte im Zentrum ihres Blickfelds zu halten.

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Präzisionswerk der Evolution

Wie erwartet war die Reaktionsgeschwindigkeit der Schwärmer im Dunkeln bei einer Viertelmondähnlichen Lichtquelle langsamer als in hellerer Dämmerlichtumgebung – im Schnitt um 17 Prozent. Wie gut die Insekten die Blüte verfolgen konnten, hing dabei jedoch entscheidend von einem weiteren Faktor ab: den Bewegungen der Blüte. Schwang die Blüte in Frequenzen, die höher als 1,7 Hertz waren, bekamen die Falter deutliche Probleme. Bei Frequenzen bis zu 1,7 Hertz hatten sie dagegen kaum Schwierigkeiten.

Sponbergs Team analysierte deshalb, wie sich einige bevorzugte Pflanzen der Falter bei nächtlicher Brise verhalten. Das Ergebnis: 94 Prozent der Bewegungen dieser Blüten blieben unter 1,7 Hertz. Für die Forscher ist damit klar: Die Falter können den Nachteilen der langsameren visuellen Verarbeitung entgehen, weil ihre Fähigkeiten präzise auf die Bedingungen in ihrem natürlichen Lebensraum angepasst sind – insbesondere an das Verhalten ihrer einzigen Nahrungsquellen. „Die Einschränkungen, die wir beobachtet haben, kommen in der Natur also gar nicht zum Tragen“, sagt Sponberg.

Vorbild für Drohnen?

Die Intensität des Lichts variiert in der Lebenswelt der Falter stark – von einem sonnigen Sommerabend, bis zu einer wolkenverhangenen düsteren Nacht. Sich an ein solch breites Lichtspektrum anzupassen ist aber nicht nur für Insekten eine besondere Herausforderung, sondern auch für menschengemachte Technik. „Es besteht ein großes Interesse daran, zu verstehen, wie Tiere mit sensorisch anspruchsvollen Situationen umgehen, insbesondere wenn sie dabei auch noch schwierige Aufgaben erfüllen wie in der Luft zu stehen“, sagt Sponberg. „Denn genau das ist auch eine große Schwierigkeit für Micro Air Vehicles (MAVs).“

Diese besonders winzigen Drohnen werden vor allem für die nachrichtendienstliche und militärische Aufklärung genutzt. Sie sind meistens mit einer Videokamera ausgestattet und aufgrund ihrer Größe schwer zu entdecken. Forscher arbeiten daran, zunehmend kleinere MAVs zu entwickeln. Auch Drohnen in Insektengröße sind in Zukunft denkbar. Kein Wunder also, dass die Arbeit von Sponberg und seinen Kollegen unter anderem vom US-amerikanischen Air Force Office of Scientific Research unterstützt wurde. Die Forschung soll nun helfen, die nächste Generation kleiner, fliegender Roboter so zu gestalten, dass sie unter vielfältigen Licht- und Windverhältnissen operieren können. Sponberg will seine Falter demnächst nämlich auch im Windkanal genauestens studieren. 

Originalarbeit der Forscher:

© wissenschaft.de – Daniela Albat
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