Vor rund 24.000 Jahren Jahren erreichte die Weichsel-Kaltzeit ihren Höhepunkt. Die Gletscher des hohen Nordens waren weit nach Süden vorgerückt, weite Teile Nordeuropas, Nordasiens und Nordamerikas lagen unter zwei bis drei Kilometer dicken Eisschichten begraben. Im Gebiet des heutigen Deutschland bildete die Gletscherfront eine Linie, die in einem geschwungenen Bogen von der dänischen Grenze bis nach Brandenburg reichte. Hätte es damals schon Städte wie Berlin und Frankfurt an der Oder gegeben, wären sie unter hunderten Meter Eis begraben worden. Mit der zunehmenden Kälte änderten sich auch die Lebensbedingungen für unsere Vorfahren: Die Vegetation wurde immer karger, statt Wald dominierte Tundra und auch viele Tiere wanderten nach Süden ab. Wie sich dies jedoch auf die Verteilung und Populationsgröße der Menschen jener Zeit auswirkte, ist bislang kaum bekannt. Denn archäologische Relikte sind rar und die Genetik kann vergangene Populationsentwicklungen nur zum Teil rekonstruieren.
Miikka Tallavaara von der Universität Helsinki und seine Kollegen haben nun eine neue Methode ausprobiert, um ein Fenster in diese eisige Vergangenheit zu öffnen: Sie nahmen das Konzept der klimatischen Nische zu Hilfe. Nach diesem kann sich eine Art auf Dauer nur dort halten, wo Temperaturen, Feuchtigkeit und andere Klimafaktoren ihre Lebensweise ermöglichen. Studien zeigen, dass dies auch für menschliche Jäger-und-Sammler-Kulturen gilt – bis in die heutige Zeit hinein. Für ihr Modell nutzten die Forscher daher Daten zu den Klimaansprüchen heutiger Jäger und Sammler und rekonstruierten damit die Verteilung und Populationsgrößen der Menschen im Europa der Eiszeit. Als wichtige Eckpunkte ermittelten sie unter anderem die tiefsten Nachtemperaturen im Winter für die verschiedenen Regionen Europas, aber auch, wo genügend Regen fiel, um ausreichend Pflanzen und Tieren das Überleben zu ermöglichen. Daraus wiederum lässt sich schließen, wie viele Menschen in welcher Gegend eine Lebensgrundlage gefunden hätten.
130.000 trotzten der Kälte
Wie sich zeigte, waren auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit nur rund 36 Prozent des europäischen Kontinents für unsere Vorfahren bewohnbar. Die Grenze der noch besiedelbaren Gebiete erstreckte sich von Mittelfrankreich über das süddeutsche Alpenvorland bis in den Süden der Ukraine, wie die Forscher berichten. “Zwischen der Eisgrenze und dieser Nordgrenze der Besiedlung lag ein 500 Kilometer breiter Streifen menschenleeren, unbewohnten Landes”, so Tallavaara und seine Kollegen. Aber auch knapp südlich dieses Niemandslandes hielten sich wahrscheinlich nur sehr wenige Jäger und Sammler auf. Der Kälte ausweichend, konzentrierten sich die Eiszeitmenschen rund ums Mittelmeer und auf der Iberischen Halbinsel – dort war die Bevölkerungsdichte damals am höchsten, wie das Modell ergab. “Diese räumliche Verteilung stimmt gut mit den archäologischen Daten überein”, sagen die Forscher.
Aber wie viele unserer Vorfahren überlebten diese Härteperiode? Die Forscher errechneten, dass vor der Kaltphase vor rund 30.000 Jahren noch rund 330.000 Menschen in Europa lebten. Auf dem glazialen Maximum vor 23.000 Jahren schrumpfte ihre Zahl dann bis auf 130.000. Die Bevölkerungsdichte in den damals besiedelbaren Gebieten Europas lag laut Modell zwischen 2,8 und 5,1 Menschen pro 100 Quadratkilometer. “Das ist sehr viel verglichen mit vorhergehenden Schätzungen, die von nur 6.000 Personen ausgingen”, sagen Tallavaara und seine Kollegen. Erklären lässt sich diese Diskrepanz ihren Angaben nach damit, dass die alten Schätzungen nur auf archäologischen Funden beruhten. “Aber diese liefern nur ein sehr unvollständiges und grobes Bild der vergangenen geografischen Verbreitung des Menschen”, so die Forscher. Mit Hilfe des klimabasierten Modells lasse sich die mögliche Verteilung und Dichte dagegen vollständiger ermitteln.