Die Studie des Teams um Jeffrey Mogi McGill von der University in Montreal knüpfte an die Annahme an, dass bei der Entstehung von Schmerz eine bestimmte Art von Immunzellen eine zentrale Rolle spielen: die Mikroglia. Sie vermitteln dem Nervensystem die Schmerzinformation, die durch Verletzungen oder Entzündungen hervorgerufen werden. Um dieses System weiter zu erforschen, führten die Wissenschaftler Untersuchungen an Mäusen durch. Im Einklang mit der Theorie stellten sie fest: Wenn sie die Funktion der Mikroglia künstlich hemmten, zeigten ihre Versuchstiere eine höhere Toleranz gegenüber Schmerzen, die durch Entzündungen oder Nervenreizungen verursacht wurden. Doch nun kommt der Knackpunkt: Diesen Effekt stellten sie nur bei männlichen Tieren fest – bei weiblichen Mäusen senkte die Hemmung der Mikroglia das Schmerzempfinden nicht.
Ergebnisse sind vermutlich übertragbar
Dieser Geschlechtsunterschied ist offenbar an die Wirkung des männlichen Hormons Testosteron gekoppelt, fanden die Forscher heraus. Weitere Untersuchungen erbrachten dann Hinweise darauf, dass bei weiblichen Mäusen die B-und T-Zellen des Immunsystems die Funktion übernehmen, die bei den Männchen die Mikroglia ausüben. „In den vergangenen 15 Jahren haben Wissenschaftler vermutet, dass Mikroglia am Regelknopf von Schmerzen sitzen, doch diese Schlussfolgerung basierte fast ausschließlich auf Forschung mit männlichen Mäusen“, sagt Mogil.
Da grundlegende Körperfunktionen wie Schmerzempfinden bei Säugetieren in der Regel auf gleichen Grundprinzipien beruhen, sind die Ergebnisse bei den Mäusen vermutlich auch auf den Menschen übertragbar, sagen die Wissenschaftler. „Die Forschung hat gezeigt, dass Männer und Frauen unterschiedliche Schmerzempfindlichkeit besitzen und dass Frauen häufiger unter chronischen Schmerzen leiden als Männer“, sagt Mogli. Als Ursache für diesen Unterschied wurden bisher allerdings keine grundlegend anderen Funktionen angenommen. „Die Möglichkeit, dass die biologische Grundlage für Schmerz bei Männern und Frauen so anders sein könnte, wirft nun wichtige wissenschaftliche und ethische Fragen auf“, so der Forscher.
Bedeutung für die Medikamentenentwicklung
Co-Autor Michael Salter von der University of Toronto betont in diesem Zusammenhang die große Bedeutung der Ergebnisse für die Medikamentenforschung: „Das Verständnis der Geschlechtsunterschiede bei den Signalwegen von Schmerzen ist absolut notwendig für die Entwicklung gezielt wirkender Schmerzmittel“. Denn bisher werden viele Arzneimittelstudien nur an Männern durchgeführt. Generell scheint aus der Studie auch eine grundlegende Botschaft für die Forschung hervorzugehen: Es sollte mehr auf mögliche geschlechtsspezifische Effekte geachtet werden – was für Mäusemänner gilt, muss nicht unbedingt auch für Mäusedamen gelten.