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Tauchen für die Forschung

Erde|Umwelt

Tauchen für die Forschung
Im Meer ruhen wissenschaftliche Schätze. Um sie zu heben, schicken Institute zunehmend spezialisierte Forschungstaucher unter Wasser. Doch wer im Auftrag der Wissenschaft auf Tauchgang geht, muss besondere Herausforderungen meistern.

wissenschaft.de: Wie wird aus einem Diplom-Biologen ein Forschungstaucher?

Kunz: Ich tauche seit gut 20 Jahren. Während meines Studiums habe ich Expeditionen auf Forschungsschiffen ­begleitet. Vor zwölf Jahren ließ ich mich dann zum ­Forschungstaucher ausbilden. Wer im öffentlichen Dienst und damit im deutschen Wissenschaftsbetrieb tauchen will, braucht diese Ausbildung, um von der ­Berufsgenossenschaft versichert zu werden.

Wie qualifiziert man sich als Forschungstaucher für eine Meeresexpedition?

Ich habe früh zu einer regelmäßig aktiven ­Gruppe von Forschungstauchern gehört. Unmittelbar nach meinem Diplom habe ich mich als Forschungstaucher beim ­Alfred-Wegener-Institut um eine Stelle beworben, die mich dann 2005 für fünf Monate in die Arktis nach Spitzbergen führte.

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Dieses arktische Engagement hat aber nicht sehr lange gedauert …

Stimmt. Aber mit der auf Spitzbergen gewonnenen ­Erfahrung kam ich bei anderen Projekten ins Gespräch. Auf diese Weise landete ich auf dem Forschungsschiff Heincke, das 2008 und 2009 Forschungsfahrten in der See um die Orkney-Inseln unternahm. Parallel zu diesen Tauchprojekten habe ich wissenschaftliche Tauchauf­träge in der Ost- und Nordsee durchgeführt. Gleichzeitig mit dem Forschungstauchen habe ich meine Leidenschaft für die Unterwasserfotografie entdeckt und mich in diesem Bereich weiterentwickelt.

Zusammen mit Florian Huber, dem Leiter der Arbeitsgruppe „maritime und limnische Archäologie“ an der Universität Kiel, tauchen sie seit 2009 in mexikanischen Höhlen und suchen dort Relikte aus der Maya-Zeit. Was ist das Besondere daran?

Viele dieser ehemaligen Tropfsteinhöhlen sind gefüllt mit glasklarem Wasser. Bei großen Höhlen sieht es dann so aus, als ob die Tauchpartner durch den luftleeren Raum flögen. Fantastisch! Aber dort können nur ausgebildete Höhlentaucher hinein, die gelernt haben, auch bei schlechter Sicht oder völliger Dunkelheit den Weg entlang der gespannten Leine zum Ausgang zu finden. Die Ausbildung zum Forschungstaucher orientiert sich an Berufstauchern, die mit Helm oder Vollgesichtsmaske, einer festen Luftversorgung sowie an einer festen Leine tauchen. Das funktioniert aber in den Höhlen ­Mexikos nicht. Es war ein langwieriger Prozess, die ­Berufsgenossenschaft von unserem Weg des Tauchens zu überzeugen, der sich an der modernen technischen Taucherei orientiert und mit standardisierten Gasgemischen arbeitet – etwa heliumhaltigen Gasen, die den ­Tiefenrausch verhindern, oder Nitrox mit einem höheren Sauerstoffanteil, um die Sättigung des Körpers mit ­Stickstoff zu verringern.

Wie groß ist die Forschungstaucher-Community in Deutschland?

In Kiel und an einem halben Dutzend weiterer Orte werden zusammengenommen jedes Jahr 50 bis 60 Leute ausgebildet. Um die Befähigung zu behalten, muss man pro Jahr ein Dutzend Tauchgänge nachweisen. Das schaffen nicht alle, weshalb die Gemeinde der länger ­aktiven Forschungstaucher überschaubar ist. Unser Team – die Submaris – besteht aus fünf Personen. Submaris gibt es seit knapp zwei Jahren. Wir sind spezialisiert auf die unterschiedlichsten Forschungstaucheinsätze für Wissenschaft und Medien.

Worin unterscheiden sich denn die Aufträge der Wissenschaft von denen der Medien?

Die Aufträge aus der Wissenschaft sind meist langfristige Projekte und zuverlässiger zu kalkulieren. So haben wir 2014 eine groß angelegte Untersuchung an Steinriffen der Ostsee durchgeführt. Wir sind dazu an ausgewählten Flachgründen abgetaucht und haben die Steinriffe systematisch anhand von Proben untersucht und per Kamera dokumentiert. Dieses Jahr werden wir unsere Ergebnisse zur Bewertung weiterer Steinriffe ­anwenden. Medienaufträge sind attraktiv, aber oft ein Hin und Her. Da wird ein Auftrag vom Redakteur mündlich zugesichert. Und am Tag darauf meint der Sendechef: Das machen wir jetzt doch nicht.

Warum tauchen Wissenschaftler nicht selbst ab?

So merkwürdig sich das anhört: Viele Wissenschaftler, die uns gegenüber von einem einfachen Auftrag sprechen, wären trotz ihrer Tauchausbildung oft nicht in der Lage, ihn zu erfüllen. Es kommt häufig vor, dass ein ungeübter Taucher vergisst, was er unter Wasser eigentlich erforschen wollte. Dass man waagerecht tauchen und gut tariert sein sollte, sich auf seine Atmung konzentrieren und mit einer ungewohnten Ausrüstung unter Wasser zurechtfinden muss, bringt viele Wissenschaftler an ihre Grenzen, sodass sie keine Kapazität für ihre eigentliche wissenschaftliche Arbeit mehr aufbringen können. Wenn ich in 30 Meter Tiefe, bei starker Strömung und in der Dunkelheit von einem Stein kleine Organismen sammeln soll, sind ganz andere Fähigkeiten gefragt als an der Oberfläche.

Was ist Ihre maximale Tauchtiefe?

Mit Druckluft gehen wir maximal 40 Meter unter Wasser. Alles Tiefere – bis 60, 70 Meter – machen wir mit Helium, damit wir auch in der Tiefe noch klar denken können und keinen Tiefenrausch bekommen. Das sind sehr aufwendige Tauchgänge, die gut geplant und unter umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Im kalten Wasser des Trondheimfjords in Norwegen konnten wir zusammen mit ­Tauchern des Ozeaneums Stralsund in 45 Meter Tiefe die sagenhaften Kaltwasserkorallen mit eigenen Augen sehen. Dort unten herrscht meist eine sehr starke Strömung, gegen die wir uns mit Unterwasserfahrzeugen, sogenannten Scootern, gestellt haben, um auf der Stelle zu ­bleiben. 40 Minuten konnten wir in der Tiefe bei 4 Grad Wassertemperatur fotografieren, ­filmen und Proben nehmen. Der Aufstieg zur Ober-fläche dauerte mit den Dekompressionsstopps ­weitere 40 Minuten. Man kann nur in kleinen Etappen nach oben steigen und muss zwischendurch die Gasflaschen und die Gasgemische wechseln.

Warum erforscht man die Kaltwasser­korallen nicht mit Tauchrobotern?

Das wird gemacht – das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel schickt regelmäßig Tauchroboter oder das bemannte Tauchboot „Jago“ in große Tiefen zu den Riffen, wo Taucher nicht mehr hinkommen. Aber an der Stelle, wo wir waren, durfte das Tauchboot wegen der starken Strömung nicht tauchen. Zudem gibt es in betauchbaren Tiefen viele Arbeiten, die zwei menschliche Hände trotz dicker Handschuhe wesentlich schneller und genauer erledigen können als mechanische Greifarme.

Können Sie als biologisch orientierter ­Forschungstaucher bereits unter Wasser erkennen, ob Sie etwas Spannendes ­gefunden haben?

Beim Sammeln von winzigen Nacktschnecken vor den Orkney-Inseln konnte ich erst im Labor feststellen, ob uns seltene Arten ins Netz gegangen waren. Unter Wasser bei starker Strömung sind die farbigen Winzlinge kaum zu sehen. Anders bei der Begegnung mit einer ­Kegelrobbe vor Helgoland: Als der Bulle direkt vor meinen Augen und meiner Kamera einen Seehund zerfleischte, hatte ich schon eine Ahnung, dass ich vermutlich der Erste war mit solchen Aufnahmen – ein Glücksfall in der Wildnis vor unserer Haustür.

Gibt es fürs Forschungstauchen so etwas wie die beste Jahreszeit?

Wir tauchen das ganze Jahr über und richten uns nach der wissenschaftlichen Fragestellung oder nach dem Verhalten der Tiere. Im Sommer sind wir aktuell mehrere Wochen vor Helgoland unterwegs. 2014 haben wir dort ein gesunkenes U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg für das archäologische Landesamt Schleswig-Holstein betaucht. Im Januar 2015 war ich vor Norwegen unterwegs. Dort filmten wir Orcas und Buckelwale – große Bestände, die zu dieser Jahreszeit vor den Lofoten und Vesterålen zusammen kommen, um sich an den Heringsschwärmen gütlich zu tun. Die dunkle Polarnacht bei Stürmen und Minusgraden ist denkbar ungeeignet fürs Fotografieren, aber ich hatte keine andere Wahl, denn die Tiere sind nur im Winter dort.

Was war bislang Ihr gefährlichstes Erlebnis?

Ein Tiefenrausch vor etwa 15 Jahren. Damals bin ich als Sporttaucher vor Teneriffa mit Luft viel zu schnell auf 54 Meter abgetaucht. Und das, obwohl es mein erster Tauchgang nach einer dicken Erkältung war. Ich hatte die größte Mühe, wieder nach oben zu kommen. Das war ein Denkzettel. Wer einmal einen Tiefenrausch hatte, weiß: Man kann nicht mehr adäquat reagieren, man ­bekommt einen krassen Tunnelblick, die Reaktionszeit beträgt mitunter viele Sekunden. Außerdem hatte ich Halluzinationen, einen metallischen Geschmack im Mund und einen heftigen Drehschwindel. Das wünscht man sich nicht in der Tiefe.

Sie sagten einmal, vielleicht noch zehn Jahre Forschungstauchen und dann sei für Sie Schluss. Wieso so pessimistisch, Herr Kunz? Die Erfahrung wird doch mit jedem Tauchgang größer.

Die körperliche Anstrengung ist enorm, wenn es extrem kalt ist und wenn es in große Tiefen geht. Bei Höhlentauchgängen haben wir bis zu 50 Kilogramm auf dem ­Rücken. Unter Wasser lässt sich das zwar ertragen. Doch bis zum Tauchgang muss das Gewicht erst einmal geschleppt werden. Hinzu kommt, dass der Arbeitstag nicht selten etwas länger dauert. In einer Höhle in ­Frankreich haben wir 30 Stunden gearbeitet und auch die Nacht darin verbracht.

Das Gespräch führten Cornelia Varwig und Wolfgang Hess.

 

Uli Kunz

ist Forschungstaucher und Unterwasserfotograf. Von ihm stammen auch die Bilder dieses Interviews. Kunz (*1975) studierte Biologie in Kiel. Nach dem Diplom 2004 spezialisierte sich der Hobbytaucher auf das Forschungstauchen. Noch im gleichen Jahre absolvierte er die ­dazu notwendige Zusatzausbildung. Seit 2014 betreibt er mit vier anderen Forschungstauchern „Submaris“ – ein Unternehmen, das sich auf wissenschaftliche Tauchgänge spezialisiert hat ( www.submaris.com). Daneben hält er Vorträge ( www.uli-kunz.com). Zusammen mit einem Team um den Unterwasserarchäologen Dr. Florian Huber drehte er den Film „Verborgene Welten 3D – Die Höhlen der Toten“. Er kam im August 2013 in die Kinos.

© wissenschaft.de
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