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Müsli für Fische

Erde|Umwelt

Müsli für Fische
Zuchtfische in Aquakulturen werden vor allem mit Wildfischen gefüttert. Um die Ausbeutung der Weltmeere zu stoppen, entwickeln Forscher vegetarische Fischnahrung.

Es klingt wie eine tolle Idee: Um das Leerfischen der Ozeane zu verhindern, züchtet man die Fische in Aquakulturen. Bei Lachs und vielen anderen begehrten Seefischen beherrschen die Züchter inzwischen den gesamten Lebenszyklus von Befruchtung und Eiablage über die Aufzucht der Jungfische bis hin zur Schaffung der optimalen Lebensbedingungen für die erwachsenen Tiere. Wie bei der Hühner- oder Rinderzucht an Land sind inzwischen keine Eingriffe in Wildbestände mehr notwendig. Das klingt nach einem nachhaltigen Konzept.

Schaut man jedoch genauer hin, wird klar, dass hier der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben wird, denn das Ökosystem im Meer funktioniert anders als das an Land: Im Meer sind fast alle großen Fische Raubfische, im Gegensatz zum Land, das von vielen Pflanzenfressern und wenigen Räubern bewohnt wird. Zuchtfische benötigen deshalb andere Fische als Nahrung. Um ein Kilogramm Zuchtfisch zu produzieren, braucht man bis zu fünf Kilogramm Futter, und das besteht aus Wildfisch.

Die Folge: Anstatt die Zerstörung der Weltmeere zu stoppen, beschleunigen die Aquakulturen sie noch. Sie verlagern das Problem nur auf andere Fischarten und andere Regionen der Weltmeere. Denn Zuchtlachs und Co. benötigen Kraftnahrung: proteinreiches Fischmehl und Fischöle. Dieses Futter wird vor allem aus kleinen Fischarten hergestellt, die von den Konsumenten in den Industrieländern nicht gerne gegessen werden, aber in Entwicklungsländern sehr wichtige Proteinlieferanten sind.

Eine bedeutende Rolle spielt auch der Krill: Der fünf Zentimeter große Krebs ist in den antarktischen Gewässern die Grundlage ganzer Ökosysteme, an deren Spitze große Robben und Wale stehen. „Fischnahrung aus Krill ist sogar hochwertiger als Fischmehl”, sagt Volker Siegel, Meeresbiologe am Hamburger Institut für Seefischerei. „Krill wird deshalb in der weltweiten Aquakultur immer wichtiger.” Die FAO, die Agrar-Organisation der UNO, schätzt, dass 56 Prozent der weltweiten Fischmehlproduktion und 87 Prozent der Fischölproduktion in Aquakulturen verwendet werden. Das entspricht drei Millionen Tonnen Mehl und 800 000 Tonnen Öl. Sowohl in unabhängigen Forschungsinstituten als auch bei den großen Aquakulturbetreibern sieht man das Problem und sucht nach Lösungen. Der wichtigste Ansatz bislang ist: Müsli für Fische. Aus den Raubtieren sollen Vegetarier werden.

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Sojabohnen statt Wildfisch

Die Forscher arbeiten an einem protein- und ölreichen Futter vor allem aus Sojabohnen, deren Zusammensetzung der von Fleisch ähnelt. Trond Storebakken, Direktor des Aquaculture Protein Centre im norwegischen Ås erklärte gegenüber dem Fachmagazin Nature: „Einen Raubfisch in einen Vegetarier zu verwandeln ist so ähnlich, wie wenn sich jemand entschließt, Veganer zu werden: Ernährt er sich nur von gekochten Sojabohnen und rohem Kohl, bekommt er innerhalb weniger Monate Knochenschwund und einen Kropf. Aber wenn er weiß, was sein Körper braucht, kann er auch das Richtige essen.”

Doch in der Praxis ist das mühselig. Die richtige Zusammenstellung der neuen Futtermittel erfordert viel Forschung und einen langen Atem. Der norwegische Aquakulturbetreiber Nutreco ist ein erfolgreicher Pionier bei der Umstellung auf vegetarische Fischnahrung. „Auf dem Weg dorthin gab es aber viele Rückschläge”, meint Wolfgang Koppe vom Nutreco Aquaculture Research Centre in Stavanger. „Die Tiere vertrugen das Futter anfangs nicht und bekamen Durchfall.” Stück für Stück gelang es den Forschern, den Bohnenanteil im Futter zu erhöhen. Sie betonen, dass mit ihrer Zuchtlachsnahrung nur noch etwa ein Kilogramm Wildfisch nötig ist, um ein Kilogramm Zuchtfisch zu erzeugen. Die Forscher arbeiten auch an Futterkonzepten für andere Aquakulturfische. Dabei ist noch unklar, wie weit sich der Anteil von Pflanzen in der Fischmast steigern lässt.

Einen anderen Weg haben deutsche und schwedische Forscher gefunden: „Raubfische wie Lachse und Seebrassen – also die Fische, die uns besonders gut schmecken – kann man nicht ohne Fischöl ernähren, vor allem nicht ohne die langkettigen ungesättigten Fettsäuren, die nur im Meer vorkommen”, sagt Peter Krost von „Coastal, Research & Management”. Die Kieler Firma hat ein Kreislaufsystem entwickelt: Muscheln fressen die Fäkalien der Zuchtfische in Aquakulturen und dienen anschließend als Futter für eben diese Fische.

Teure MuschelN

Muscheln filtern kleinste Partikel aus dem Meer und wandeln so Abfall in hochwertige Nahrung um – und sie enthalten die von vielen Ernährungswissenschaftler hochgelobten Omega-3-Fettsäuren, einen typischen Bestandteil von Seefischen, den die Fische aber nicht selbst herstellen können.

Forscher der Wissenschaftsakademie am Marinen Forschungszentrum Kristineberg in Schweden haben Muschelfleisch bereits erfolgreich an Zuchtfische verfüttert. Doch bislang sind ihre Produkte noch nicht konkurrenzfähig: „Unsere Muscheln sind teurer als Fischmehl und Fischöl, und das obwohl deren Preise steigen und sogar ein Mangel an Fischöl besteht”, erklärt Arbeitsgruppenleiter Odd Lindah.

Einen anderen Ansatz, aus Abfällen Tierfutter zu produzieren, verfolgen Forscher der Universität für Agrarwissenschaften in Umeå, Schweden. Sie lassen Pilze der Art Zygomycetes mycelium auf organischen Abfällen aus der Papierproduktion wachsen und verarbeiten sie dann zu eiweißreichem Futter. Im Futter zum Beispiel für Lachse könnten die Pilze bis zur Hälfte des Proteinbedarfs ersetzen. Doch bislang arbeiten die Wissenschaftler nur im Labormaßstab.

Für Liebhaber von Aquakulturfischen gibt es aber bereits eine Alternative: Süßwasserfische. In Süßwasserkulturen werden seit Jahrhunderten Vegetarier und Allesfresser gezüchtet und als Speisefische vermarktet, zum Beispiel der Nilbarsch Tilapia oder der Karpfen. ■

von Thomas Willke

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