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Auf der Ersatzbank

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Auf der Ersatzbank
Stammzellen warten darauf, für ausgefallene Mitspieler einzuspringen

Die Spieler der Lebermannschaft laufen zur Hochform auf: Es gilt, gegen die gegnerischen Fette aus der üppigen Mahlzeit und parallel eintreffende Alkohole die Position zu halten. Der Sturm macht sich gleich daran, die Reihen der Fette zu dezimieren, während die Verteidigung sich um die Alkohole kümmert. Doch plötzlich fallen mehrere Mitspieler aus – der Sieg ist in Gefahr. Nur gut, dass der Körper für solche Situationen vorgesorgt hat: Auf der Ersatzbank sitzen schon Zellen bereit, die für die ausgefallenen Kollegen einspringen können. Kurzfristig sind sie in der Lage, jede der möglichen Positionen, ob im Sturm oder in der Verteidigung, zu übernehmen. Ihre Artgenossen sorgen gleichzeitig dafür, dass die Reservebank selbst nicht verwaist.

Das Konzept ist ein großer Erfolg – so sehr, dass der Organismus nicht nur für die Leber, sondern auch für viele andere Organe und das Blut derartige Ersatzbänke eingerichtet hat. Zu Beginn des Lebens eines Menschen gibt es sogar eine Reservebank, die den gesamten Körper mit Nachschub versorgen kann. Tatsächlich sind die Spieler dort mittlerweile bekannter als diejenigen, die sie ersetzen sollen: Es handelt sich um die berühmt-berüchtigten Stammzellen.

Allerdings ist Stammzelle nicht gleich Stammzelle. Prinzipiell gibt es zwei Kategorien: zum einen solche Stammzellen, die zwar sehr talentiert sind, sich aber sozusagen für eine bestimmte Sportart entschieden haben. Sie können zwar jede Position etwa in einer Fußballmannschaft einnehmen, vom Torwart bis zum Stürmer, wären jedoch vollkommen fehl am Platze, wenn ein Ersatz-Tennisspieler gesucht würde. Solche Spieler nennt man adulte Stammzellen. Sie kommen auch im erwachsenen Organismus vor und liefern den Zellnachschub für ein ganz bestimmtes Organ, etwa Leber oder Haut.

Die wohl bekanntesten Vertreter dieser Stammzellgruppe leben im Knochenmark. Sie sind zuständig für das Blut – genauer: für die roten Blutkörperchen, die verschiedenen Sorten der weißen Blutkörperchen und die Blutplättchen. Sie sind es auch, die bei einer Knochenmarktransplantation verpflanzt werden: Sie können bei Bedarf die ganze Blutmannschaft sozusagen aus dem Nichts wieder aufbauen.

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Doch so spektakulär die Leistungen der adulten Stammzellen auch erscheinen mögen, sie verblassen gegen die der zweiten Kategorie: der echten Generalisten, genannt pluripotente Stammzellen. Sie sind die Allroundtalente, die – um beim Sport zu bleiben – nicht nur jede Position in einer Fußballmannschaft einnehmen können, sondern zudem auch jede andere Sportart beherrschen. Für den Körper heißt das: Egal, wo Bedarf an neuen Zellen besteht, die pluripotenten Stammzellen können sich in die benötigten spezialisierten Zellen verwandeln. Besteht dieser Bedarf nicht, teilen sie sich einfach und erzeugen neue pluripotente Stammzellen.

Dieses immense Potenzial würde die Stammzellen für einen Einsatz in der Medizin prädestinieren, gäbe es da nicht einen Haken: Pluripotente Stammzellen kommen ausschließlich in sehr jungen Embryonen vor, wo sie embry- onale Stammzellen genannt werden. Um sie zu gewinnen, muss der Embryo getötet werden – ein moralisches Dilemma. Eine Zeitlang dachten Wissenschaftler, sie könnten das Problem mithilfe des sogenannten therapeutischen Klonens umgehen. Dabei wird der Kern einer normalen, bereits spezialisierten Körperzelle in eine leere Eizelle eingesetzt und die wird wiederum dazu gebracht, sich zu teilen. Nach wenigen Tagen ist der künstliche Embryo dann so weit, dass die Stammzellen entnommen werden können. Aber auch diese Methode ist umstritten – abgesehen davon, dass sie bis heute nur sehr begrenzt funktioniert.

Seit knapp sieben Jahren gibt es jedoch eine gute Alternative – eine Art Super-Doping für Zellen, das aus einem Fußballtorwart wieder einen Allround-Athleten macht, der genauso das Zeug zum Weltklasse-Tennisspieler wie zum Stabhochspringer hat. Es basiert auf der Tatsache, dass sich Stammzellen und spezialisierte Körperzellen ausschließlich in ihrer Software, also der epigenetischen Programmierung ihrer DNA, unterscheiden. Das Erbgut selbst ist dagegen identisch (siehe „Basiswissen Zelle”, Folge 6). Gelingt es also, die Programmierung zu löschen, steht das volle Potenzial zur Verfügung.

Genau das tut die Eizelle beim therapeutischen Klonen – und der Japaner Shinya Yamanaka hat es im Jahr 2006 erstmals im Labor geschafft: Er programmierte gewöhnliche Hautzellen so um, dass sie ihre Spezialisierung vergaßen und in einen stammzellartigen Zustand zurückkehrten. Induzierte pluripotente Stammzellen, kurz iPS, nennt man solche Zellen. Sie scheinen tatsächlich fast die gleichen Eigenschaften zu haben wie echte embryonale Stammzellen – exakt gleich sind sie allerdings (noch) nicht. Doch die Forschung auf diesem Gebiet schreitet in Riesenschritten voran. Endgültiges Ziel der Stammzellforscher ist natürlich, Ersatzorgane und Ersatzgewebe herzustellen, um damit schwere Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Diabetes oder Rückenmarkverletzungen zu heilen. In dieser Disziplin sind die iPS den embryonalen Stammzellen übrigens deutlich überlegen: Da sie sich aus körpereigenen Zellen herstellen lassen, muss niemand befürchten, dass der Körper das neue Gewebe abstößt. Ein Organ aus embryonalen Stammzellen trägt dagegen fremdes Erbgut – und wird vom Körper daher auch als fremd erkannt.

Doch bis Ersatzorgane Realität werden, dauert es noch – unter anderem, weil pluripotente Stammzellen dazu neigen, nach einer Verpflanzung nicht die gewünschten spezialisierten Zellen zu produzieren, sondern einfach weiter zu wuchern. Noch ein Vergleich mit dem Sport: Man kann sich vorstellen, wie ein Fußballspiel ausgeht, wenn auf dem Feld verletzungsbedingt nur noch 7 Spieler herumlaufen – während es sich 137 potenzielle Kandidaten auf der Ersatzbank gemütlich machen. ■

Nächstes Mal geht es nicht darum, was den Körper am Laufen hält, sondern um all das, was uns krank macht.

von Ilka Lehnen-Beyel (Text) und Friederike Groß (Illustrationen)

Verwirrende Potenz

Stammzellen werden oft mit dem Wortteil „potent” und einer dazugehörigen Vorsilbe kategorisiert – als da wären:

Omni- oder totipotent: Die Eizelle und die Zellen in den allerersten Stadien der Embryonalentwicklung können einen gesamten Organismus aufbauen.

Pluripotent: Embryonale Stammzellen und iPS können jede Art von Gewebe bilden, aber keinen vollständigen Organismus.

Multipotent: Adulte Stammzellen können verschiedene Zellen eines Organs oder Gewebes bilden.

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