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Die Schreib-Maschinen

Technik|Digitales

Die Schreib-Maschinen
In den USA sind sie bereits am Werk: die ersten Schreib-Maschinen, die ohne menschliche Nachhilfe Texte verfassen. Was können sie wirklich?

Ein einarmiger Industrieroboter, festmontiert an einen Schreibtisch, einen Kugelschreiber im Greifer, der zackig ein Blatt nach dem anderen vollschreibt: Sieht so ein Textroboter aus? Oder gleicht er einem menschenähnlichen Automaten mit zwei Armen und freundlich blickenden Augen? Die Antwort lautet: weder noch. Der Roboter besteht nur aus einem Computerprogramm, das auf einem Rechner läuft.

Narrative Science und Automated Insights, zwei junge Unternehmen in den USA, benutzen solche Software, um Nachrichten aus Sport und Politik sowie aus Finanz- und Immobilienwelt zu produzieren und auf Online-Portalen zu präsentieren. Einer der Gründer von Narrative Science schrieb dem von seinen Automaten verwendeten Algorithmus vor einiger Zeit sogar ein „hohes journalistisches Potenzial“ zu. Roboter dieser Firma fertigen bereits Berichte für das Portal des Finanzmagazins Forbes an. Werden menschliche Schreiber bald komplett von Elektronengehirnen abgelöst?

Ein klarer Vorteil der schreibenden Roboter für Verlage sind die geringeren Kosten: Ein automatisch erstellter Text mit 500 Wörtern kostet bei Narrative Science rund 10 Dollar (etwa 7,50 Euro). Im Deutschen entsprechen 500 Wörter rund 3000 Zeichen. Bei einer Zeilenlänge von durchschnittlich 37 Zeichen ergibt das etwa 80 Zeilen. Mit dem bei vielen deutschen Tageszeitungen üblichen Zeilenhonorar von 50 Cent käme ein Journalist für einen Artikel gleichen Umfangs auf ein Honorar von 40 Euro – etwa 5 Mal so viel. Roboter beklagen sich nicht über schlechte Honorare, und sie sind ungeheuer schnell. In einer Sekunde können die flinken Maschinen von Automated Insights mehr als 1000 Berichte im Umfang von einer dicht bedruckten DIN A4-Seite erstellen.

Ein Journalist, der einen Bericht vorbereitet, recherchiert Fakten, bewertet und ordnet diese und legt dann die Gliederung seines Textes fest. Anschließend beginnt er mit dem Schreiben. Leicht verständlich und ansprechend formuliert soll der Text sein. Alles in allem ein kreativer Prozess, der Verstand erfordert. Doch Roboter können noch nicht denken. Einem Textautomaten müssen daher all diese Arbeitsschritte in einem Algorithmus für künstliche Intelligenz vorgegeben werden. „Unser System analysiert Daten, zum Beispiel für ein Hockeyspiel, und sucht darin nach Wendungen im Spielverlauf oder nach interessanten Trends und generiert auf dieser Grundlage einen Text“, sagt Kris Hammond, Professor für Computerwissenschaften und Journalismus an der Northwestern University in Chicago und Cheftechnologe von Narrative Science. Dazu ermittelt die Software aus den Daten die gesuchten Fakten – etwa anhand der geschossenen Tore den Sieger eines Spiels.

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Aufgrund statistischer Bewertungen, über deren Funktionsweise die Entwickler des Systems schweigen, wählt das Pro- gramm aus dem generierten Faktenpool die wichtigsten aus und analysiert mögliche Blickwinkel, unter denen ein Bericht erstellt werden könnte: War eine Mannschaft überlegen, war der Sieg umkämpft, oder hat sich ein Spieler hervorgetan?

Entsprechend den Vorgaben, etwa ob ein langer oder kurzer Bericht angefertigt werden soll, legt das Programm die Textstruktur fest. Was wird wann wie gesagt? Für jedes Element der Struktur sucht der Algorithmus nach Möglichkeiten, es in Sprache zu fassen. Der Text kann seriös oder salopp sein, je nach Leserschaft, an die sich der Text richtet. Sportberichte können auch Bezüge zu vergangenen Spielen oder Bewertungen einzelner Spieler enthalten. Kein menschlicher Redakteur ist erforderlich, um den Robotertext nachzubessern.

An Textalgorithmen wird bereits seit Ende der 1990er-Jahre geforscht. Um Strukturelemente in Sprache zu kleiden, gibt es heute zwei Möglichkeiten: Gut über Regeln definieren lassen sich grammatikalische Satzkonstruktionen und Formulierungen eindeutiger Sachverhalte, zum Beispiel über den Sieger eines sportlichen Wettkampfs. Über statistische Auswahlverfahren werden nuancierte Beschreibungen von Eindrücken oder Gefühlen zugeordnet. Doch bevor die Verknüpfungen programmiert werden können, müssen Linguisten oder Journalisten viele Texte für eine bestimmte Art von Bericht analysieren und sprachliche Formulierungen für diverse Situationen in einer Datenbank speichern.

Schwer zu erfassen und ermüdend

Anwenden lassen sich die Algorithmen auf Berichte, die eine recht einheitliche Erzählstruktur besitzen und deren Inhalt auf Daten beruht, etwa auf Gewinnvorhersagen für Unternehmen. Aber ist es mit den Rechenvorschriften wirklich möglich, das journalistische Niveau zu erreichen, das Kris Hammond in einem Interview ankündigte? In fünf Jahren, meinte der Wissenschaftler und Narrative-Science-Gründer, würde der Pulitzer-Preis – die höchste amerikanische Auszeichnung für journalistische Leistungen – an einen Textroboter gehen. Und in 15 Jahren würden 90 Prozent aller journalistischen Beiträge von Automaten verfasst. Das ist sicher zu vollmundig.

Philipp Jaklin, Wirtschaftsjournalist und langjähriger Redakteur bei der Wirtschaftszeitung Financial Times Deutschland, ist positiv überrascht vom ersten Eindruck, den ein Artikel von Narrative Science auf ihn macht. Der Beitrag erschien am 26. Oktober 2012 bei Forbes online unter der Rubrik „Earning Previews“ . Doch als er genauer liest, nimmt der versierte Journalist sein Urteil zurück. Es sind nicht nur die häufigen Wortwiederholungen, die ihn stören. Der Text enthalte zu viele Zahlen, meint Jaklin, er sei schwer zu erfassen, ermüdend – und allenfalls für Finanzprofis von Interesse. Geordnet in einer Tabelle würden die Informationen besser beim Leser ankommen. Was guten Wirtschaftsjournalismus auszeichnet, sind eine durchdachte Auswahl von Fakten, fundierte Analysen und intelligente Bewertungen. „Dazu ist die tiefgehende Kenntnis von Unternehmen und Branche nötig“, betont Philipp Jaklin. „Das leistet keine Maschine.“

Technisch gesehen ist es denkbar, dass Roboter spritzig und spannend formulierte Berichte liefern, wie man sie in Zeitungen oder Zeitschriften findet. „Aber welcher Verlag würde es sich leisten, für den notwendigen Programmieraufwand Dutzende Computerlinguisten einzustellen“, fragt Sebastian Varges, Spezialist für Computerlinguistik am Institut für Linguistik der Universität Potsdam. Selbst wenn so ein Projekt abgeschlossen wäre, hätte man nur einen Algorithmus, der zum Beispiel Sportberichte erstellen kann. Und mit der Zeit würde man das begrenzte Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten merken. Dazu kommt: Wenn die Software etwa auch ausgefeilte Wirtschaftsberichte generieren sollte, müsste sie mit großem Aufwand umgeschrieben werden.

Für Jörg Sadrozinski, Leiter der Deutschen Journalistenschule in München und ehemaliger Redaktionsleiter von tagesschau.de, spricht ein gewichtiges Argument grundsätzlich gegen Roboter-Journalismus: „Ein Großteil der Leser in Deutschland hat einen hohen Qualitätsanspruch und erwartet eine individuelle Leistung des Reporters, der auch selbst vor Ort recherchiert hat.“ Textroboter dagegen bekommen ihre Daten über das Internet oder aus einer Datenbank.

Roboter für die Jugendliga

Worauf sich die Programmierer bei Narrative Science konzentrieren wollen, ist der Einsatz der Textautomaten zur Berichterstattung von Ereignissen, die für Journalisten meist wenig attraktiv sind: etwa von Ligaberichten aus dem Jugendsport. Sind die Algorithmen einmal für diese Art von Berichten programmiert, arbeiten sie automatisch. „Das hört sich interessant an, aber entscheidend ist, ob diese Dienstleistung genügend Käufer findet. Denn was Sprache anbelangt, sind die Leser sehr anspruchsvoll“, sagt Computerlinguist Sebastian Varges.

Der deutsche Online-Provider 1&1 veröffentlicht auf seinen Web-Seiten auch Nachrichten, hat an Roboterjournalismus aber kein Interesse. „Unsere 40-köpfige Redaktion will mit ihren journalistischen Beiträgen den Internet-Angeboten des Unternehmens ein menschliches Gesicht geben. Daher beabsichtigen wir, unsere Redaktion personell weiter zu verstärken und nicht teilweise durch Roboter zu ersetzen“, sagt Chefredakteur Thomas Rebbe.

Dagegen wollen die Unternehmen aus den USA die Technik auch zur Unterstützung von Journalisten einsetzen. Textroboter sollen einerseits Daten auswerten, sodass Journalisten die Ergebnisse für ihre Geschichten nutzen können. Andererseits sind bei Automated Insights bereits Schreibprofis am Werk, die anspruchsvolleren Robotertexten den letzten Schliff geben. Für Konkurrent Narrative Science sieht Cheftechnologe Kris Hammond ein weiteres Einsatzgebiet bei unüberschaubaren Datenmengen, die sich in größeren Unternehmen anhäufen. Da sollen sich seine Algorithmen durchwühlen und Berichte für Analysten erstellen.

Während in den Sternen steht, welche Bedeutung Textgeneratoren für den Journalismus einmal haben werden, ist ein anderer Robotertyp schon fest darin verankert: Suchmaschinen, die im Internet Nachrichten aufspüren. Doch Markus Beiler, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Leipzig, moniert: „Meine Untersuchungen zeigen, dass viele Texte, die in den Trefferlisten der Nachrichtenportale ganz oben stehen müssten, von den Suchmaschinen niedriger eingestuft werden.“ Die Leser bekommen also eventuell Nachrichten serviert, die für sie kaum relevant sind.

Falls Sie jetzt Befürchtungen hegen: Wir versichern Ihnen, dass alle Nachrichten und Beiträge für bild der wissenschaft von Menschen recherchiert und geschrieben werden. ■

KLAUS WAGNER, Wissenschaftsjournalist aus München, hat keine Angst, dass ihm Roboter bald die Arbeit wegnehmen werden.

von Klaus Wagner

Kompakt

· Mithilfe mathematischer Algorithmen filtern Computerprogramme Informationen aus Datenbanken und erstellen aus ihnen ausformulierte Berichte.

· Die Technologie taugt bislang nur zum Erstellen einfacher Nachrichten.

Mehr zum Thema

Internet

Von Schreibrobotern der Firma Narrative Science erstellte aktuelle Meldungen auf den Online-Seiten von Forbes: blogs.forbes.com/narrativescience

Beitrag über Roboter-Journalismus aus der New York Times vom 11.9.2011 (in Englisch): www.nytimes.com/2011/09/11/business/computer-generated-articles-are-gaining-traction.html?pagewanted=all

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