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Hormon in der Sackgasse

Gesundheit|Medizin

Hormon in der Sackgasse

DIE MEISTEN MENSCHEN verbinden mit dem Kürzel „Epo“ ein Dopingmittel, das bei Leichtathletik-Meisterschaften und Radrennen für spektakuläre Medienauftritte sorgte. In Wahrheit kommt kein Mensch ohne das – vor allem in den Nieren gebildete – Hormon Erythropoetin aus, denn es ist für die Entstehung roter Blutzellen notwendig. Seit Längerem ist es auch als Medikament im Gespräch, und zwar nicht nur für Patienten, die unter Anämie (Blutarmut) leiden: Hannelore Ehrenreich, Professorin für klinische Neurologie an der Universität Göttingen, überraschte vor mehr als einem Jahrzehnt mit der Aussage, dass man Erythropoetin auch als Wirkstoff bei Schlaganfällen einsetzen könne (bild der wissenschaft 11/2003, „Hormon auf neuen Wegen“). Tierversuche verliefen erfolgreich, und auch in der ersten klinischen Studie schien ein positiver Effekt auf Schlaganfallpatienten erkennbar.

Jahrelang folgten Ehrenreich und ihre Kollegen dieser Fährte – doch nun scheint sie abzubrechen. Der Neurologe Gereon Fink vom Universitätsklinikum Köln ist überzeugt, dass Epo keinen erwiesenen Nutzen bei Schlaganfallpatienten hat: „Es gibt nur eine einzige Studie, die einen positiven Effekt von Erythropoetin vermuten lässt.“ Alle anderen Studien hätten keinen oder sogar einen negativen Effekt ergeben. Für Fink ist die Sache klar: Aus der jetzigen Datenlage lässt sich keine positive Wirkung von Epo ableiten.

Doch Ehrenreich, die seit den 1990er-Jahren an vielen Epo-Studien beteiligt war, lässt nicht locker. Sie hält den Wirkstoff noch immer für vielversprechend – nicht nur für Schlaganfallpatienten, sondern auch für Menschen, die an schweren neurodegenerativen Krankheiten wie Parkinson oder Multipler Sklerose leiden. In einer Übersicht aller Epo-Studien der letzten zwölf Jahre schreibt die Wissenschaftlerin, Epo könne zwar „nicht als Wundermedikament“, aber doch als eine „starke Waffe im Kampf gegen Schädigungen des Gehirns durch Krankheiten“ angesehen werden.

Davon ist aber im Gesundheitswesen – außer in Ehrenreichs Umkreis – kaum noch jemand zu überzeugen. Claudia Rembecki beispielsweise, Pressesprecherin der Barmer GEK, sieht die Anwendung von Epo bei Patienten mit Schlaganfällen kritisch und erwartet keine weiteren klinischen Studien hierzu. Rembeckis Begründung: Eine der von Ehrenreich geleiteten Studien habe eine „ signifikant erhöhte Sterberate“ der Patienten gezeigt, die mit Epo behandelt wurden. „Wenn man gleichzeitig bedenkt, dass man noch immer nicht weiß, welche exakten molekularen Grundlagen hinter der möglichen neuroprotektiven Wirkung von Epo stecken, sehe ich derzeit keine Chance, dass Epo Anwendung in der Behandlung von Schlaganfallpatienten findet“, sagt auch Fink.

Ehrenreich kontert: Epo werde nur deshalb nicht regelmäßig an Schlaganfallpatienten verabreicht, weil die Pharmaindustrie sich gegen eine weitere Forschung und Entwicklung des Wirkstoffs stelle. Diesen Vorwurf weist der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie entschieden zurück. Außerdem könnten die Ärzte eigenständig entscheiden, ob sie einen Wirkstoff, der für ein anderes Leiden zugelassen ist, „off-label“ – also ohne offizielle Zulassung – verabreichen möchten oder nicht.

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Es sieht schlecht aus für das Hormon, das vor einem Jahrzehnt so große Hoffnungen weckte. „Das ist schade“, sagt Fink, schließlich sterbe von den jährlich fast 11 000 Schlaganfallpatienten in Deutschland bislang jeder Zehnte. „Wir wären für jedes Medikament dankbar, das die Aussichten für Schlaganfallpatienten verbessert – gerade unmittelbar nach dem Akut-Ereignis. Wenn es so eine Substanz gäbe, würden wir sie sofort einsetzen.“ Sabine Kurz ■

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