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Déjà-vu in 3D

Gesellschaft|Psychologie

Déjà-vu in 3D
Ein Déjà-vu ist unvorhersehbar. Das macht es schwer, dieses Phänomen zu untersuchen. Der Psychologin Anne Cleary ist es erstmals gelungen, es künstlich hervorzurufen – mithilfe eines Computerspiels.

Zwei Drittel aller Menschen kennen dieses Gefühl: Sie sitzen jemandem gegenüber oder betreten einen Raum, ohne den Betreffenden oder den Raum wissentlich jemals zuvor gesehen zu haben. Und doch haben sie plötzlich den Eindruck, die Situation schon einmal erlebt zu haben, schon einmal an diesem Ort gewesen zu sein oder die gleiche Unterhaltung schon einmal geführt zu haben. Sie haben ein Déjà-vu-Erlebnis (französisch für „schon gesehen“).

Ein Déjà-vu ist spontan, und niemand weiß, was dieses Gefühl auslöst. Deshalb ist das Phänomen schwer wissenschaftlich zu untersuchen. Denn wie studiert man etwas, von dem man nicht weiß, wann und wie es passiert?

Die Psychologin Anne Cleary von der Colorado State University in Fort Collins beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit Déjà-vu-Erlebnissen. Jetzt ist es ihr gelungen, sie künstlich auszulösen – mithilfe der virtuellen Realität. Ein Erfolg, der bei bisherigen Versuchen ausblieb. Über Déjà-vu-Erlebnisse gibt es fast so viele Theorien wie Forscher, die an dem Phänomen arbeiten. Über 50 Ansätze hat der Psychologe Alan Brown von der Southern Methodist University in Dallas/ Texas gezählt. Grob lassen sie sich in drei Kategorien einteilen: Déjà-vu-Erlebnisse gelten entweder als Problem der Wahrnehmung oder der Erinnerung oder als reine Fehlfunktion des Gehirns. Letzteres schließen Forscher aus Studien mit Epileptikern und Menschen mit einem geschädigten Schläfenlappen, die besonders viele Déjà-vu-Erlebnisse haben, zum Teil sogar chronisch. Einen externen Auslöser gibt es dabei nicht.

Vertreter der Wahrnehmungsthese sagen: Zu einem Déjà-vu kommt es, wenn eine Sinneswahrnehmung zweimal schnell hintereinander verarbeitet wird. Man betritt zum Beispiel einen Raum und erhascht im ersten Moment nur einen unbewussten Eindruck, weil man noch an seinem Handy herumspielt. Erst auf den zweiten Blick nimmt man zum Beispiel ein Sofa, Gemälde und Lampen richtig wahr. Das Gefühl der Vertrautheit entsteht, weil das Gehirn die Sinneseindrücke kurz hintereinander verarbeitet.

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Eine verschüttete Erinnerung?

Laut den Forschern, die Erinnerungen als Auslöser sehen, beruhen Déjà-vu- Erlebnisse auf Erfahrungen, die man tatsächlich gemacht hat. Die Erinnerung daran kann man aber nicht bewusst abrufen. Demnach wäre ein Déjà-vu nicht die Beschreibung für etwas Neues, das sich alt anfühlt, sondern vielmehr für etwas Altes.

Cleary ist überzeugt, dass Déjà-vu- Erlebnisse nur zum Teil mit einer echten Erinnerung zusammenhängen. Sie sagt, es komme nicht auf das Erlebnis an sich an, sondern auf die Gestaltung der Szene. Damit meint sie, dass man zum Beispiel die Art, wie ein Raum eingerichtet ist, schon einmal an einem anderen Ort gesehen hat. Man überträgt dieses Setting auf die neue Szene – und erlebt ein Déjà-vu.

Um ihre These zu testen, baute Cleary Räume mithilfe des Computerspiels „The Sims“ nach. Das hatte ihr ein Kollege vorgeschlagen. „Ich kannte das Spiel gar nicht und musste erst einmal lernen, wie es funktioniert“, erzählt sie. Das Spiel simuliert das Leben: Man schließt Freundschaften, baut Häuser, verdient Geld. Cleary interessierte sich vor allem fürs Häuserbauen. Dabei verbrachte sie viele Stunden vor dem Rechner.

Dann dachte sie sich Szenen aus, die sich ähnelten, zeichnete diese auf Millimeterpapier und baute sie anschließend in „The Sims“ nach. Sie schuf Diskotheken mit Barhockern und Frisörsalons, deren Waschbecken an der Wand ähnlich aufgereiht sind wie die Barhocker. Sie gestaltete einen Park mit einem Brunnen in der Mitte, der so aufgebaut ist, wie der Raum eines Museums, in dessen Zentrum eine Skulptur thront – außerdem Bibliotheken, Konferenzräume, Großraumbüros und vieles mehr. Noch sind die Orte leer, ohne Menschen, Geräusche oder Bewegung. „Das wäre eine Weiterentwicklung“, sagt Cleary.

Die Teilnehmer der Studie bekamen eine Brille aufgesetzt, durch die sie die Räume dreidimensional sehen konnten – ähnlich wie im 3D-Kino, nur dass sie sich im Raum umschauen konnten, als würden sie darin stehen. „Es gab Teilnehmer, die erstaunt ausriefen: ‚Wow, ich habe echt ein Déjà-vu!‘, nachdem sie von einem Raum in den nächsten gezappt wurden“, sagt Cleary. Auf einer Skala von 1 bis 10 sollten die Probanden angeben, wie vertraut ihnen eine Szene war, den Namen der Szene nennen, der sie ähnelte, und sagen, ob sie ein Déjà-vu-Erlebnis hatten.

Von Unwohlsein bis Vertrautheit

41 Prozent der Teilnehmer konnten sich an ähnliche Szenen erinnern. Je größer das Gefühl der Vertrautheit war, desto mehr Déjà-vu-Erlebnisse hatten sie. „Ein Déjà-vu heißt nicht: alles oder nichts. Man muss sich das eher wie ein Kontinuum vorstellen“ , erklärt Cleary. „Das geht von einem leichten Unwohlsein bis zur völligen Vertrautheit mit Dingen, die eigentlich neu sind.“

Doch vielleicht hatten die Versuchsteilnehmer nicht nur wegen der ausgeklügelten Welten so viele Déjà-vu-Erlebnisse. Denn es gab noch andere begünstigende Faktoren: Von den meisten Déjà-vu- Erlebnissen berichten Menschen ab der späten Pubertät bis Ende 20, außerdem Menschen mit höherer Bildung und liberalerer Einstellung und ebenso jene, die viel reisen, träumen oder Filme anschauen. Cleary hatte die Probanden unter ihren Studenten rekrutiert – sie fielen also in mindestens eine dieser Kategorien.

„Natürlich kann es sein, dass sich auch die Erwartungshaltung der Studenten ausgewirkt hat“, räumt Cleary ein. Denn schließlich wussten alle, dass sie an einer Studie über Déjà-vu-Erlebnisse teilnahmen. Um diesen Einfluss zu minimieren, baute Cleary mehrere Kontrollen ein. Es gab zum Beispiel viele Szenen ohne Gegenpart. Zudem wusste der Versuchsleiter nicht, welche Szene der Teilnehmer gerade sah, und konnte so durch seine Art zu fragen nicht die Antworten beeinflussen.

Wofür könnte Clearys Forschung nützlich sein? „Wenn man herausfindet, was das Gefühl von Vertrautheit auslöst, könnte man Menschen helfen, deren Erinnerungsvermögen durch einen Unfall oder etwas anderes beschädigt wurde. Man könnte ihnen beibringen, sich in Situationen, in denen ihnen konkrete Erinnerungen fehlen, auf ihr Gefühl zu verlassen“, sagt Cleary.

EIn Déjà-vu-Zentrum im Gehirn?

Um diesem Ziel näher zu kommen, untersuchte sie in einer weiteren Studie zusammen mit einem Neurologen, in welchen Hirnregionen das Gefühl der Vertrautheit entsteht. Dazu zeigte sie den Probanden Screenshots der Sims-Szenen, während mit funktioneller Magnetresonanztomografie die Gehirnaktivität aufgezeichnet wurde.

Nach Déjà-vu-Erlebnissen wurde bei dieser Untersuchung zwar nicht gefragt, doch die Wissenschaftler stellten etwas Wichtiges fest: Ein Bereich im Schläfenlappen – der perirhinale Cortex – war besonders aktiv, wenn die Testpersonen eine Szene sahen, die einer anderen ähnelte, an die sie sich aber nicht erinnern konnten.

Der perirhinale Cortex liegt in einem Hirnbereich, der bei Epileptikern und Menschen mit chronischen Déjà-vu- Erlebnissen verstärkt aktiv ist. „Es kann also durchaus sein, dass Déjà-vu- Erlebnisse zwar stets in derselben Hirnregion entstehen, aber durch unterschiedliche Dinge ausgelöst werden“, folgert Anne Cleary. Sollte das stimmen, könnten die drei Erklärungsansätze für Déjà-vu-Erlebnisse in einer einzigen Theorie münden. ■

PIA VOLK ist freie Journalistin in Leipzig. Sie denkt oft, ein Déjà-vu-Erlebnis zu haben, wenn ihr Sohn ihre Handlungen kommentiert.

von Pia Volk

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