Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Entwarnung vor dem Vulkan-GAU

Erde|Umwelt

Entwarnung vor dem Vulkan-GAU
Ausbrüche von Supervulkanen haben immer wieder das globale Klima beeinflusst. Aber keineswegs so einschneidend wie gedacht – das zeigen neue Computersimulationen.

DIE BISLANG STÄRKSTE historisch belegte Eruption eines Vulkans erschütterte am 10. April 1815 die indonesische Insel Sumbawa. Noch in über 2000 Kilometer Entfernung waren die Explosionen vom Ausbruch des Tambora zu hören. 160 Kubikkilometer Staub und Asche – das zeigen Berechnungen – schossen in die Atmosphäre. Mehr als 10 000 Menschen kamen unmittelbar durch die Eruption ums Leben. Mindestens weitere 60 000 starben in der Inselwelt Indonesiens an Hunger und Krankheiten, weil niederfallende Asche und saurer Regen die Ernte vernichteten.

Neben festen Partikeln stiegen rund 115 Millionen Tonnen gasförmige Schwefelverbindungen aus dem Tambora bis in mehr als 30 Kilometer Höhe auf. In Form von winzigen kondensierten Aerosoltröpfchen sammelten sie sich in der Stratosphäre und breiteten sich global aus. Diese Dunstschicht verschluckte einen Teil der Sonnenstrahlung und führte zu einer weltweiten Abkühlung. Es folgte das „Jahr ohne Sommer“: In Teilen der nördlichen Hemisphäre sank die Durchschnittstemperatur in den Sommermonaten um bis zu drei Grad Celsius. Missernten, auch in Europa, waren die Folge – und anschließend kam es zu der schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts.

MODELLFALL PINATUBO

Der größte Knall in jüngster Vergangenheit ereignete sich 1991 auf den Philip- pinen. Dort katapultierte der Pinatubo rund 28 Kubikkilometer Asche und Gestein sowie 20 Millionen Tonnen Schwefelverbindungen in die Atmosphäre. Daraus resultierte eine zwei bis drei Jahre dauernde globale Abkühlung um ein halbes Grad Celsius. Claudia Timmreck am Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) in Hamburg hat sich zu Beginn ihrer Laufbahn als Klimaforscherin intensiv mit dem Pinatubo-Ausbruch und dessen Auswirkungen beschäftigt. Für sie war er der Auslöser, tiefer in die offenen Fragen rund um die Klimafolgen von Vulkan-Emissionen einzudringen.

Ein explosives Thema – buchstäblich. Denn es ist klar: Der Pinatubo- und selbst der Tambora-Ausbruch waren kleine Huster im Vergleich zu Eruptionen von Supervulkanen, die in vorgeschichtlicher Zeit die Erde erschüttert haben. Diese Ausbrüche waren über 100 Mal so stark. Wie wirkten sie sich auf das Klima aus? Waren sie vielleicht verantwortlich für das Einsetzen von Eiszeiten? Und was hieße es für die Menschheit, wenn heute einer dieser Giganten ausbrechen würde – wäre sie womöglich in Gefahr, auszusterben?

Anzeige

Um Fragen wie diese zu klären, initiierte Timmreck am MPI-M das Projekt Supervulkan. Zu neuen Erkenntnissen gelangte das aus Physikern, Meteorologen und Meeresforschern bestehende Team nicht durch waghalsige Expeditionen zu aktiven Feuerbergen, sondern durch Rechnungen. Die Werkzeuge waren vor allem der Supercomputer des deutschen Klimarechenzentrums sowie das am Hamburger Max-Planck-Institut entwickelte Erdsystemmodell – eine Software, mit der sich globale Vorgänge mit bisher unerreichter Genauigkeit modellieren lassen.

Pionierarbeit bei der Erforschung von Supervulkanen leisteten der Biologe Michael Rampino von der New York University und der Geologe Stephen Self, damals an der University of Hawaii. Sie schätzten Ende der 1980er-Jahre aufgrund von Modellrechnungen ab, dass nach einer Supereruption regional längere Zeit nur noch ein Zehntel des Sonnenlichts bis zum Erdboden vordringt, wodurch in einigen Gebieten der Erde die Durchschnittstemperatur im Sommer um 20 Grad Celsius sinkt. Kein Wunder, dass Eruptionen wie die vom Toba im heutigen Sumatra in Verdacht gerieten, Eiszeiten auslösen zu können.

DER TOBA WAR DER LETZTE

Die Narbe dieses letzten Supervulkan-Ausbruchs, die noch heute gut zu erkennen ist, zählt zu den beliebtesten Touristenzielen in Indonesien. Der 87 Kilometer lange und bis zu 27 Kilometer breite Toba-See bedeckt mehr als die doppelte Fläche des Bodensees. Er ist ein eindrucksvolles Zeugnis für die Wucht der Eruption vor 74 000 Jahren. Die ausgeschleuderte Asche ist in grönländischen Eisbohrkernen ebenso leicht nachzuweisen wie in diversen Tiefseesedimenten. „Hier ist die Toba-Schicht oft so deutlich, dass sie als Zeitmarke für die Datierung von Ablagerungen am Meeresboden dient“, sagt Timmreck.

EIN AUSBRUCH, MEHRERE KRATER

Beim Toba-Ausbruch gab es sehr wahrscheinlich nicht nur einen einzigen Schlot, aus dem die gewaltigen Gesteins-, Staub- und Gasmengen schossen – hierfür ist die ausgedehnte Caldera, der Einsturzkessel, viel zu groß. „Bei einer derartigen Eruption bricht das Deckgestein zusammen, und es bilden sich mehrere Vulkane“, erklärt Timmrecks Kollegin Ulrike Niemeier. Auf die Klimasimulation hat der genaue Ablauf der Supereruption jedoch keinen Einfluss. Entscheidend sind nur die Auswurfmengen und die Frage, wie hoch das Material in die Atmosphäre steigt.

Die Treibhausgase Kohlendioxid und Wasserdampf, die aus dem Vulkan austreten, erwärmen das Klima nicht maßgeblich. „Dafür sind die Mengen zu gering“, argumentiert Timmrecks Kollege Alexander Beitsch von der Universität Hamburg. Unmittelbar bedrohlich für alles Leben sind die niederrieselnde Asche und der mit Schwefel- und Salzsäure angereicherte Regen. Die Aschewolke breitet sich in mehr als 30 Kilometer Höhe wie ein Schirm mit 600 Kilometer Durchmesser aus und sinkt langsam nieder.

DER YELLOWSTONE IST ÜBERFÄLLIG

Der Yellowstone-Vulkan im US-Bundesstaat Wyoming brach zuletzt vor 640 000 Jahren aus. Da er durchschnittlich alle 600 000 Jahre speit, wäre eine neue Eruption längst fällig. Die Aschemenge, die er beim letzten Ausbruch ausstieß, war nach neuen Erkenntnissen so groß, dass sie den gesamten nordamerikanischen Kontinent mit einer im Schnitt zehn Zentimeter dicken Schicht bedeckte. Im Umkreis von knapp 300 Kilometern rund um den Yellowstone-Vulkan lagerte sich eine für die Tierwelt tödliche, mehrere Dutzend Meter dicke Staubschicht ab. Ein heutiger Ausbruch dieses schlummernden Supervulkans hätte für Fauna und Flora ebenso wie für die über 350 Millionen Menschen auf dem nordamerikanischen Kontinent verheerende Folgen. Bereits eine zentimeterdicke Aschelage könnte die gesamte Ernte einer Saison vernichten.

Zwar hören saurer Regen und Asche-Fallout nach einigen Wochen auf. Doch das Aerosol in der Stratosphäre beeinflusst noch einige Jahre lang das Klima. Es entsteht, weil sich die vom Vulkan ausgeschleuderten Schwefelverbindungen – hauptsächlich Schwefeldioxid – durch photochemische Prozesse in Schwefelsäure umwandeln. Die feinen Säuretröpfchen streuen erstens das einfallende Sonnenlicht zum Teil in den Weltraum zurück, zweitens absorbieren sie die vom Erdboden kommende Infrarotstrahlung. „ Dadurch kühlen sich die bodennahen Luftschichten ab, während sich die aerosolhaltige Schicht in der Stratosphäre erwärmt“, erklärt Timmreck. Die Veränderung in der Stratosphäre wirkt sich unter anderem auf die atmosphärische Zirkulation aus.

In früheren Computersimulationen hatten die Meteorologen stets angenommen, dass die Anzahl der Aerosoltröpfchen in den Jahren nach dem Ausbruch gleich bliebe. Je nach Region sagten sie eine maximale Abkühlung um 8 bis 17 Grad Celsius voraus, die ein ganzes Jahrzehnt dauern sollte – vielleicht zu lange für den Fortbestand der menschlichen Zivilisation. Doch dieses Horrorszenario war unrealistisch. Davon ist die Hamburger Forscherin aufgrund ihrer neuen Simulation überzeugt.

DIE AEROSOL-TROPFEN VERSCHMELZEN

Timmrock erklärt: „Je mehr Material in die Stratosphäre gelangt, desto häufiger stoßen die Teilchen zusammen und verschmelzen dabei zu größeren.“ Und eine kleinere Zahl von größeren Teilchen streut weniger Sonnenlicht als eine große Zahl kleinerer Teilchen. Außerdem sinken größere Tröpfchen schneller zur Erde. In der Summe hat dies zur Folge, dass die Klimastörung geringfügiger ausfällt als bislang befürchtet – und nicht so lange dauert.

Für den Toba-Ausbruch haben die Hamburger Forscher das Geschehen genau rekonstruiert. Timmreck und ihre Kollegen setzten in ihrem Computermodell 850 Millionen Tonnen Schwefel an (als Element gerechnet, nicht als Verbindungen), die vor 74 000 Jahren in die Stratosphäre gelangt sein sollen. Das ist ungefähr 100 Mal so viel wie 1991 beim Pinatubo. Die Folge: Im ersten Jahr nach der Toba-Eruption nahm die globale Oberflächentemperatur um bis zu 3,5 Grad Celsius ab. Das erscheint nicht als sehr viel. Doch wegen einer daraus resultierenden Störung der großräumigen Windsysteme – beispielsweise fiel der Monsun aus –, waren die Auswirkungen im Sommer drastischer als im Winter: In den Sommermonaten sank die globale Durchschnittstemperatur um sechs Grad. In einigen Regionen mittlerer nördlicher Breite, zum Beispiel in Zentralasien, brachen die Temperaturen gegenüber dem langjährigen Mittel sogar um bis zu zwölf Grad Celsius ein (siehe Grafik S. 56, „Kalter Sommer“). Über dem tropischen Pazifik, auch das ergab die Simulation, war die Abkühlung schwächer und abhängig von den dortigen Oberflächentemperaturen zum Eruptionszeitpunkt. Das Meer reagiert viel träger auf atmosphärische Temperaturschwankungen als die Kontinente.

Zwei Jahre nach der Eruption waren die klimatischen Auswirkungen des Toba-Ausbruchs stärker als im ersten Jahr, berechneten die Hamburger Wissenschaftler. Dahinter steckt eine komplexe Rückkopplung. In den beiden ersten Sommern bildeten sich wegen der niedrigeren Temperaturen weniger Wolken. Daher regnete es weniger, was eine weitere Temperaturerniedrigung bremste. Erst nach zwei Jahren schlug die abkühlende Wirkung der Aerosolschicht voll durch. Danach normalisierten sich die Temperaturen und Niederschläge allmählich wieder. Anders als in früheren Simulationen ausgewiesen, ist in Claudia Timmrecks Computermodell das globale Klima zehn Jahre nach dem Ausbruch des indonesischen Supervulkans wieder in demselben Zustand wie vor der Eruption.

DAS GROSSE STERBEN FIEL AUS

Wie reagierten in dieser Zeit Flora und Fauna, beispielsweise auf das Ausbleiben des Monsuns in Indien? „Unsere Rechnungen zeigen, dass in Indien – genau wie in größeren Teilen von Afrika und Südamerika – einige Waldgebiete einer offenen Gras- und Steppenlandschaft weichen mussten“, sagt Timmreck. Zu einer Aussterbekatastrophe habe das jedoch nicht geführt: „Die nur geringfügigen Verschiebungen der Frostlinie zu niedrigeren Breiten legen nahe, dass es temperaturbedingt keine drastischen großräumigen Veränderungen in der Biosphäre gegeben hat“, resümiert Timmrecks Mitarbeiter Davide Zanchettin.

Die neue Computersimulation belegt auch, dass ein Supervulkan-Ausbruch keine Eiszeit auslösen kann. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine rasche Folge mehrerer heftiger Eruptionen von normalen Vulkanen das Klima längerfristig abkühlt. So vermuten einige Forscher, dass eine Reihe von Ausbrüchen im 13. Jahrhundert, die sich in Eisbohrkernen nachweisen lassen, die „Kleine Eiszeit“ einleiteten. Sie setzte in Europa zwar erst im 15. Jahrhundert ein, aber vielleicht haben Vulkanausbrüche einen generellen natürlichen Temperaturrückgang von der mittelalterlichen Warmzeit zur Kleinen Eiszeit beschleunigt, gibt Timmrecks Kollege Johann Jungclaus zu bedenken. Er leitete in Hamburg das Millennium-Projekt, eine Simulation des Klimas der vergangenen 1000 Jahre.

Besonders auffällig im Vorfeld der Kleinen Eiszeit ist eine Eruption im Jahr 1259. Sie war schätzungsweise 8 Mal so heftig wie die des Pinatubo – vermutlich war es der größte Ausbruch in den letzten 7000 Jahren. Bis heute suchen Forscher nach diesem Vulkan. Im Sommer 2012 verkündete der Geograf Franck Lavigne von der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne auf einer Tagung, das jahrzehntealte Rätsel gelöst und den Feuerspeier gefunden zu haben. Mehr verriet er nicht, da er zuvor seine Beweisführung hieb- und stichfest absichern wollte. Experten vermuten aufgrund von Lavignes präsentierten Messdaten und Fotos, dass der Vulkan genau wie der Toba und der Tambora in Indonesien liegt.

ES KNALLT ALLE 700 000 JAHRE

Das Gros der Wissenschaftler nimmt an, dass sich Supereruptionen etwa alle 700 000 Jahre ereignen. Allerdings sind die Ansichten geteilt, ab welcher Ausbruchsstärke man von einem Supervulkan sprechen darf. Der amerikanische Forscher Stephen Self zieht es vor, mit einem Superausbruch alle 100 000 bis 200 000 Jahre zu rechnen. Das liegt im selben Zeitrahmen wie die Häufigkeit eines Meteoriteneinschlags mit globalen Auswirkungen.

Dass der Toba-Ausbruch „erst“ 74 000 Jahre zurückliegt, spricht aber keineswegs gegen einen Superausbruch in unserem Jahrhundert. Es gibt mehrere vulkanisch aktive Zonen, denen so etwas zuzutrauen ist – zum Beispiel in Europa die Phlegräischen Felder in der Nähe von Neapel, zu deren unterirdischem Magmakammersystem wohl auch der Vesuv gehört.

Hoch verdächtig auf dem amerikanischen Kontinent sind der Yellowstone sowie das Lazufre-Gebiet in den Anden, an der Grenze zwischen Chile und Argentinien – ein schwer zugängliches, 1800 Quadratkilometer großes Areal voller aktiver Vulkane. Forscher beobachten intensiv alle diese rumorenden Regionen. Vor dem großen Ausbruch am Tage X schützt das allerdings nicht. ■

von Thomas Bührke

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Na|tur|kon|stan|te  auch:  Na|tur|kons|tan|te  〈f. 19; Phys.〉 nicht dimensionsloser, konstanter Bestandteil der mathematischen Formulierung eines Naturgesetzes … mehr

Phy|sio|lo|ge  〈m. 17〉 Wissenschaftler, Student der Physiologie

Schwarz|fil|ter  〈m. 3〉 dichter optischer Rotfilter, der nur Infrarotstrahlen durchlässt; Sy Infrarotfilter … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige