In der Fachsprache nennt man den unangenehmen Nebeneffekt der Fortbewegung Kinetose. Diese „Bewegungskrankheit“ plagt empfindliche Menschen in vielen verschiedenen Zusammenhängen: Autofahrten, Schiffsreisen, Flüge und viele weitere schaukelige Aktivitäten zwingen sie letztlich zum Griff nach der „Kotztüte“. Die Ursachen dieses Effekts sind bis heute noch immer nicht ganz geklärt. Man nimmt an, dass es sich um eine Art Input-Error-Reaktion des Gehirn handelt: Über die Sinnesorgane erreichen unsere Steuerzentrale widersprüchliche Signale über die Position des Körpers im Raum. Diese Verwirrung verursacht dann die berüchtigten Symptome: Schwindel, Schweißausbrüche und schließlich Übelkeit.
Kampf dem Kotztüten-Alarm!
Vermutlich beeinflusst das neue Konzept der Forscher um Qadeer Arshad vom Imperial College London genau diese Verwirrung im Gehirn in günstiger Weise. Bei den Untersuchungen trugen Freiwillige eine Art Mütze mit integrierten Elektroden, die leichte Spannungs-Gaben auf die Kopfhaut und damit das Gehirn ermöglichten. Zehn Minuten lang reizten die Forscher auf diese Weise bestimmte Bereiche. Anschließend wurden die Probanden auf einem „Reisekrankheits-Simulator“ ordentlich geschaukelt und die Forscher erfassten das Ausmaß des Effekts. Vergleiche zeigten: Eine vorhergehende Elektrostimulation kann die Stärke der Reisekrankheit deutlich mildern und die Dauer der Beschwerden reduzieren, berichten die Forscher. Vermutlich beeinflusst die Stimulation Hirnbereiche günstig, die für die Verwirrung bei den Bewegungsinformationen verantwortlich sind, erklären sie.
Es zeigten sich ihnen zufolge bisher keine Nebenwirkungen und dies sei auch nicht zu erwarten: „Die benötigten Spannungen sind sehr klein und es gibt keinen Grund, bei kurzzeitigem Einsatz negative Auswirkungen zu befürchten“, so die Forscher. Deshalb sehen sie in dem Verfahren nun großes Potenzial: „Die Effekte, die wir erzielt haben, sind mit denen der besten Medikamente gegen Reisekrankheit zu vergleichen, die es bisher gibt“, sagt Co-Autor Michael Gresty. Diese Wirkstoffe haben allerdings durchaus Nebenwirkungen: Sie führen oft zu Müdigkeit und können damit die Leitungsfähigkeit einschränken. Bei einer kurzen Fahrt mit einer Fähre erscheint dies nicht tragisch, doch viele Menschen müssen auf wackeligem Grund für längere Zeit arbeiten – beispielsweise das Personal von Kreuzfahrtschiffen.
Entwicklung von Geräten in Planung
Die Forscher befinden sich nun bereits in Verhandlungen mit Industriepartnern, um ein Gerät zur Nutzung ihrer Elektro-Stimulations-Methode zu entwickeln. Ihnen zufolge hat auch das Militär bereits Interesse angemeldet. Denn offenbar ist Reisekrankheit auch ein Problem beim Einsatz von Militärfahrzeugen. „Wir sind zuversichtlich, dass man innerhalb von fünf bis zehn Jahren ein Anti-Seekrankheit-Gerät in der Apotheke kaufen können wird“, sagt Arshad. Ihm zufolge könnte es den handlichen Elektrogeräten ähneln, die bereits bei Rückenschmerzen eingesetzt werden. Aber auch besonders anwenderfreundliche Versionen seien denkbar: Möglicherweise lassen sich Konzepte in Verbindung mit Mobiltelefonen entwickeln. Deren Spannung könnte den Forschern zufolge reichen, um dem Gehirn eine lindernde Stimulation zu verpassen und damit den Griff zur Tüte zu vermeiden.