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„Ich bevorzuge Einsteins Vision“

Astronomie|Physik Geschichte|Archäologie

„Ich bevorzuge Einsteins Vision”
Edward Witten über Raum und Zeit, Weltformeln, Superstringrevolutionen und die Bedeutung der ominösen M-Theorie.

Edward Witten

Der 1951 geborene US-Amerikaner ist seit 1987 Physik-Professor am Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey. Er promovierte 1976 bei dem späteren Nobelpreisträger David Gross und ist der wohl führende Stringtheoretiker. Mit der M-Theorie initiierte er 1995 die zweite Superstringrevolution. Er schrieb auch wichtige Beiträge zur Relativitäts- und Quantentheorie, Supersymmetrie und Knotentheorie. Er publizierte über 350 Fachartikel und ein Lehrbuch. Neben vielen weiteren Ehrungen erhielt er 1990 die Fields-Medaille und letztes Jahr den mit drei Millionen Dollar dotierten Fundamental Physics Prize.

bild der wissenschaft: Sie sagten einmal, dass es wie eine kosmische Verschwörung wäre, wenn sich herausstellen würde, dass die Stringtheorie – eigentlich sind es ja fünf verschiedene Theorien – falsch ist. Stehen Sie noch zu dieser Aussage?

Edward Witten: Ja, das tue ich. Denn es wäre eine unglaubliche Koinzidenz für uns Physiker, wenn wir über eine Theorie gestolpert wären, die so reichhaltig ist, dass sie es ermöglicht, Quantenmechanik und Schwerkraft zu verbinden sowie einen natürlichen Rahmen für die Vereinigung der Kräfte zu liefern. Also führt uns entweder eine riesige kosmische Verschwörung in die Irre – oder die Theorie ist auf dem richtigen Weg. Ich tendiere zu der zweiten Interpretation.

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Was ist die wichtigste Frage in Ihrem Forschungsgebiet, auf die Sie gerne eine Antwort wüssten?

Die Fragen, die wir heute stellen, unterscheiden sich von früheren Fragen, etwa Ende der 1980er-Jahre. Eine wichtige Frage ist die nach dem Prinzip, das der Stringtheorie zugrunde liegt. Einstein hatte sein Äquivalenzprinzip für die Allgemeine Relativitätstheorie. Aber von der Stringtheorie kennen wir bislang nur Bruchstücke, ohne das Prinzip dahinter zu verstehen. Ich würde also gerne wissen, wie die fundamentalen Gleichungen lauten und was all die vielen möglichen Lösungen der Stringtheorie determiniert – oder ob sie alle ein Zufallsprodukt sind, wie es die Hypothese der Stringlandschaft besagt.

Denken Sie, dass die M-Theorie, die alle Stringtheorien vereint, die einzige fundamentale Theorie ohne innere Widersprüche ist, während alle konkurrierenden Theorien inkonsistent sind?

Das ist zu stark. Die M-Theorie könnte die einzige konsistente Theorie der Quantengravitation sein. Aber die Allgemeine Relativitätstheorie ist konsistent ohne Quantenphysik, und die Quantenchromodynamik ist konsistent ohne Schwerkraft. Ich persönlich halte es für vernünftig zu vermuten, dass die Theorie der Quantengravitation einzigartig ist. Aber andere denken anders darüber.

Im Jahr 1995 haben Sie mit der Formulierung der M-Theorie die zweite Superstringrevolution initiiert. In welchem Zustand ist die Stringtheorie heute im Vergleich zu 1995?

Wir können seither wesentlich mehr berechnen und verstehen, etwa im Zusammenhang mit den Dualitäten, die die Stringtheorien mit der M-Theorie verbinden. Und wir können mehr Aussagen aus der M-Theorie ableiten. Wir verstehen jetzt beispielsweise das Verhalten der zweidimensionalen Membranen. Das war vor wenigen Jahren noch nicht der Fall. Doch das fundamentale Prinzip der M-Theorie ist weiterhin unbekannt.

Die M-Theorie ist auch noch gar nicht völlig ausgearbeitet.

Richtig. Es gibt eine Bezeichnung, aber eigentlich zwei Dinge: Da ist der Grenzfall der Stringtheorien, der zuweilen M-Theorie genannt wird, und da ist auch das allumfassende Bild, das die Stringtheorien enthält – und vieles mehr. Es wäre besser gewesen, zwei verschiedene Begriffe zu prägen, um die sprachliche Zweideutigkeit zu vermeiden.

Und was bedeutet der Buchstabe „M” in M-Theorie?

Ich wollte damals kein Geheimnis daraus machen – wenn manche Journalisten auch so tun, als hätte ich 1995 die M-Theorie erfunden. Aber es gab Vorarbeiten schon viele Jahre früher, etwa zur elfdimensionalen Supergravitation. Und manche Kollegen dachten, es gäbe eine elfdimensionale Theorie, die auf Membranen basiert. Doch ich war nicht davon überzeugt, dass sie vollständig funktioniert. Ich wusste aber auch nicht, ob sie falsch ist, und ich wollte ihr nicht widersprechen. Daher behielt ich das M von „ Membran” und meinte, dass es sich mit der Zeit schon zeigen würde, ob das M für „Magie”, „Mysterium” oder „Membran” steht. Später wurden die Membranen dann von Matrizen abgeleitet, und zufällig fängt die Matrix-Theorie auch mit „M” an.

Es gab auch die Spekulation, dass Sie das W in Ihrem Namen einfach umgedreht haben.

Darüber habe ich herzlich lachen müssen.

Denken Sie, dass Raum und Zeit fundamental sind?

Das ist unwahrscheinlich. Aber wir haben keine gute Vorstellung davon, was sie ersetzen könnte. Es gibt einige Spezialfälle, doch sie fügen sich nicht zu einem klaren Bild.

Und die Schwerkraft – ist sie abgeleitet, also emergent, oder aber grundlegend?

Wenn man davon ausgeht, dass Raum und Zeit nicht fundamental sind, dann ist wohl auch nichts in ihnen fundamental. Wenn Raum und Zeit sich letztlich als abgeleitete Größen herausstellen werden, dann folgt daraus, dass auch alle Kräfte emergent sind.

Ist es überhaupt sinnvoll zu fragen, ob es grundlegende Bausteine der Welt gibt? Oder wird aufgrund der Dualitäten, die verschiedene Phänomene oder Theorien ineinander über- führen, sowieso alles zu einer Frage der Perspektive?

Ich neige zu der Auffassung, dass wir nicht wissen, was ein solcher fundamentaler Baustein ist, wenn man es so nennen möchte. Ich bin da auch ein wenig skeptisch. Vielleicht gibt es fundamentale Konzepte oder einen fundamentalen Rahmen, aber wir haben das noch nicht verstanden. Ich bin nicht sicher, was ich in den 1990er-Jahren dazu gesagt hätte. Heute vermute ich, dass die Raumzeit irgendwie emergent ist – ähnlich wie Strings, Felder, Teilchen und Kräfte in der Raumzeit. Aber noch früher, in den 1980er-Jahren, hätte ich wohl gesagt, dass eine Version der Strings fundamental ist. Doch die zweite Stringrevolution 1995 hat diesen Standpunkt ins Wanken gebracht.

Denken Sie, die dritte Superstringrevolution ist nahe?

Ich hoffe es – aber ich kann nicht sagen, dass es Anzeichen dafür gibt. Allerdings bin ich mit der etablierten Zählung auch nicht recht einverstanden. Ich finde, die Zeit vor meiner Mitarbeit, als die Stringtheorie sich in den 1970ern entwickelte, sollte als erste Superstringrevolution bezeichnet werden. Ich persönlich denke, dass es schon drei Revolutionen gab.

Was halten Sie von der Hypothese der Stringlandschaft?

Ich wäre froh, wenn es keine Stringlandschaft gäbe. Denn ich bevorzuge Einsteins Vision, dass es möglich ist, alle dimensionslosen Quantitäten der Natur aus ersten Prinzipien zu berechnen. Ich weiß wirklich nicht, ob die Landschaft real ist. Es gibt aber ein paar Dinge, die mich davon abhalten, diese Vorstellung zu verwerfen. So existieren Hinweise darauf unabhängig von der Stringtheorie, etwa die beschleunigte Ausdehnung des Weltraums, die Physiker wie Martin Rees, Steven Weinberg und Andrei Linde die Landschaft ernsthaft in Betracht ziehen lassen. Die andere Sache ist, dass meine Generation entdeckt hat, dass die Stringtheorie, obwohl sie mehr oder weniger einzigartig ist, extrem vielfältig wird, weil es diese Fülle der Möglichkeiten gibt, wie die Extradimensionen kompaktifiziert werden können. Ich habe viel Zeit darauf verwendet und dachte, das wären Übertreibungen im Formalismus. Aber wir sollten die Hypothese der Stringlandschaft nicht vorschnell ausschließen. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand etwas entdeckt hat, das er nicht mochte und deshalb verwarf – und später stellte sich heraus, dass es doch wahr ist.

Sie sind auch ein großer Mathematiker. Existieren algebraische und geometrische Systeme für Sie absolut und an sich, oder halten Sie diese für nützliche Instrumente und Erfindungen?

Für mich sind mathematische Strukturen real. Ich bin sicher, dass die meisten Mathematiker diese Antwort geben. Sie können meine Aussage aber interpretieren, wie Sie mögen.

Sie sind Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften – nur ehrenhalber oder auch aufgrund religiöser Überzeugungen? Wollen Sie, wie Stephen Hawking es einmal metaphorisch formuliert hat, gar den „Geist Gottes” verstehen?

Ich habe einen jüdischen Hintergrund. Aber das ist vor allem eine gefühlsmäßige Bindung an die Tradition, ohne dass ich damit einen Wahrheitswert verknüpfe. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, als ich zum Mitglied der Akademie berufen wurde, und die Einladung gerne angenommen. Aber es geht mir nicht darum, den Geist Gottes zu verstehen. ■

Das Gespräch führte Rüdiger Vaas

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