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Großeinsatz auf dem Schneeferner

Erde|Umwelt

Großeinsatz auf dem Schneeferner
Der Gletscher an der Zugspitze wird jetzt im Mai, wie seit etlichen Jahren im Frühling, mit reflektierender Folie abgedeckt. Auf Dauer kann die Rettungsaktion das Eis aber nicht vor dem Verschwinden bewahren.

Die Schneekatzen-Fahrer auf der Zugspitze sind oft weitab von den Pisten unterwegs. Dort, wo kein Ski- oder Snowboardfahrer je hinkommt, sammeln sie Schnee ein, um den nahe gelegenen Schneeferner zu füttern. Das ist der größte von Deutschlands Gletschern.

Mit dem Schneesammeln beginnt jedes Jahr die Aktion „Rettet den Schneeferner“. („Ferner“ ist die süddeutsche und österreichische Bezeichnung für Gletscher). Der Schneeferner schmilzt wegen der steigende Temperaturen durch die Klimaveränderung immer schneller ab. Der zweite Akt der Rettungsaktion beginnt meist im Mai. Dann haben die Schneekatzen-Fahrer eine neue Aufgabe. Sie transportieren 130 Kilogramm schwere Rollen mit Planen aus hellem Kunststoff, die eigentlich für die Aufbauten von Lastwagen gedacht sind. Jede Plane ist 5 Meter breit und 30 Meter lang. Als nächstes sind große hölzerne Quader und Balken an der Reihe. Dann ist eine Menge Handarbeit nötig. Mehr als ein Dutzend Mitarbeiter der Bayerischen Zugspitzbahn rollen die Planen aus, eine neben der anderen. Verbunden werden sie mithilfe von Tauen, die durch Ösen an den Rändern der Planen geschlungen werden.

Je nachdem, wie viel Schnee der Winter gebracht hat, werden mal größere, mal kleinere Flächen des Gletschers abgedeckt. 2011 etwa waren es lediglich 800 Quadratmeter, in den Jahren zuvor aber schon mal 5000. Wie viele Planen es auch immer sind: Sie bedecken auf jeden Fall nur wenige Prozent der Gletscherfläche. Wenn alle Planen ausgerollt und miteinander verbunden sind, legen die Mitarbeiter Holzbalken auf die Ränder. Und damit sommerliche Stürme die Balken nicht wegschleudern können, werden diese noch mit mächtigen Quaderblöcken aus Holz beschwert. Orangefarbene Kunststoffseile verbinden die Blöcke mit den Balken.

Geschützt werden vor allem die Flächen unter dem Lift, den die Bayerische Zugspitzbahn betreibt. Die Folien reflektieren zum einen die wärmenden Infrarotstrahlen der Sonne, sodass weniger Schnee schmilzt. Zum anderen halten sie Regen ab, der ebenfalls den Schnee angreift. Im Frühherbst, möglichst vor dem ersten Schneefall, wird alles wieder entfernt.

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Ein Wunderbarer PR-Gag

Christoph Mayer, Gletscherforscher bei der Kommission für Erdmessung und Glaziologie an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hält die Aktion für einen „wunderbaren PR-Gag“: „ Dem Zugspitz-Gletscher hilft es letztlich nichts, dass man einen Teil mit Planen abdeckt. In spätestens 30 Jahren ist er verschwunden“, sagt der Fachmann.

Schon jetzt ist die Lage dramatisch. Nahm um das Jahr 2000 herum noch 40 bis 60 Meter dickes Eis eine Fläche von mehr als 60 000 Quadratmetern ein, sind es heute weniger als 20 000 Quadratmeter. 2020 wird es keine Eisplatten mehr geben, die dicker sind als 40 Meter. Insgesamt wird der Gletscher innerhalb dieser 20 Jahre auf ein Drittel seiner Fläche schrumpfen. Die Ausmaße aller fünf deutschen Gletscher zusammen gingen in den vergangenen 150 Jahren von rund 4 auf 0,7 Millionen Quadratmeter zurück.

Die Eismassen der Gletscher, die durch die Verdichtung von Schnee entstanden sind, schmelzen im Sommer teilweise ab. Neuschnee und Lawinen „füttern“ sie im Winter wieder an. Charakteristisch für diese kalte Masse ist ihr langsames Kriechen: Sie bewegt sich aufgrund ihrer Hanglage Zentimeter für Zentimeter zu Tal.

Obwohl es in Deutschland nur vergleichsweise kleine Gletscher gibt, hat die einschlägige Forschung, die Glaziologie, hier eine lange Tradition. Seit Ende des 19. Jahrhundert beobachten und vermessen Wissenschaftler die Eisflächen. Heute gibt es mit der Kommission für Erdmessung und Glaziologie (KEG) dafür ein eigenes Institut an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, das auch die Veränderung von Gletschern in anderen Ländern erforscht. Und die sind zum Teil dramatisch. So schrumpfte die Fläche der Gletscher im Tien Schan Gebirge im zentralasiatischen Kirgisistan seit der Mitte des 20. Jahrhunderts um 23 Prozent, wie der KEG-Glaziologe Christoph Mayer berichtet. Anderswo auf der Welt geht es ähnlich schnell oder sogar noch schneller. Die Gletscher in Österreich etwa verloren zwischen 1969 und 1998 insgesamt 17 Prozent ihrer Fläche. Und die berühmte Eiskappe des Kilimandscharo in Kenia wird vermutlich bis in zwei Jahrzehnten völlig abgetaut sein.

Alpenweites Abtauen

„Der Zustand der Gletscher in Bayern, aber auch alpenweit, ist besorgniserregend“, sagt Karl-Heinz-Hoffmann, Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. In den vergangenen 100 Jahren sind die durchschnittlichen Temperaturen in Bayern je nach Region um bis zu 1,2 Grad Celsius angestiegen. Und das ist nicht nur schlecht für den Tourismus.

Das weitere Abschmelzen der Eismassen in Grönland werde mit einem erheblichen Anstieg der Meeresspiegel einhergehen, von dem insbesondere Inseln im Pazifik und küstennahe Städte vor allem im asiatischen Raum bedroht sind, warnen die bayerischen Glaziologen in ihrem aktuellen Statusbericht „Bayerische Gletscher im Klimawandel“. Das Schmelzen der Gletscher verändere die Wasserführung von Flüssen und führe zu sommerlicher Wasserknappheit für Millionen von Menschen – und das nicht nur in den Gebirgsregionen überall auf der Welt.

Seen, die sich aus den gewaltigen Wassermassen schmelzender Gletscher gebildet haben, brechen ihre natürlichen Dämme und überfluten ganze Regionen. Am Mont Blanc, Europas höchstem Berg, füllt sich ein riesiger Hohlraum regelmäßig mit Schmelzwasser des Gletschers Tête Rousse. Damit die riesige Höhle wegen des zunehmenden Wasserdrucks nicht detoniert und gewaltige Mengen an Wasser, Schlamm und Gestein auf das Städtchen Saint-Gervais-les-Bains stürzen, wird der See unter dem Gletscher regelmäßig angebohrt, damit das Wasser kontrolliert abfließen kann.

Absturzgefahr in der Schweiz

Noch viel bedrohlicher sind Felsrutsche aufgrund des Rückzugs der Gletscher. Am 13. Juli 2006 stürzten mit donnerndem Getöse rund 500 000 Kubikmeter Fels am schweizerischen Eiger auf den Unteren Grindelwald-Gletscher (siehe auch Beitrag „Die Alpen werden gefährlich mürbe“ in bild der wissenschaft 4/2009). Heute gelten allein in der Schweiz zwei Millionen Kubikmeter Gestein mit einem Gewicht von fünf Millionen Tonnen als absturzgefährdet. Die Felsen lockern sich, weil die stützende Kraft der Gletscher immer mehr nachlässt.

Außerdem zieht sich der Permafrost – Bereiche des Bodens, die auch im Sommer gefroren sind – in größere Höhen zurück. Weil aber der Permafrost als eine Art Kraftkleber dient, der auch zerklüftetes Gestein zusammenhält, macht sich der Fels selbstständig. Das Schweizer Örtchen Pontresina im Kanton Graubünden hat bereits einen riesigen Damm gebaut, um Felsrutsche aufzufangen, die wegen des nachlassenden Permafrostes zu befürchten sind. Die Kosten für die Aktion: acht Millionen Schweizer Franken.

Weil der Wandel so schnell geht, hat die Vegetation keine Chance, sich anzupassen. Während robuste Arten nach oben ausweichen, stirbt die rare und extrem an ihre bisherige Umwelt angepasste Hochgebirgsflora in den Alpen aus. Bedroht ist beispielsweise das Alpenglöckchen. Von rund 400 endemischen – nur hier vorkommenden – Pflanzenarten ist ein Viertel in Gefahr zu verschwinden. Auch die widerstandsfähigeren Pflanzenarten der Alpen haben auf Dauer keine Chance, weil sie irgendwann die Bergspitzen erreichen und nicht mehr weiter in die Höhe „flüchten“ können. Ähnlich ergeht es manchen Tierarten wie dem kälteliebenden Schneehuhn und dem Alpensalamander.

Die schrumpfenden Gletscher können zudem einer ihrer wichtigsten Aufgaben nicht mehr ausreichend nachkommen: Süßwasser für die Versorgung der Menschen im Sommer zu speichern und den Pegelstand von Bächen und Flüssen zu regulieren. Im Hochsommer beziehen manche Alpenflüsse 80 Prozent ihrer Wasserführung aus Gletschern. Einige Regionen der Welt sind im Sommer fast komplett auf das Schmelzwasser der Gletscher angewiesen – Kirgisistan etwa, das sonst zu einer öden Steppe würde.

letzte Eis-Flecken am Watzmann

Für Bayern gilt das zwar nicht. Denn die fünf deutschen Gletscher speichern gerade mal knapp zehn Millionen Kubikmeter Wasser. Das ist so viel, wie die Isar innerhalb von wenigen Stunden durch München spült. Doch bald werden nur noch drei oder vier Millionen Kubikmeter in den Gletschern stecken, fürchten die Münchener Experten.

Ein Wärmeeinbruch in den 1940er-Jahren sorgte dafür, dass der Watzmann-Gletscher für einige Zeit in einzelne Flecken zerfiel. Dieses Schicksal steht ihm bald wieder bevor. Auch dem südlichen Schneeferner-Gletscher wird es an den Kragen gehen – der alljährliche Großeinsatz zögert das nur hinaus. ■

WOLFGANG KEMPKENS ist freier Journalist in Würselen bei Aachen. Das rasante Schmelzen der alpinen Gletscher erschreckt ihn sehr.

von Wolfgang Kempkens

Eisschwund am nördlichen Schneeferner

Sowohl die Dicke als auch die Ausdehnung des nördlichen Schneeferner-Gletschers auf der Zugspitze nehmen drastisch ab, wie Messungen der letzten 15 Jahre belegen. Laut Prognosen von Klimamodellen wird das auch so weitergehen.

Kompakt

· Die aufwendige Aktion auf der Zugspitze soll die Eisschmelze durch Sonne und Regen bremsen.

· Durch den Gletscherschwund weltweit drohen vielerorts Felsrutsche.

Mehr zum Thema

Internet

Infos zum Klimaschutz in Bayern (vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit): www.stmug.bayern.de/umwelt/klimaschutz/index.htm

„Bayerische Gletscher im Klimawandel – ein Statusbericht“ – bestellen oder als PDF herunterladen (unter „Klima/Energie“): www.bestellen.bayern.de

Fotovergleiche von Alpengletschern – damals und heute (Projekt der Gesellschaft für ökologische Forschung e.V., unterstützt durch Greenpeace): www.gletscherarchiv.de/fotovergleiche/gletscher_liste

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