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Raumpatrouille über Paraguay

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Raumpatrouille über Paraguay
In vielen Regionen wird der Regenwald immer hemmungsloser abgeholzt. Eine neue Technologie hilft, der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten.

Es ist früh Am Morgen im Wald des Gran Chaco-Nationalparks in Paraguay. Eine Truppe Ranger ist unterwegs, um das Naturschutzgebiet mit GPS-Geräten neu zu vermessen. Eine Motorsäge dröhnt. Die Ranger laufen sofort zu der Stelle, wo das Geräusch herkommt. Dort finden sie ein halbes Dutzend illegale Holzfäller und einen Pferdekarren, halb beladen mit Baumstämmen. Die flüchtenden Holzfäller sind bewaffnet und schießen mit scharfer Munition auf die Ranger, die mit Gummigeschossen zurückschießen.

Solche Vorfälle erleben die Umweltschützer in Paraguay immer wieder. „Unsere Ranger riskieren ihr Leben, wenn sie im Wald patrouillieren“, sagt Fernando Palacios, Leiter des GIS-Labors von Guyra Paraguay, der Umweltschutzorganisation, zu der die Ranger gehören. Um die „Wildfäller“ aufzuspüren, sehen sich Palacios‘ Mitarbeiter Satellitenbilder der Wälder an und überprüfen sie auf illegale Abholzung.

Ein Auge auf die Erde

Paraguay und Brasilien setzen auf eine solche manuelle Überwachung und kommen gut damit zurecht. In anderen südamerikanischen Ländern funktioniert das jedoch nicht, und illegale Baumfäller haben bislang leichtes Spiel. Doch für diese Länder gibt es nun eine Software, die sogar noch mehr kann als die bislang etablierten Überwachungssysteme: Sie wertet die Bilder automatisch aus und lernt daraus.

Das Programm heißt „Terra-i“. Durch das im Englischen wie „eye“ (Auge) ausgesprochene „i“ ist der Name eine Anspielung darauf, dass die Forscher ein Auge auf die Erde haben wollen. Terra-i ist ein künstliches neuronales Netz, ein mathematisches Modell, das einen Informationsaustausch ähnlich wie im menschlichen Gehirn simuliert – anhand von digitalen „Neuronen“. Dadurch kann die Software natürlich und selbstständig lernen.

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Künstliche neuronale Netze stecken typischerweise hinter Texterkennung, Bildbearbeitung und Frühwarnsystemen. Damit die Software lernen kann, benötigt sie aktuelle Eingabedaten: Terra-i lädt alle 16 Tage neue Aufnahmen der NASA-Satelliten Aqua und Terra herunter und berechnet daraus die Veränderungen an der Waldoberfläche. Ein Algorithmus durchforstet jeden Landstrich Pixel für Pixel. Dabei stellt er fest, ob sich im Vergleich zur letzten Aufnahme die Grünwerte der Pixel verändert haben.

Einzigartige Präzision

Ein Pixel entspricht etwas mehr als sechs Hektar. Diese Präzision ist einmalig für automatische Systeme. Entwickelt wurde das neuronale Netz von Forschern des King’s College London (KCL), des kolumbianischen Agrarforschungszentrums CIAT, der US-amerikanischen Naturschutzorganisation The Nature Conservancy und der Schweizer School of Business and Engineering Vaud im Kanton Waadt. Die Ergebnisse hat der Leiter des Projektes, Mark Mulligan, Professor für Geografie am King’s College, im Juni 2012 auf der Umweltkonferenz Rio+20 vorgestellt.

Die Überwachung der Abholzung von Wäldern per Satellit ist im Grunde nichts Neues. Bereits seit Ende der 1980er-Jahre hat Brasilien auf diese Weise die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds im Visier. Im Unterschied zu Terra-i funktioniert das aber nicht mit einer automatischen Analyse, sondern per scharfem Auge. Die illegalen Holzfäller haben darauf reagiert und schlagen inzwischen statt einer großen viele kleine Flächen kahl – denn die sind auf Satellitenbildern für das menschliche Auge kaum zu erkennen.

Dabei gehört Brasilien zu den Klassenbesten in Südamerika: Zwischen 2011 und 2012 wurden am Amazonas über 4500 Quadratkilometer Wald illegal abgeholzt. Im Jahr davor seien es noch knapp 6400 Quadratkilometer gewesen, berichtet die brasilianische Umweltministerin Izabella Teixeira – das entspricht einem Rückgang der Abholzung um mehr als ein Viertel.

Keine Verbesserung hat es dagegen in Paraguay und Kolumbien gegeben. Dort sind besonders die Naturparks von „Baum-Wilderern“ bedroht. Weltweit fallen laut der US-amerikanischen Umweltschutzorganisation Environmental Defense Fund nach wie vor jedes Jahr rund 130 000 Quadratkilometer tropischer Regenwald Motorsägen und Brandrodungen zum Opfer.

Die Resultate der Überwachung durch den automatischen Wald-Wächter sind auf der Webseite maps.terra-i.org einsehbar. Dort können sich Forscher und Laien ein Bild vom Tempo der Abholzung in Südamerika machen. Auf einer Karte stehen dafür verschiedene Instrumente zur Verfügung: So kann man per Mausklick ein Areal auswählen und von Terra-i darin die gerodeten Bereiche hervorheben lassen.

Wer genauere Informationen will, kann in einem speziellen Fenster nach bestimmten Regionen suchen. Abholzungen werden dabei als farbige Punkte dargestellt – in einer Farbskala, die von Gelb bis Rot reicht, entsprechend den von 2004 bis 2011 erhobenen Daten. Die Daten lassen sich einzeln ein- und ausblenden.

Die Karte kann auch bestimmte Naturschutzgebiete wie das Gran-Chaco- Naturreservat und die verschiedenen Vegetationszonen zeigen. Auf Wunsch blendet das findige System zusätzlich Satellitenbilder der entsprechenden Region ein. Ähnlich wie ein Bildverarbeitungsprogramm ermöglicht die Software einen Vergleich der Abholzung in verschiedenen Jahren.

Satelliten bewachen den Wald

Die beiden NASA-Satelliten Aqua und Terra, die die die Daten liefern, umrunden seit mehr als einem Jahrzehnt die Erde. Die von ihnen ins Visier genommenen Regionen umfassen jeweils 1,5 Millionen Quadratkilometer. Beide Satelliten haben ein Spezial-Instrument an Bord, das an die Außenhülle angedockt ist: MODIS (Moderate-resolution Imaging Spectroradiometer). Das Gerät nimmt die Oberfläche der Erde mit einer Kamera auf.

1999 wurde das erste MODIS-Modul, damals noch ein Prototyp, an Bord des Terra-Satelliten ins All geschickt. Seitdem kreist es in einer Höhe von 705 Kilometern und zeichnet die Erdoberfläche auf: Veränderungen der Ozeane, Strahlungsvariationen, Auffälligkeiten in der Wolkendecke und nicht zuletzt Waldbrände. 2010 nahmen die beiden Instrumente Bilder der Deepwater-Horizon-Ölkatastrophe im Golf von Mexiko auf – nahezu in Echtzeit.

Terra und Aqua folgen unterschiedlichen Flugbahnen und benötigen zusammen ein bis zwei Tage für eine vollständige Vermessung der gesamten Erdoberfläche. Bei jeder Umrundung des Globus wird ein 2330 Kilometer breiter Streifen gescannt. Die beiden Satelliten schicken ihre Bilder über einen Breitband-Funkkanal zur Erde, wo die NASA sie frei zur Verfügung stellt. Dieses Angebot nutzen auch der Londoner Geowissenschaftler Mulligan und der Chefentwickler von Terra-i, der Schweizer Informatiker Louis Reymondin.

Damit die Terra-i-Website stets aktuell ist, werden dort jeden Monat neue Aufnahmen der südamerikanischen Wälder bereitgestellt – 35 Aufnahmen mit je 220 Megabyte. Jede Aufnahme ist 25 Megapixel groß, und auf jedem einzelnen Bildpunkt wird eine 250 mal 250 Meter große Waldfläche dargestellt. Das entspricht der Größe von fast neun Fußballfeldern. Dieser Schritt passiert automatisch.

Danach berechnet Terra-i die Bilder neu, vergleicht sie mit den vorherigen und markiert die abgeholzten Bereiche auf der Karte. Die Software läuft auf drei Großrechnern, die auf einer Serverfarm in Kolumbien stehen. „Doch die Download-Rate ist dort oft langsam, was uns Probleme bereitet“, klagt Louis Reymondin. Daher arbeiten die Forscher daran, weitere Server in London aufzustellen. „Sie werden künftig die Abholzungsraten in Asien und Afrika berechnen.“

Nach dem Herunterladen der aktuellen Satellitenbilder berechnet Terra-i, in welchen Gebieten der Wald besonders hemmungslos abgeholzt wurde. Damit es hier zu keinen Fehlinterpretationen kommt, muss Terra-i lernen, wie sich Niederschläge auf die Vegetation auswirken: Fällt in einer Region monatelang kein Regen, zeigen die Satellitenbilder dort gelbe Pixel – obwohl vielleicht gar nicht gerodet wurde. Das Modell „ errät“ aufgrund der Daten der Vorjahre, wie grün ein Pixel bei üblichen Regenmengen ist. Stimmt diese Erwartung nicht mit dem Grünwert des aktuellen Satellitenbilds überein, meldet Terra-i eine Abholzung.

„Silverlight“ ist ein problem

Nachdem die Anomalien berechnet sind, markiert die Software deren Koordinaten und speichert sie in Dateien, deren Format die Forscher speziell für Terra-i entwickelt haben. Reymondins dreiköpfiges Team lädt die Resultate auf die Website von Terra-i, um diese zu aktualisieren. Bislang müssen die Nutzer des pfiffigen Internet-Angebots für die Navigation in den Daten ein spezielles Programm, das Plug-in „Silverlight“ von Microsoft, installieren. Doch demnächst wollen die Forscher Terra-i an Google Maps anbinden und so die Geschwindigkeit der Website deutlich erhöhen. Der Zugang wird dann auch ohne Plug-in möglich sein.

Die größte Schwierigkeit sieht Reymondin darin, das System bei Umwelt- und Regierungsorganisationen bekannt zu machen. Daher reisten seine Mitarbeiter vor Kurzem zum Nationalen Institut für Information und Umweltüberwachung in Bolivien (SNIB). Dort trainierten sie ihre Kollegen darin, illegale Abholzungen mithilfe der findigen Software von Terra-i aufzuspüren. Das SNIB wird die Informationen von Terra-i künftig nutzen, um bessere Umweltricht- linien aufzustellen – und umzusetzen.

Allerdings: „Einzelne Anwendungen reichen nicht“, sagt Mark Mulligan. Es müsse weltweit gehandelt werden. Damit spielt der Londoner Geograf vor allem auf die seit 2004 in manchen Gegenden explosionsartig gestiegenen Abholzungszahlen an. So wurden im kolumbianischen Chriquita-Nationalpark 2011 fast 22 000 Hektar Wald vernichtet – 2004 waren es noch weniger als 5000 Hektar. Und ein solcher Anstieg um rund 350 Prozent ist bei Weitem kein Einzelfall. Werkzeuge wie Terra-i werden das Problem der Abholzung nicht alleine lösen – doch sie können helfen, diesen für Umwelt und Klima dramatischen Raubbau einzudämmen.

Das Bewusstsein schärfen

Damit künftig möglichst viele Länder Südamerikas Terra-i einsetzen, müssen Louis Reymondin und seine Kollegen noch viel Überzeugungsarbeit leisten. In Paraguay will Umweltschützer Fernando Palacios weiterhin auf die manuelle Auswertung von Satellitenbildern setzen. Die mangelnde Lernfähigkeit dieser Methode kompensiert er durch eine höhere Auflösung der Satellitenbilder. Dennoch schließt Palacios einen Einsatz von Terra-i für die Zukunft nicht aus, allerdings für einen anderen Zweck: Er will das System zur Beobachtung und Darstellung von Veränderungen der Landschaft in Paraguay nutzen.

„Mit Terra-i könnten wir der Öffentlichkeit bewusst machen, wie es um die Wälder steht und dass wir ein Problem mit illegaler Abholzung haben“, sagt Palacios. Genau darauf wird es ankommen: Letztlich ist Terra-i nur ein Werkzeug. Und der Überwachung müssen Taten folgen. ■

MARTIN ANGLER, Journalist aus Bozen, hat ein Faible für Technologien, die das Leben der Menschen verbessern und die Umwelt schützen.

von Martin Angler

Kompakt

· Ein neuronales Netz wertet die Aufnahmen zweier NASA-Satelliten aus.

· Die Software erkennt, wo Flächen im Regenwald frisch gerodet wurden – und alarmiert dort die Waldhüter.

Mehr zum Thema

Internet

Auf der Homepage von Terra-i lässt sich die Abholzung von Regenwäldern verfolgen: maps.terra-i.org

Informationen zu den beiden NASA- Satelliten „Terra“ und „Aqua“ : www.nasa.gov/mission_pages/terra www.nasa.gov/mission_pages/aqua

Aktuelles und Hintergrundinformationen von „Pro Regenwald“: www.pro-regenwald.org

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