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Physik-Nobelpreis für oszillierende Neutrinos

Astronomie|Physik

Physik-Nobelpreis für oszillierende Neutrinos
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Signalmuster eines Neutrinos im Detektor Super-Kamiokande (Tomasz Barszczak)
Neutrinos gelten als „Geisterteilchen“ – und entsprechend schwer sind ihre Eigenheiten zu erforschen. Zwei Wissenschaftler und ihre Teams, denen dies doch gelang, haben jetzt den Nobelpreis für Physik erhalten. Ausgezeichnet werden Takaaki Kajita und Arthur McDonald für die Entdeckung der Neutrino-Oszillation – die Tatsache, dass die geheimnisvollen „Geisterteilchen“ ihre Identität mitten im Flug ändern können. Sie wechseln dabei spontan von einer der drei Sorten in eine andere. Der Nachweis dieses Identitätswechsels lieferte auch die Erklärung dafür, warum diese Teilchen überhaupt eine Masse besitzen.

Weil Neutrinos kaum mit anderer Materie wechselwirken, sind sie nur schwer nachzuweisen. Dennoch durchströmen Milliarden dieser unsichtbaren, fast masselosen Teilchen in jeder Sekunde unseren Körper – und das mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Die Neutrinos entstehen unter anderem beim radioaktiven Zerfall, aber auch bei der Supernova massereicher Sterne und in unserer Sonne. Dass es die theoretisch schon länger vorhergesagten Neutrinos tatsächlich gibt, entdeckten Forscher erst 1956 bei Messungen an einem Atomreaktor. Nach dem Standardmodell der Teilchenphysik existieren gleich drei Sorten dieser rätselhaften Elementarteilchen: Die Elektron-Neutrinos, die beispielsweise beim radioaktiven Zerfall vorkommen und auch von der Sonne ausgehen, sowie die Myon- und die Tau-Neutrinos. Das Seltsame aber: Als Forscher ermittelten, wie viele Elektron-Neutrinos von der Sonne bei uns ankommen, stimmten die Zahlen nicht mit den Modellen überein – es waren viel zu wenige. Wo aber waren die restlichen geblieben? Eine Antwort auf diese Frage haben die diesjährigen Nobelpreisträger geliefert.

Verräterische Lichtblitze

Das Problem der fehlenden Sonnen-Neutrinos lösten Arthur McDonald und sein Team vom Sudbury Neutrino Observatory (SNO) im kanadischen Bundesstaat Ontario im Jahr 2001. Der Detektor besteht aus einem 2.000 Meter tief unter der Erdoberfläche liegenden Tank mit schwerem Wasser. Trifft ein Neutrino auf eines dieser Deuterium-Atome, wird ein Elektron frei, das eine bläuliche Leuchtspur hinterlässt, die sogenannte Tscherenkow-Strahlung. Auch dieser Detektor registrierte zunächst einen Mangel an Sonnen-Neutrinos: Statt der erwarteten zehn Elektron-Neutrinos pro Tag registrierte er nur drei. Aber da ist noch etwas: Das Sudbury Neutrino Observatory registriert gleichzeitig auch Hinweise darauf, dass Neutrinos der anderen beiden Typen eintreffen – und insgesamt stimmt ihre Zahl verblüffend genau mit dem von der Sonne erwartetem Einstrom überein. Nach Ansicht von McDonald und seinen Kollegen lässt dies nur einen Schluss zu: „Wir gehen davon aus, dass die Diskrepanz durch Veränderungen in den Neutrinos selbst ausgelöst wird“, erklärt Arthur McDonald im Juni 2001 die Ergebnisse. Offenbar, so sind sich die Forscher einig, wechseln die Sonnen-Neutrinos auf ihrem Weg zur Erde ihre Identität. Aus einigen Elektron-Neutrinos werden Myon- oder Tau-Neutrinos.

Zur gleichen Zeit waren auch Takaaki Kajita und sein Team vom Neutrino-Detektor Super-Kamiokande in Japan diesen Chamäleons unter den Elementarteilchen auf der Spur. Dieser Detektor steht ebenfalls rund 1.000 Meter unter der Erdoberfläche und misst eintreffende Neutrinos anhand ihrer Leuchtspuren. Dabei registriert er vor allem Myon-Neutrinos der kosmischen Strahlung, die sowohl von oben als auch von unten nach einer Passage durch die Erde in den Tank treffen. Das Seltsame daran: Weil die Erde für die Neutrinos kein Hindernis darstellt, müsste der Detektor eigentlich genauso viele von oben wie von unten eintreffende Teilchen registrieren – doch das tut er nicht. Und auch hier lieferte die Neutrino-Oszillation eine Erklärung: Weil der Weg der Neutrinos durch den Erdball länger ist, haben sie mehr Zeit, um ihre Identität im Flug zu ändern.

Oszillation erklärt auch Masse

Zusammen lieferten die Ergebnisse vom Super-Kamiokande in Japan und dem Sudbury Observatorium in Kanada den endgültigen Beweis: Neutrinos können im Flug ihre Identität ändern und zwischen den drei Typen oszillieren. Kajita und McDonald als Leiter ihrer jeweiligen Forschungsgruppen erhalten nun hierfür den Physik-Nobelpreis. Inzwischen hat der Neutrino-Detektor in Gran Sasso auch die Umwandlung von Myon- zu Tau-Neutrinos belegt, 2013 gelang der Nachweis des Wechsels von Myon- zu Elektron-Neutrinos.

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Die Entdeckung der drei Neutrino-Geschmäcker und ihrer Oszillation ist entscheidend wichtig auch für die Frage, woher die Neutrinos ihre Masse bekommen. Denn nach dem Standardmodell dürften diese Elementarteilchen eigentlich keine Masse besitzen. Doch die Oszillation macht es möglich: Ähnlich wie weißes Licht aus Anteilen unterschiedlich farbiger Wellenlängen besteht, so ist jedes Neutrino eine Mischung aus drei verschiedenen Massen – schwer vorstellbar, aber physikalisch möglich. Im Laufe der Zeit verändert sich der Anteil dieser Massen und dies löst, so die Theorie der Physiker, den Wechsel der Identitäten beim Neutrino aus.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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